Restrukturierungs-Roundtable bei Latham & Watkins
21. April 2021 – Die Wirtschaft ist weiterhin stark von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie betroffen und befindet sich im Umbruch. Mit StaRUG hat der Gesetzgeber zum Jahreswechsel einen neuen „präventiven Restrukturierungsrahmen“ geschaffen, der in Umsetzung europäischer Vorgaben einen Katalog an neuen Instrumenten enthält und insbesondere eine planmäßige außerinsolvenzliche Restrukturierung ermöglicht. Doch bislang beschränkt StaRUG sich in Deutschland auf wenige kleinere Fälle.
Mit der aktuellen wirtschaftlichen Situation, dem Status Quo von StaRUG und Prognosen für die zukünftige Entwicklung beschäftigten sich die Experten unseres jüngsten Restrukturierungs-Roundtable, Tammo Andersch (Vorstandsvorsitzender, FTI-Andersch), Michael Baur (Managing Director, AlixPartners), Dr. Axel Herchen (Weiterer Aufsicht führender Richter, Restrukturierungsgericht und Leiter des Insolvenzgerichts Hamburg), Dr. Christoph Morgen (Partner, Brinkmann & Partner) sowie Frank Grell (Partner und Leiter der deutschen Restrukturierungspraxis bei Latham & Watkins) und Dr. Jörn Kowalewski (ebenfalls Partner bei Latham & Watkins).
Andersch gibt zur Einleitung eine Einschätzung zum Markt: Trotz der angespannten und offensichtlichen wirtschaftlichen Situation sei ein passives abwartendes Verhalten zu beobachten und wenig Traktion an aktiv durch das Management getriebene Restrukturierungs- und Transformationsprozessen. „Die Stunde der Wahrheit wird für viele Unternehmen erst noch kommen, wenn die massiven Wirtschaftshilfen inklusive des Kurzarbeitergeldes reduziert werden und die Insolvenzeröffnungsgründe wieder vollumfänglich in Kraft sind“, so Andersch. Er erwarte einen Anstieg der Insolvenzen, wenngleich keine Welle, erst ab Mitte/Ende 2021. Den notwenigen Sanierungsruck und die proaktive Nutzung von StaRUG könne er bis heute leider nur vereinzelnd feststellen.
Baur weist darauf hin, dass sich die Weltwirtschaft sehr schnell angepasst und es einen Push in der Digitalisierung gegeben habe, was sicherlich als positiver Effekt der Pandemie gesehen werden könne. Dennoch seien die Industrien unterschiedlich betroffen: Es gäbe Gewinner, einige Unternehmen z.B. in der Logistik und IT-Branche hätten einen regelrechten Pandemieboom erfahren, dagegen auch Verlierer wie die Reise- und Gastronomiebranche.
Morgen geht davon aus, dass das StaRUG bei größeren Fällen neue Möglichkeiten biete. Auch wenn er bislang noch keinen StaRUG Fall gesehen habe, betont er: „In Einzelfällen wird das StaRUG zur Anwendung kommen, aber es wird nicht das flächendeckende Sanierungsmittel für alle denkbaren Situationen.“
Herchen erläutert, dass das StaRUG bei den Gerichten angekommen sei. Er weist darauf hin, dass die vom Gesetzgeber gelieferten Materialien gut funktionieren, dennoch vieles Neuland sei, das Herausforderungen berge. Kowalewski bestätigt, dass das Gesetz eine Fülle von Anwendungsherausforderungen beinhalte. Er betont die Tatsache, dass mit StaRUG ein neues Instrument geschaffen wurde, welches für außerinsolvenzliche Krisensituationen zu begrüßen sei. „Ich warne davor, aus der aktuell geringen Anzahl zu schließen, dass das StaRUG in der Beratungspraxis keine Bedeutung hat. Die Wirkung ist nicht nur in den einzelnen Fällen zu suchen, sondern in der Tatsache, dass es diese neue Option gibt, weil es die Möglichkeit eröffnet, in konsensualen Verhandlungen besser zum Ergebnis zu kommen.“
Grell adressiert zwei Forderungen an den Gesetzgeber. Operative Restrukturierungen erfordern zum Teil Eingriffe in langlaufende Verträge wie Mietverträge, die nicht über das StaRUG restrukturiert werden könnten. Es sei sinnvoll, dies in das StaRUG aufzunehmen. Zudem betont Frank Grell: „Das StaRUG muss kurzfristig internationale Anerkennung gewinnen“, dazu müsse die Bundesregierung jetzt dafür sorgen, es in den Katalog der anerkennungsfähigen Verfahren aufzunehmen, um zumindest in den anderen EU-Staaten Anerkennung zu finden. „StaRUG nur für rein deutsche Fälle nutzen zu können, verfehlt das Ziel der Schaffung eines Instruments für größere Fälle mit meist internationalem Charakter.“
Alle Gesprächspartner sind sich einig, dass eine Restrukturierung nur gelingen kann, wenn man einen überzeugenden Plan für das Unternehmen hat, die Kunst bestünde darin in der heutigen disruptiven Zeit einen solchen zu entwickeln. Baur: „Der Kern ist immer die operative Sanierung, es geht immer darum allen Stakeholdern einen potenziell größeren Kuchen anzubieten, bei dem perspektivisch ganz klar ist, dass jeder befriedigt werden kann.“ Frank Grell ergänzt: „Die staatlichen Hilfen haben bisher dazu beigetragen, die Insolvenzwelle zu vermeiden und durch die Krise durchzukommen, dennoch muss man sich auch fragen, was man eigentlich mit diesen Mitteln macht, und da muss sich der Staat in vielen Fällen überlegen, werden Schulden irgendwann in Eigenkapital gewandelt“, und führt die USA als Beispiel dafür an, wo der Staat Unternehmen nicht nur über Fremdkapital helfe sondern auch über Eigenkapitalfinanzierungen.
Zu Beginn der Corona-Krise wäre es kurzfristig sicher richtig gewesen, den Weg der Hilfen für die Unternehmen über Fremdkapital zu sichern, weil der Staat in der Kürze der Zeit sich nicht hätte überlegen können, wo finanziert er auf der Eigenkapitalseite. Um mit dieser Schuldenlast die hier entstanden sei, perspektivisch fertig zu werden, müssten einige dieser Mittel dann auch in Eigenkapital gedreht werden.
Ausblick
Tammo Andersch hält zum Schluss fest: “Die deutsche Wirtschaft muss Mut zur Veränderung haben und Geschäftsmodelle auf den Prüfstand zu stellen und zwar nicht erst, wenn der Corona-Turbo im Rückspiegel ist“. Für Unternehmen, die nicht alleine dazu in der Lage seien, wäre es daher besonders wichtig, sich Sparrings-Partner an die Hand zu nehmen. Die Passivität in vielen Bereichen der deutschen Wirtschaft sei fehl am Platz, die Unternehmen müssten schneller zur Umsetzung der operativen und strategischen Notwendigkeiten kommen, sonst wäre die bislang positive Prognose für die gesamte Wirtschaft nicht zu halten. Frank Grell ergänzt, dass viele Unternehmen über die staatlichen Hilfen Liquidität erhalten hätten, die ihre substantiellen Probleme zudeckten. „Wenn die gewonnene Zeit nicht genutzt wird für Veränderungen, sehe ich hier an vielen Stellen ernste Gefahren auf Unternehmen zukommen.“