Titel | INDat Report 10_2024 | Dezember 2024
Vorschlag für ein modernes Insolvenzverwaltervergütungsgesetz und eine neue Definition des Regelfalls
Die Regel kommt vor dem Fall
Die Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung (InsVV) wurde 1998 erlassen und ist zum 01.01.1999 in Kraft getreten. Im Ergebnis hat sich das vor über 25 Jahren geschaffene Vergütungsrecht für Insolvenzverwalter im Laufe der Zeit von seiner eigentlichen Funktion entfernt: zum einen allen Beteiligten Klarheit darüber zu verschaffen, welche Kosten mit einem Insolvenzverfahren verbunden sind, und zum anderen den gerichtlich bestellten Amtsträgern eine Kalkulationsgrundlage für die Finanzierung ihrer organisatorischen Einheiten zu liefern. Die Angemessenheit der Verwaltervergütung und deren Berechnung sind kontinuierlich konfliktträchtiger geworden. Die Rechtsprechung dazu ist für die Insolvenzverwalter und die Insolvenzgerichte kaum überschaubar; einige sprechen sogar von einer Zumutung. Der Gesetzesvorschlag für eine grundlegende Reform der InsVV aus 2014 hat beim Verordnungs- und Gesetzgeber bisher nicht gefruchtet. Das mag u. a. der politischen Priorisierung und der Komplexität der Materie geschuldet sein. Ein modernes Vergütungsrecht sollte sich an der Entwicklung der Lebenshaltungskosten, dem Haftungsrisiko und dem Verfahrenserfolg orientieren und hat die qualitativ und quantitativ stetig gestiegenen Anforderungen an Insolvenzverwalter zu berücksichtigen. Um diesem Anliegen, das andere freie Berufe zu Recht für sich in Anspruch nehmen und durchsetzen, ein Stück weit gerecht zu werden, wäre schon geholfen, wenn im bisherigen System der InsVV der Ausgangsfall jeder Vergütungsfestsetzung nachjustiert in das Hier und Jetzt versetzt würde: die Definition des sog. Regelfalls.
Text: Dr. Daniel Bergner, Michael Bremen, Jens Wilhelm V
- Ausgangsfall jeder Vergütungsfestsetzung: Der Regelfall
Die §§ 2 und 3 der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung (InsVV) sprechen von der Regel bzw. dem Regelsatz. Um eine Konkretisierung dieser lapidaren Beschreibung wird seit Jahren in Rechtsprechung und Literatur gerungen. Die Verordnung selbst bietet sie nicht an. Auch ihre gesetzliche Grundlage in § 63 InsO, die den Begriff prägt, bleibt eine Erläuterung schuldig. In der amtlichen Begründung zur InsVV vom 19.08.1998 wird ausgeführt: »Die neuen Regelsätze sollen in Zukunft maßgeblich sein, ohne dass schon für ein Normalverfahren Multiplikatoren angewandt oder Zuschläge gewährt werden.« Diese Erklärung wäre völlig ausreichend, wenn der Verordnungsgeber nicht versäumt hätte, das von ihm offenbar erkannte Normalverfahren näher zu definieren. Dazu soll dieser Beitrag Anregungen geben.
Bis diese Anregungen vom Verordnungsgeber aufgegriffen werden, bleibt die Rechtsanwendung darauf angewiesen, den spärlichen Andeutungen des Verordnungs-, Gesetz- und neuerlich auch Richtliniengebers Hinweise für eine notwendige Auslegung zu entnehmen. Die Vergütungsregeln der InsVV sollten laut Begründung zu § 74 InsO-E (BT-Drs. 12/2443, S. 130) keine Anreize für ein bestimmtes Ergebnis schaffen: »Das einheitliche Insolvenzverfahren bietet den Beteiligten sämtliche Verwertungsarten – Liquidation, übertragende Sanierung des Schuldnerunternehmens oder Sanierung des Schuldners sowie sämtliche Kombinationen – gleichrangig an. Die Vergütungsstruktur soll so ausgestaltet werden, dass der Insolvenzverwalter nicht dazu veranlasst wird, ein Verfahrensergebnis vor dem anderen zu bevorzugen. Die Einheitlichkeit des neuen Insolvenzverfahrens macht deshalb eine einheitliche Berechnungsgrundlage und eine einheitliche Vergütungsstruktur notwendig.« Gleichzeitig sollen laut Art. 27 Abs. 4 Restrukturierungsrichtlinie (RestRL) für alle Funktionsträger in Insolvenzverfahren Vorschriften gelten, »die mit dem Ziel eines effizienten Abschlusses des Verfahrens in Einklang stehen«. Mit Effizienz ist im Kontext von Insolvenzverfahren die Erzielung möglichst hoher Erträge für die Gläubiger bei möglichst kurzer Verfahrensdauer, niedrigen Verfahrenskosten und bestmöglicher Vorhersehbarkeit des Ergebnisses gemeint.
Die nationale, von der RestRL nicht vorgezeichnete Umsetzung des geforderten Einklangs im StaRUG folgt nicht dem Muster der InsVV. Sie stellt mit ihrer Entscheidung für Stundensätze zunächst keinen Anreiz für eine kurze Verfahrensdauer und damit für niedrige Verfahrenskosten dar. Mit einer gerichtlichen Budgetierung wird dieser Effekt zwar vermeintlich abgeschwächt. Sie kann als Ex-ante-Betrachtung aber nur eine ungefähre, durch einmalige Nachbudgetierung nach oben korrigierbare Eingrenzung herstellen.
Nimmt man die oben angeführte Absicht des InsO-Gesetzgebers ernst, dann stellt nur eine Regelsatzvergütung die notwendige Ergebnisoffenheit her. Die von Kritikern auch für das Insolvenzverfahren geforderte Aufwandsvergütung nach Stundensätzen stellt grundsätzlich einen Anreiz zu hohem Zeitaufwand dar. Die Einhegung dieses Effekts durch Budgetierungen führt bei Erreichen der Budgetgrenzen zu harten Abbruchreaktionen, die eine Ergebnisoffenheit unmöglich machen, anstatt sie zu begünstigen. Das Gegenargument, dann müsse man eben seine Budgetierung genau bedenken und entsprechend großzügig wählen, führt schon bei mäßig komplexen Verfahren an den Spieltisch und verfehlt das verfassungsrechtliche Gebot einer in jedem Fall angemessenen Vergütung. Dieses Gebot wird gerade im Zusammenhang mit Kürzungen bedeutsam, die durch richterliche Auslegung induziert werden: »Die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit, einen Beruf auszuüben, ist untrennbar mit der Freiheit verbunden, eine angemessene Vergütung zu fordern. Gesetzliche Vergütungsregelungen sind daher am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. Nichts anderes gilt für gerichtliche Entscheidungen, die auf Vergütungsregelungen beruhen (vgl. BVerfGE 88, 145, 159; 101, 331, 347; BVerfG K 6, 130, 132 f.). Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung sind mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, die durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt wird, und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Genüge getan ist (vgl. BVerfGE 83, 1, 16; 101, 331, 347). Bei der Auslegung und Anwendung eines Gesetzes haben auch die Fachgerichte Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts zu beachten; das Ergebnis der von ihnen vorgenommenen Auslegung der Norm darf insbesondere nicht zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führen (vgl. BVerfGE 85, 248, 258). Soweit – wie hier – eine Vergütungsregelung auszulegen ist, kann ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit dann vorliegen, wenn an sich vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls, auf die bereits eine zumutbare Kürzung der anwaltlichen Vergütung gestützt wurde, nochmals herangezogen werden, um weitere Kürzungen desselben Honoraranspruchs zu begründen (vgl. BVerfG K 6, 130, 133 f.; 10, 319, 322; 10, 322, 325; 14, 534, 538).«
(…)
Inhalt
Die kommende Ausgabe INDat Report 01_2025 erscheint am 29.01.2025.
Am 08.01.2025 ist Anzeigenschluss, alle weiteren Termine finden Sie auf www.der-indat.de.
Aktuelle Ausgabe: 18.12.2024
Umfang: 92 Seiten
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