Titel | INDat Report 01_2023 | Februar 2023
Titel | INDat Report 02_2023 | März 2023
Gesamtjahresstatistik 2022 und Redaktion aktuell
Zur Neuausrichtung der Vorsatzanfechtung durch den IX. Zivilsenat des BGH
- RL-Vorschlag zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts Reaktionen und Einordnungen zu Insolvency III - NIVD-Vorsitzende RAin Dr. Susanne Berner zum Berufsrecht Keine neue gemeinsame Verwalterlinie - Befragung der 24 Restrukturierungsgerichte: Bilanz für 2022 Erhebung der RES- und SAN-Sachen im zweiten Geltungsjahr des StaRUG - Unternehmensinsolvenzverfahren vom 01.01.2022 bis 31.12.2022 Bestellungen an allen Insolvenzgerichten, Rankings der Verwalter und Kanzleien nach Bestellungen und nach Umsätzen
Notwendige Korrektur einer aus dem Ruder gelaufenen Rechtsentwicklung?
Symposien & Diskussionen
Erste Stimmen zu Insolvency III aus Brüssel
Berlin. Nachdem die EU-Kommission am 07.12.2022 den lang erwarteten Richtlinienvorschlag »Proposal for a Directive harmonising certain aspects of insolvency law«, wie üblich vorerst nur in englischer Sprache, vorgelegt hatte, hat sich die Europagruppe der DAV-Arge Insolvenzrecht und Sanierung zusammen mit einem Kommissionsvertreter am 15.12.2022 in dem zweistündigen Webinar »Insolvency III ante portas – neue Harmonisierungspläne der EU« mit dem 65-seitigen Papier und seinen 73 Artikeln beschäftigt. Die Runde hat neben der Vorstellung der Regelungsvorschläge auch erste Einschätzungen, Bewertungen und mögliche Auswirkungen auf das deutsche Recht aufgezeigt und diskutiert. Besonders im Fokus stand dabei das sog. verwalterlose Verfahren für KKMUs, das große Befürchtungen und Umsetzungsbedenken ausgelöst hat.
Text: Peter Reuter
Nicht ganz zutreffend bzw. zu bescheiden ob der Leistung hat der Leiter der Arbeitsgruppe Europa und Moderator des Webinars, RA Daniel F. Fritz (Dentons), das von den Mitgliedern der Gruppe als Referenten bestrittene Webinar »Insolvency III ante portas«, bei dem sich die im Schnitt 100 und in der Spitze 160 zugeschalteten Teilnehmer im Chat zu Wort melden konnten, als »betreutes Lesen« bezeichnet. Über die komprimierte Zusammenfassung der einzelnen Titel und ihrer Erwägungsgründe (ErwG) hinaus richtete sich der Blick auch auf mögliche Auswirkungen auf das nationale Recht, wobei mit Kritik nicht gespart und Lob auch ausgesprochen wurde. Der Workshop behandelte Title II – Mindestanforderungen an die Insolvenzanfechtung (RA Patrick Ehret (Schultze & Braun)), Title III – Stärkung des Asset Tracings in grenzüberschreitenden Verfahren durch verbesserten Zugang zu Informationen und Registern (RA Ivo-Meinert Willrodt (Pluta)), Title IV – Einführung eines Pre-pack-Insolvenzverfahrens (RA Peter Hoegen (Allen & Overy)), Title V – Regelungen zur rechtzeitigen Antragstellung durch die Geschäftsleiter und zur Verbesserung der Transparenz (RA Florian Bruder (DLA Piper)), Title VI – Vereinfachte Abwicklungsverfahren für Kleinstunternehmen (RA Axel Bierbach (MHBK)) und Title VII – Anforderungen zur Verbesserung der Vertretung von Gläubigerinteressen im Verfahren durch Gläubigerausschüsse (RA Dr. Andreas Spahlinger (Gleiss Lutz)).
In der Einleitung begrüßte Daniel Fritz den aus Brüssel zugeschalteten Referatsleiter der Generaldirektion Recht der EU-Kommission, Andréas Stein, der über die Hintergründe und Grundüberlegungen dieser Richtlinie berichtete, in die »seine« Generaldirektion Justiz und die Generaldirektion FISMA (Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion) einbezogen waren. Zunächst führte Fritz, der auch die EU-Kommission als Private Expert bei diesem Richtlinienvorschlag unmittelbar beraten hatte, in das Papier ein, das »nicht vom Himmel gefallen« sei, sondern entsprechende Vorläufer und Vorüberlegungen hatte, die auf eine Entschließung des EU-Parlaments von 2011 zurückgehen, wonach ein funktionierender Kapital- und Binnenmarkt gleiche Spielregeln letztendlich auch im Insolvenzrecht benötigt, das den realen Mindestwert eines Vermögensgegenstands im Insolvenzverfahren regelt – man soll EU-weit auch in dieser Verteilungsfrage zu gleichen Ergebnissen kommen. Anhand eines Zeitstrahls zeigte Fritz die einzelnen Vorbereitungsschritte der zurückliegenden elf Jahre auf, sodass der Vorschlag an sich im Großen und Ganzen nicht überraschen dürfe, wenngleich aber einige Ausgestaltungen, denn bis zum 07.12.2022 war nach außen noch nicht so viel durchgedrungen wie z. B. bei der Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz. Im englischen Text gebe es die beiden Schlüsselbegriffe »may«, Ausdruck für Flexibilität in der nationalen Umsetzung und für weniger Harmonisierung (Öffnungsklauseln), hob Fritz hervor, und den Begriff »shall«, der die EU-Staaten an eine bestimmte Umsetzung zwingend bindet (Mindestanforderungen). An den künftigen Stellungnahmen sei dann anhand der Verwendung dieser beiden Begriffe abzulesen, ob der Absender den Vorschlag eher unterstützt oder national abwehrt. Der Vorschlag verfolge die drei Kernziele Vermögensverwertung, Effizienz des Verfahrens und vorhersehbare, faire Verteilung an die Gläubiger, denen sich die einzelnen Titel (s. o.) jeweils zuordnen lassen. Der weitere Fahrplan sehe im Januar den Beginn der institutionellen Verhandlungen mit EU-Parlament und Rat vor, wofür man rd. zwei Jahre veranschlage, die Umsetzung erfolge dann zwei Jahre nach Inkrafttreten.
(…)
Karlsruhe. Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) bezeichnet die neue Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Vorsatzanfechtung neben dem COVInsAG als »erheblichen Sondereffekt« und hat deshalb die fünf Jahre nach Inkrafttreten des »Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz«″ vorgegebene Evaluation um drei Jahre auf April 2025 verschoben. »Der Erkenntniswert einer auf den ursprünglichen Zeitraum bezogenen Evaluation wäre dadurch erheblich beeinträchtigt«, heißt es aus dem BMJ. Der Reformgesetzgeber von 2017 war angetreten, eine von Marktteilnehmern als ausufernd bezeichnete Praxis der Vorsatzanfechtung einzudämmen. Diese gesetzliche Neujustierung galt es ursprünglich im April 2022 zu evaluieren. Die Neuausrichtung der Vorsatzanfechtung durch den BGH nahm ihren Ausgang im Urteil vom 06.05.2021 (IX ZR 71/20), das seit dessen Veröffentlichung am 05.07.2021 und mit seinen Folgeentscheidungen hohe Wellen schlug und weiterhin schlägt. Die Reaktionen in sozialen Medien, in Vorträgen und in der Fachliteratur sprechen von Richtungsänderung oder Kehrtwende, beipflichtende Stimmen nennen es »überfällige Neujustierung« und kritische Kommentatoren »Vorsatzanfechtung ade«. Gleichzeitig weist der BGH darauf hin, dass die Neuausrichtung in der Mehrzahl der Fälle zu keinem abweichenden Ergebnis führen werde. Was bedeutet die Neuausrichtung letztendlich für das sog. scharfe Schwert der Insolvenzverwalter zur Massemehrung und die Verteidigungsmöglichkeiten für Anfechtungsgegner? Handelt es sich etwa um eine Verzwergung der Vorsatzanfechtung oder eher um die notwendige Korrektur einer aus dem Ruder gelaufenen Rechtsentwicklung? Erstmalig äußert sich der ehemalige Vorsitzende des IX. Zivilsenats, Prof. Dr. Godehard Kayser, zur neuen Rechtsprechung seines ehemaligen Kollegiums in schriftlicher Form und unternimmt eine Einordnung und Bewertung der Neuausrichtung der Vorsatzanfechtung unter Einbeziehung von Grundlagen und Hintergründen. Mit der Reform des Anfechtungsrechts von 2017 geht Kayser hart ins Gericht: Dort sei »systematischer Pfusch« betrieben worden.
Text: Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a. D. Prof. Dr. Godehard Kayser
Vorbemerkung
Kürzlich hat der BGH in seinem zur Vorsatzanfechtung ergangenen Urteil vom 13.10.2022 (IX ZR 130/21, ZIP 2022, 2501) noch einmal zusammengefasst, welche Anforderungen er an die Feststellung des Vorsatzes und an die Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon stellt. Er hat wiederholt, dass diese Voraussetzungen in aller Regel nur mittelbar aus objektiven Hilfstatsachen hergeleitet werden können (Rn. 9), welche Aufgabe dem Tatrichter bei der Feststellung zukommt (Rn. 10) und worauf sich die revisionsrechtliche Kontrolle in diesem Zusammenhang erstreckt (Rn. 11). Das Urteil hebt mahnend hervor, dass die neue Rechtsprechung des BGH zu den für und gegen den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz sprechenden Beweisanzeichen zu berücksichtigen sei, die Indizien eine Gesamtwürdigung nicht entbehrlich machten und nicht schematisch im Sinne einer von dem anderen Teil zu widerlegenden Vermutung angewandt werden dürften (Rn. 10). Das alles klingt ohne Studium der dort ergänzend zitierten neueren Urteile nach purer Wiedergabe des Rechtsprechungsstands, wie er unter dem Vorsitz des Verfassers und seiner beiden Vorgänger entwickelt worden ist (dazu näher Kayser, WM 2013, 293–340; ders., NJW 2014, 422–428). Ist das Wasser auf die Mühlen derjenigen Kommentatoren der neuen Rechtsprechung, die meinen, letztlich habe der BGH alles beim Alten gelassen? Oder ergibt eine sorgfältige Analyse der Anfechtungsrechtsprechung der letzten beiden Jahre eine totale Kehrtwende oder liegt die Wahrheit in der Mitte, dass sie im Grunde nur die Kräfteverhältnisse im Anfechtungsprozess besser berücksichtigt, bei denen der Insolvenzverwalter aufgrund seiner Einsicht in die Geschäftsunterlagen des Schuldners und seiner Ermittlungsmöglichkeiten überlegen ist (Hiebert, ZInsO 2022, 1660, 1665)? Dient die Neuausrichtung dem Rechtsfrieden oder führt sie letztlich nur dazu, dass die Rechtssicherheit entgegen dem Gesetzestitel des Anfechtungsreformgesetzes weiter verschlechtert wird, die Quotenerwartungen weiter sinken und die Tendenz zu weniger Verfahrenseröffnungen verstärkt wird (Büttner, INDat Report 03_2022, 13, 21)? Gerne äußere ich mich zu diesen Fragen. Was hat sich im Bereich der Vorsatzanfechtung durch die Gesetzesnovelle und die Rechtsprechung geändert? Was bedeuten die Änderungen in der Praxis? Welche Strategien bieten sich – je nach Perspektive – für den Verwalter, aber auch für den rechtlichen Berater bei der Durchsetzung oder der Abwehr von Ansprüchen aus Insolvenzanfechtung an?
- Beweggründe für die Neuausrichtung
Es wäre verkürzend, die Neuausrichtung der Rechtsprechung im zeitlichen Anschluss an die »personelle Runderneuerung« des IX. Zivilsenats allein an dem teilweise neuen Senatskollegium festzumachen. Sie speist sich, wie ich die Dinge sehe, auch aus einer zweiten Quelle, nämlich der Reform des Anfechtungsrechts durch das »Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz« vom 29.03.2017 (BGBl. I 654). Die ersten Rechtsfälle, die auf der Grundlage der Neuregelung zu entscheiden waren, wurden beim BGH erst nach dem Ausscheiden des Verfassers sowie zweier weiterer langjähriger Senatsmitglieder aus der Senatsarbeit spruchreif. Vor diesem Hintergrund lag es nahe, die schon durch die veränderte Gesetzeslage geforderte Neuausrichtung der Rechtsprechung erst nach den personellen Wechseln der Jahre 2019/2020 in Angriff zu nehmen.
In der Rückschau ist es mehr als bedauerlich, dass die damalige Leitung der Zivilrechtsabteilung des BMJV offenbar nicht den »Mumm« hatte, die obersten Bundesgerichte, zuvörderst den BGH, an den Gesetzgebungsarbeiten zur Anfechtungsreform zu beteiligen. Dies war schon deshalb kurzsichtig, weil von Karlsruhe konstruktive Beiträge für die vom Ministerium angestrebte rechtssichere Lösung zu erwarten waren. Wenn es der eine oder andere auch nicht glauben mag, wären in Karlsruhe ausgewogene Vorschläge erarbeitet worden, welche die Interessen der Masse wie die der von der Vorsatzanfechtung bedrohten Gläubiger in ein gerechtes Verhältnis gesetzt hätten. Es soll an dieser Stelle nur an den Beitrag von Schoppmeyer (ZIP 2009, 600) erinnert werden. In weiteren Beiträgen hat Schoppmeyer erwägenswerte Maßstäbe, nach denen das Insolvenzanfechtungsrecht rechtssystematisch auszurichten sei, ausführlich dargestellt (WM 2018, 301 ff., 353 ff.). Der Verfasser hatte schon beim Aufbranden der Diskussion um die angebliche Überdehnung der Vorsatzanfechtung den inneren Grund für diese Entwicklung benannt: Bei kongruenten Deckungen sei daran zu erinnern, dass nach allen empirischen Erkenntnissen die materielle Insolvenz des Schuldners und damit die anfechtungsrechtlich relevante Krise (»kritische Zeit«) regelmäßig viel früher eintrete, als es §§ 130, 131 InsO definierten (vgl. Kayser/Heidenfelder, ZIP 2016, 447, 448). Erfasste die Deckungsanfechtung nach diesen an die Rechtswirklichkeit anzupassenden Vorschriften den gesamten Zeitraum der Zahlungsunfähigkeit, könnte die Vorsatzanfechtung auf die Fälle der echten Absichtsanfechtung begrenzt werden.
Die Verfasser der Anfechtungsnovelle haben diese Überlegungen nicht aufgegriffen, sondern maßgeblich auf die Expertise der Berufsverbände gesetzt, deren Begründung teilweise bis in die Wortwahl die Blaupause für die Gesetzesbegründung geliefert hat (vgl. BT-Drs. 18/7045; Empfehlungen des Rechtsausschusses des Bundestages, BT-Drs. 18/11199). So erklären sich die wolkigen Begriffe der »Unlauterkeit« und der »Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs«, welche Eingang in § 142 Abs. 1, 2 Satz 1 InsO gefunden haben (vgl. Kayser, ZIP 2018, 1153). Die Erschwerung der Anfechtung durch den Reformgesetzgeber baut auf dem Rechtsprechungsgebäude des IX. Zivilsenats auf, nimmt dessen Auslegung zu § 133 InsO im Grundsatz hin und beschränkt sich auf mehr oder wenig geglückte chirurgische Eingriffe (vgl. Kayser, ZIP 2014, 1966). Im Ergebnis hat die lobbymäßig getriebene und rein ergebnisorientierte Reform des Anfechtungsrechts – ich sage es einmal hart – systematischen Pfusch geliefert. Insbesondere wurde es versäumt, beim Verhältnis von § 133 InsO zu § 130 InsO einen sauberen Neustart zu wagen.
Der Senat war deshalb – so ist jedenfalls meine Wahrnehmung – in zweifacher Weise gefordert: Er musste der Neuregelung Konturen verleihen, und zwar unter gleichzeitiger Umsetzung der Vorstellungen des Senats in seiner zum Teil neuen personellen Besetzung. (…)
Inhalt
Die kommende Ausgabe INDat Report 02_2023 erscheint am 23.03.2023.
Am 01.03.2023 ist Anzeigenschluss, alle weiteren Termine finden Sie auf www.der-indat.de.
Die kommende Ausgabe INDat Report 03_2023 erscheint am 26.04.2023.
Am 05.04.2023 ist Anzeigenschluss, alle weiteren Termine finden Sie auf www.der-indat.de.
Aktuelle Ausgabe: 1. Februar 2023
Umfang: 112 Seiten
Aktuelle Ausgabe: 23. März 2023
Umfang: 88 Seiten
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