Titel | INDat Report 08_2024 | Oktober 2024
Strategien und Ansätze zur Bewältigung der Insolvenzgründe in der Gründungsszene
Der Dreh bei Start-up-Krisen
Deutschland gilt mit rd. 61.000 Start-ups in hoch spezialisierten Branchen laut German Trade & Invest (GTAI) als eines der größten und attraktivsten Start-up-Ökosysteme der Welt. Zur Unterscheidung von klassischen Firmen- und Existenzgründungen definieren sich Start-ups – sie sind jünger als zehn Jahre – durch eine innovative Geschäftsidee oder ein neues Produkt bzw. eine neuartige Dienstleistung, die ein hohes Wachstumspotenzial besitzen oder versprechen. Es kann sich dabei auch um Produkte und Dienstleistungen handeln, die sich bisher auf dem Markt aus vielerlei Gründen nicht durchgesetzt haben. Deutsche Start-ups finden sich vor allem in der Informations- und Kommunikationstechnik, gefolgt von Medizin- und Gesundheitslösungen, bei
Nahrungsmitteln und Konsumgütern. Laut Deutschem Startup Monitor 2023, der 1825 Start-ups und 4559 Gründerinnen und Gründer repräsentiert, ordnen sich rd. 40 % der Green Economy zu. Die Start-ups haben sich zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor entwickelt, im Durchschnitt beschäftigen sie 19 Mitarbeiter und planen acht Neueinstellungen. Als zentrale Herausforderungen für Gründergeist und Unternehmertum stehen das Kapital (43 % vs. 39 % 2022) und der Cashflow (32 % vs. 24 % 2022) im Vordergrund, die Situation des Personalmarkts (21 % vs. 34 % 2022) hat sich laut der Befragung etwas entspannt. Start-ups besitzen also viel Potenzial und können sehr rasant wachsen, wenn sie denn erfolgreich und ausreichend in den Gründungsphasen finanziert sind. Im Umkehrschluss ist es aber auch deutlich riskanter, mit einem Start-up wirtschaftlich zu scheitern als mit einem neu gegründeten »herkömmlichen« Unternehmen. Die Erfolgschancen sind also nicht hoch, doch neun von zehn der in der genannten Studie befragten Gründerinnen und Gründer würden es wieder machen und erneut gründen.
Text: Rechtsanwältin Dr. Susann Brackmann, Rechtsanwalt Benedikt Straubinger, Ass. jur. Saskia Steinicke
- Einführung
Im Zusammenhang mit der Überlebenswahrscheinlichkeit von Start-ups lautet eine häufig zitierte Aussage: »Neun von zehn Start-ups scheitern.« Obwohl die durchschnittliche Lebensdauer von Start-ups in Deutschland gerade einmal 2,8 Jahre beträgt, sind medienwirksame Aussagen wie die vorgenannte mangels belastbarer Daten kaum zu belegen. Eine Herausforderung betrifft bereits die Frage, ab wann ein Unternehmen als gescheitert gilt. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass sich die Verhältnisse – abhängig von Standort, Industrie und aktueller Stage des Start-ups – stark unterscheiden und eine Vergleichbarkeit somit erschweren. Im Fall einer finanziellen Krise eines Start-ups können grundsätzlich zwei mögliche Szenarien identifiziert werden:
Szenario 1: Vielfach verschwinden finanziell angeschlagene Start-ups vom Markt, ohne dass ein Insolvenzverfahren beantragt wird. Für Gesellschafter und Gläubiger von Start-ups ist es gängige Praxis, sich formlos zu einigen, das Unternehmen anschließend abzuwickeln und zu schließen. Dies hängt mit der besonderen Kapitalstruktur von Start-ups zusammen, die sich signifikant von etablierten Unternehmen unterscheidet. Bevor ein Start-up mit einem umsatzwirksamen Produkt oder einer Dienstleistung überhaupt rentabel wird, muss es in kürzester Zeit hohe Summen von Barmitteln aufwenden, um das Produkt oder die Erfindung zu entwickeln, eine Belegschaft aufzubauen und den Marktanteil sowie die Zahl der aktiven Nutzer durch Vertrieb und Marketing zu vergrößern.
Dieser Cash Burn erfordert einen erheblichen Kapitalbetrag. Fremdkapital in Form von konventionellen Krediten ist in der Anfangsphase aufgrund des negativen Cashflows und der allgemein hohen Misserfolgsquote von Start-ups kaum verfügbar. Daher bevorzugen insbesondere Tech-Start-ups bei ihrer Planung im Allgemeinen die Eigenkapitalfinanzierung gegenüber Fremdkapital von externen Gläubigern. Die wichtigsten Finanzierungsquellen für Start-ups stellen dann Business Angels und Risikokapital (VC) dar. Bei dieser Art der Eigenkapitalfinanzierung generieren periodische externe und/oder interne Finanzierungsrunden während der verschiedenen Wachstumsphasen des Unternehmens die benötigten Mittel. Jede weitere Finanzierung hängt dabei von der Unternehmensleistung ab. In regelmäßigen Abständen wird daher die finanzielle Leistung des Start-ups überprüft. Sobald die Investoren feststellen, dass ein gewinnbringender Ausstieg für den VC-Fonds unwahrscheinlich ist, ziehen sie sich in der Regel zurück und stellen kein weiteres Kapital mehr bereit.
Eine finanzielle Krise entsteht demnach bei Start-ups regelmäßig deshalb, weil die dringend benötigten Finanzierungsrunden ausbleiben, ohne dass sich das Unternehmen signifikanten oder überhaupt Gläubigerforderungen ausgesetzt sieht. Diese besondere Ausgangslage ermöglicht es den Investoren als Anteilseigner, eine »stille« Abwicklung durchführen zu können. Dies kann sowohl Verfahrens- als auch Reputationskosten der Investoren minimieren. In Konsequenz dessen ist auch das Schicksal der bislang getätigten Investitionen, teilweise in Millionenhöhe, besiegelt.
Szenario 2: In der Vergangenheit ist es einigen Start-ups gelungen, einen alternativen Weg einzuschlagen. Start-ups wie zenloop, Noyes Technologies, Heytimi, Smart4Diagnostics sowie jüngst auch Samdock gelang es, die Insolvenz mittels übertragender Sanierung zu überwinden. Die hier betrachteten Start-ups kennzeichnet, dass sie über eine vielversprechende technische Geschäftsidee verfügen und mehrere Finanzierungsrunden sie mit erheblichem Eigenkapital in Millionenhöhe ausgestattet haben. Dennoch sahen sich alle diese Start-ups im vergangenen Jahr gezwungen, einen Insolvenzantrag zu stellen. Zugleich gelang es ihnen, das vorläufige Insolvenzverfahren zu nutzen, um einen neuen Investor zu finden, der das Unternehmen erwirbt, bevor das förmliche Insolvenzverfahren über die verbleibenden Vermögenswerte der Start-ups als zurückbleibende leere Hüllen eröffnet wurde.
Ein Start-up im Regelinsolvenzverfahren bringt für die übertragende Sanierung einige Besonderheiten. Bei einem etablierten Unternehmen hält die übertragende Sanierung die unterschiedlichen Wirtschaftsgüter wie materielles und immaterielles Anlagevermögen, Umlaufvermögen und Belegschaft zusammen und führt diese Gesamtheit als Going Concern der Sanierung zu. Bei einem Start-up bestehen viele dieser Positionen noch nicht oder ihre Bedeutung für die Gesamtheit des Unternehmens ist von nachgeordneter Position. Vielmehr besteht ein Start-up oft nur aus den Gründern und der Geschäftsführung sowie einer Geschäftsidee, ohne dass diese sich bereits in einer immaterialgüterrechtlichen Rechtsposition niedergeschlagen hätten. Das bedeutet: Im Grunde kann jeder Interessent, auch ohne Erwerb aus der Insolvenzmasse, die Erfolg versprechende Geschäftsidee weiterverfolgen.
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Inhalt
Die kommende Ausgabe INDat Report 09_2024 erscheint am 07.11.2024.
Am 16.10.2024 ist Anzeigenschluss, alle weiteren Termine finden Sie auf www.der-indat.de.
Aktuelle Ausgabe: 02.10.2024
Umfang: 88 Seiten
Berater & Kanzleien
Juristisch durchdenken, unternehmerisch handeln
Georg Heidemann und Markus Küthe
Dienstleister & Spezialisten
Klare Worte in der Krise
dictum media GmbH