– Sanierungspotentiale des Insolvenzrechts auch in der Pandemie ausschöpfen –
– Geltende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht muss endgültig auslaufen –
Berlin, 19.04.2021 Die Bundesagentur für Arbeit muss einem Unternehmen mit dem Kurzarbeitergeld die Sozialversicherungsbeiträge auch dann erstatten, wenn der Betrieb nach einem Insolvenzantrag fortgeführt und eine Sanierung angestrebt wird. Das entschied jetzt erstmals das Sozialgericht Würzburg in einem Eilverfahren (16.04.2021, Az. S 7 AL 59/21 ER). Aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein (DAV) ist dies eine richtungsweisende Entscheidung, um im zweiten Jahr der Pandemie das Insolvenzrecht wieder uneingeschränkt anzuwenden und dessen Sanierungspotentiale zu nutzen.
Der Anspruch auf Kurzarbeitergeld umfasst auch die Sozialversicherungsbeiträge. Allerdings hat sich die Bundesagentur für Arbeit auf den Standpunkt gestellt, für eine Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge sei nach Insolvenzantragstellung kein Raum. Eine Rückforderung der vom Unternehmen verauslagten Sozialversicherungsbeiträge sei schließlich nach einer späteren Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Wege einer Insolvenzanfechtung möglich. Aus Sicht der antragstellenden Textil-Einzelhandelskette bedeutete die Ablehnung der Erstattung jedoch eine zusätzliche Belastung ihrer Liquiditätssituation in der Insolvenzantragsphase. Ohne die kurzfristige Auszahlung seien die Aufrechterhaltung ihres Geschäftsbetriebes und der Investorenprozess gefährdet. Dies begründete aus Sicht des Gerichts eine hinreichende Eilbedürftigkeit, um die Bundesagentur für Arbeit vorläufig zur Zahlung zu verpflichten.
„Die Entscheidung enthält ein wichtiges positives Signal für Unternehmen in der Krise, dass ihnen in einem geordneten rechtlichen Verfahren zur Sanierung dieselben wirtschaftlichen Unterstützungen gewährt werden wie sie auch andere zur Bewältigung der Pandemiefolgen erhalten“, erklärt Dr. Anne Deike Riewe, stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft. Das Insolvenzrecht sei schon lange nicht mehr auf die bloße Abwicklung, sondern auf das Erkennen und das Nutzen von Rettungsmöglichkeiten für Unternehmen ausgerichtet.
„So richtig es zu Beginn der Pandemie war, Zeit für eine Reaktion auf die völlig neue Situation auch durch eine Aussetzung der Insolvenzantragspflichten zu geben: Wir befinden uns jetzt im zweiten Jahr der Pandemie“, betont Riewe. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ansteckungen mögen manche unternehmerische Perspektive noch unsicher gestalten. „Typische Unternehmerinnen und Unternehmer verbindet mit ihren Beratern in der Unternehmenskrise, dass sie zupacken und Dinge in Bewegung bringen wollen. Dies muss durch politische Entscheidungen gefördert werden“, so Riewe. Die Arbeitsgemeinschaft plädiert daher auch vor dem Hintergrund der umfangreichen Änderungen des Sanierungs- und Insolvenzrechts, die zum 1. Januar 2021 in Kraft getreten sind, dafür, die weiterhin in beschränktem Umfang geltende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zum 30. April 2021 endgültig auslaufen zu lassen. Stattdessen sollte die Stärkung der wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Neuaufstellung zukunftsträchtiger Geschäftsmodelle in den Mittelpunkt gerückt werden.
Die Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein (DAV) ist ein Zusammenschluss von über 1.300 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, deren berufliches Interesse sich besonders auf das Insolvenzrecht und die Sanierung von Unternehmen richtet. Die Arbeitsgemeinschaft ist seit November 1999 als Arbeitsgemeinschaft im DAV organisiert. Sie ist bundesweit die größte deutsche Vereinigung von Insolvenzrechts- und Sanierungsexperten. Der Deutsche Insolvenzrechtstag, den die Arbeitsgemeinschaft 2004 ins Leben gerufen hat, ist die größte insolvenzrechtliche Veranstaltung in Europa. Darüber hinaus veranstaltet die Arbeitsgemeinschaft seit 2012 einmal jährlich den Europäischen Insolvenzrechtstag / European Insolvency & Restructuring Congress (EIRC) in Brüssel.