Titelthema | Jan Dettbarn, Dr. Wolfram Prusko, Dr. Leo Plank | INDat Report 01_2016 | Februar 2016

Aktionsplan der Europäischen Kommission Doing Business: Nutzen und Grenzen der Weltbank-Studie

Mit dem jüngsten Aktionsplan hat die Europäische Kommission weitere gesetzgeberische Aktivität in dem Bereich des Unternehmensinsolvenzrechts in Aussicht gestellt. Basierend auf der aus ihrer Sicht unzureichenden Umsetzung der Empfehlungen aus dem Jahr 2014 veranlasst sie nun das unterdurchschnittliche Abschneiden der Mitgliedstaaten im Doing-Business-Bericht 2016 der Weltbank zur Umsetzung durch konkrete gesetzgeberische Maßnahmen der Union. Der folgende Aufsatz stellt unter I. zunächst den Hintergrund für die Heranziehung der Studie der Weltbank durch die Europäische Kommission dar, geht sodann unter II. auf die Studie und deren Aussagen ein, bevor unter III. Nutzen und Grenzen der Weltbank-Studie für die angekündigte Gesetzgebung entwickelt werden.

I. Der Aktionsplan und die Weltbank-Studie Doing Business 2016

Ende September des vergangenen Jahres legte die Europäische Kommission einen Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarkt­union vor, der u. a. Neuregelungen für die Restrukturierung ankündigt. Die Europäische Kommission reagiert damit auf die aus ihrer Sicht mangelnde Umsetzung oder praktische Geltung der 2014 vorgelegten Empfehlungen.
Konkret will die Kommission einen Legislativentwurf über Unternehmensinsolvenzen vorschlagen, der Bestimmungen zu frühen Umstrukturierungen und zur zweiten Chance enthält. Dieser Entwurf soll ausgehend von nationalen Regelungen, die gut funktionieren, die wichtigen Hindernisse für den freien Kapitalverkehr beseitigen. Ein solches Instrument war den Nationalstaaten von der Kommission im Jahr 2014 empfohlen worden; die Auswertung ergab allerdings, dass die Maßnahmen ein Jahr danach nicht hinreichend Einzug in das geltende Recht gefunden haben. Ein Entwurf ist für das vierte Quartal 2016 vorgesehen.
Als Anlass für den Aktionsplan zieht die Europäische Kommission nun die Doing-Business-Studie der Weltbank heran. In Kürze zitiert sie dort, dass die EU hierin im Schnitt unter dem durchschnittlichen Niveau der OECD-Staaten abschneidet. Offenbar sieht die Kommission darin eine Triebfeder, die zu legislativen Maßnahmen veranlasst.
Im Nachgang zur Veröffentlichung des Aktionsplans ist bereits verschiedentlich auch auf deutscher Seite auf die Doing-Business-Studie verwiesen worden, in der Deutschland im Vergleich zu den betrachteten anderen 188 Nationen im Bereich Resolving Insolvency den dritten Platz hinter Finnland und Japan und vor England (13.) und Frankreich (24.) belegt. Auch hat etwa Bundesjustizminister Heiko Maas auf diese Studie verwiesen, als er in seiner Rede auf dem Deutschen Insolvenzverwalterkongress am 04.11.2015 in Berlin die Herausforderungen für den deutschen Gesetzesgeber referierte, auf die Vorgaben der EU-Kommission zur Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens einzugehen.
Doch wie aussagefähig ist die Studie für die Ziele der Europäischen Kommission? Was kann sie leisten und wo hat sie notwendigerweise Limitationen?

II. Die Doing-Business-Studie
der Weltbank

Doing Business ist ein Projekt der Weltbank und existiert seit 2003. Untersucht werden die regulatorischen, rechtlichen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen für Unternehmen in den erfassten Ländern. Resolving Insolvency, die Effizienz des lokalen Insolvenzrechts, ist einer von zehn untersuchten Bereichen und betrachtet zwei Aspekte:
1. Einschätzung der Recovery Rate für besicherte Gläubiger – hier wird den Befragten eine Fallstudie vorgegeben, die einem Research-Papier aus dem Jahr 2008 entnommen ist. In der Fallstudie sind das wahrscheinliche Resultat für einen vorgegebenen Restrukturierungsfall (Going Concern oder Liquidation in Teilen), die Dauer sowie die Kosten des in der vorgegebenen Situation wahrscheinlichsten Verfahrens abzuschätzen. Als Basisannahme wird angesetzt, dass der Marktwert des Unternehmens, welches die Sicherheit darstellt, der Höhe des Darlehens des besicherten Gläubigers entspricht. Going Concern, also ein Verkauf des Unternehmens (ein Hotel) im laufenden Betrieb, führt in der Fallstudie zu einer höheren Recovery als die Liquidation in Teilen. Das bedeutet, wenn die Befragten auf Basis der Fallstudie für ihre Volkswirtschaft eher von einer Zerschlagung ausgehen, wirkt sich dies negativ auf das Ranking aus. Für Deutschland wird von einer Recovery von 83,7 % für den besicherten Gläubiger und Going Concern ausgegangen (diskontierter Barwert unter Berücksichtigung von 8 % Verfahrenskosten).
2. Der zweite Teil untersucht Stärke und Effizienz des lokalen Insolvenzrechts im Vergleich zu international anerkannten Best Practices für Insolvenzverfahren. Als Benchmark werden hierbei die World Bank‘s Principles for Effective Insolvency and Creditor/Debtor Regimes und die United Nations Commission on International Trade Law‘s (UNCITRAL) Legislative Guide on Insolvency Law herangezogen. Untersuchte Kategorien sind
a. Commencement of proceedings (Flexibilität der Insolvenzantragsgründe für Schuldner und Gläubiger/zur Verfügung stehende Verfahrensarten),
b. Management of debtor’s assets (Möglichkeit des Abstoßens negativer Verträge und der Weiterführung positiver / Verfügbarkeit von Finanzierung nach Antragsstellung),
c. Reorganization proceedings (Zustimmungserfordernisse für gerichtliche Restrukturierungspläne) und
d. Creditor participation (Gläubigerrechte im Insolvenzverfahren z. B. in Bezug auf die Bestellung des Verwalters, Informationszugang, Kontrolle über Transaktionen).
Insgesamt sind für den zweiten Teil der Auswertung 16 Punkte zu vergeben, von denen Deutschland 15 erhält. Der EU-Durchschnitt liegt bei 11,8 Punkten und damit leicht unter dem Durchschnitt der OECD-Länder (11,9 von 16 möglichen Punkten). Weitere Details zum methodischen Ansatz finden sich unter
http://www.doingbusiness.org/methodology/resolving-insolvency.

(…)

Editorial | Peter Reuter | INDat Report 01_2016 | Februar 2016

Eingeengter Blickwinkel

»Weltmarktführend« trifft zu, wenn Deutschland unter 189 Wirtschaftsnationen im Bereich »Resolving Insolvency« Platz 3 nach Finnland und Japan einnimmt. Zu diesem Ergebnis kommt die Doing-Business-Studie 2016 der Weltbank, die die Rahmenbedingungen für Unternehmen unter die Lupe nimmt und dabei u. a. das Insolvenzrecht beleuchtet hat. Bundesjustizminister Heiko Maas weist darauf hin, dass die EU-Kommission diese Rangliste zum Maßstab nehme, welche Insolvenzrechte sich als Modell für eine Rechtsvereinheitlichung in Europa eigneten.

Auch der Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. (VID) betont dieses hervorragende Resultat des deutschen Insol­venz­rechts und hebt vor, dass »andere im Insolvenzrecht scheinbar führende Nationen wie England (Platz 15) und Frankreich (Platz 24)« weit abgeschlagen hinten lägen.

Bevor man allerdings dieses Ranking uneingeschränkt als Leitfaden für Reformen heranzieht, scheint es angebracht zu sein, genau darauf zu schauen, welche Untersuchungsgegenstände die einzelnen Bereiche umfasst haben und wie sich
das Making of gestaltet hat. Wie die drei Autoren der Titel­story darlegen, führt ein genauer Blick in diesen 338 Seiten umfassenden Report zu der Erkenntnis, dass es Lücken im Inhalt und bei der Machart gibt, die das Rankingergebnis der Doing-Business-Studie somit relativieren.

Wenn es der EU-Kommission mit dem im Aktionsplan angekündigten Legislativentwurf auch um die Schaffung eines einheit­lichen, präventiven Restrukturierungsgerüsts geht, kann die Weltbank-Studie in diesem Punkt als Guideline wohl wenig weiterhelfen. Denn: Vorinsolvenzliche Sanierungsinstrumente haben nicht im Blickwinkel der Länderbetrachtungen gestanden. Wären diese Werkzeuge und ihre Erfahrungen damit, wie vor einem Insolvenzverfahren der drohenden Krise begegnet werden kann, mit eingeflossen, stünden England und Frankreich wahrscheinlich nicht abgeschlagen hinten im Ranking.

Inhaltsverzeichnis

3
Editorial
 
5
INDat Barometer I
 
6
Namen & Nachrichten
 
8
Erste Lesung RegE Insolvenzanfechtungsrecht
 
 
10
Titel
Aktionsplan der Europäischen Kommission
Doing Business: Nutzen und Grenzen der Weltbank-Studie
17
Im Gespräch
Dr. Joaquim Sarrate Pou
Listung einer spanischen S.L.P. am AG Mannheim Blickwinkel nicht mehr lokal, sondern europäisch
18
Verwalter & Kanzleien
RA Dr. Frank Kreuznacht, RA Thore Voß, RA Dr. Jens Buchta (BBORS Kreuznacht)
Verwaltung und Beratung schon immer parallel verfolgt
22
Letters from Oxford
Prof. Dr. Reinhard Bork
Step by step
23
Im Gespräch
RAin Sabina Schellenberg
Young Members Group von INSOL Europe Drink Reception mit Folgen
24
Verbände & Veranstaltungen
Gründungsveranstaltung der NextGen-Gruppe der TMA Deutschland in Frankfurt
NextGen geht an den Start
26
Professoren & Hochschulen
Prof. Dr. Henning Werner (SRH Hochschule Heidelberg) und Prof. Dr. Markus W. Exler (Fachhochschule Kufstein)
Gelebte Vernetzung jenseits der Theorie
30
Schwerpunkt: Verwaltermarkt
Nüchterne Bilanz für den Fachberater
 
32
Arbeitskreise & Vorträge
Kölner Arbeitskreis für Insolvenzwesen e. V.
Festvortrag von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt »Nichts für Feiglinge und nichts für Rambos«
34
Kongresse & Tagungen
2. Deutsch-Österreichischer Rechts- und Praxisvergleich in Nürnberg
Facettenreiche Felder hüben wie drüben
39
Verbände & Veranstaltungen
Parlamentarischer Abend des VID e. V. in Berlin
Anfechtung beim Abendessen
40
Kongresse & Tagungen
30. DAV-Verbraucherinsolvenzveranstaltung in Bonn
Raum und Zeit für Details und Diskussionen
44
Schwerpunkt: ESUG-Evaluation
ESUG-Praxiserfahrungen und das Unwort »Insolvenz«
 
50
Statistik
Korrigierte Version der Statistik einzelner Städte aus der Gesamtstatistik 2015
 
58
Statistik
Top 30 Verwalter, Top 30 Kanzleien, Top 10 Gerichte
 
59
INDat Barometer II
 
 
62
Sachsen