Titelthema | Peter Reuter | INDat Report 02_2016 | März 2016

Bundestagsanhörung zur Reform des Insolvenzanfechtungsrechts

Berlin. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags hatte am 24.02.2016 zu einer öffentlichen Anhörung zum RegE eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der InsO und nach dem AnfG ins Paul-Löbe-Haus eingeladen und sieben Sachverständige um ihre Einschätzungen gebeten. Ein Auslöser dieser Reform war die beklagte angeblich ausufernde Rechtspre­chung des Bundesgerichtshofs zur Vorsatzanfechtung, doch in der Anhörungsrunde saß kein BGH-Richter, dafür drei Verwalter, eine Vertreterin
der Wirtschaft, zwei Gewerkschafter und ein Landgerichtspräsident.
Ihre Meinungen und Antworten auf die Fragen der Abgeordneten waren in vielen Kritik- und Zustimmungspunkten fast einhellig, weitere Positionen fanden immerhin jeweils mehrere Befürworter, sodass der Tenor der Anhörung ganz und gar nicht diffus, sondern gut greifbar ist. Größter und übereinstimmender Kritikpunkt war das an mehreren Stellen im RegE verankerte Privileg von Fiskus und Sozialversicherungsträgern, das den Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz der InsO konterkariere und das moderne Insolvenzrecht als Sanierungsinstrument fast leerlaufen lasse.

Alle saßen bereits auf ihren Plätzen im Anhörungssaal, die Bundestagsabgeordneten, die sieben Sachverständigen und die Vertreter der Bundesregierung sowie die Gäste, als etwas verspätet und abgehetzt die Vorsitzende des Rechtsausschusses, Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), eintraf und nach einer Entschuldigung für die Verspätung sofort die öffentliche Anhörung eröffnete. Neun MdB folgten der zweistündigen Anhörung und stellten Fragen, davon acht MdB aus dem Rechtsausschuss und ein Mitglied des Finanzausschusses, Margret Horb (CDU/CSU). Neben den vier Berichterstattern zum Insolvenzrecht, Prof. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU), Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD), Richard Pitterle (Die Linke) und Katja Keul (Bündnis 90/Die Grünen), waren die CDU/CSU-Fraktionsmitglieder Elisabeth Winkelmeier-Becker, Dr. Silke Leunert und Ingo Wellenreuther sowie Dr. Johannes Fechner (SPD) anwesend. Für die Bundesregierung erschienen der Parl. Staatssekretär im BMJV, Christian Lange, die Leiterin der Abteilung Rechtspflege, MinDir Marie Luise Graf-Schlicker, sowie der neue Ko-Referatsleiter (RA6), RegDir Alexander Bornemann. Die Besuchertribüne war etwa zu Dreiviertel gefüllt. In wenigen Sätzen stellte Renate Künast die Ziele des RegE eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechts­sicherheit bei Anfechtungen nach der InsO und nach dem AnfG vom 16.12.2015 vor und erläuterte den Sachverständigen, Ralf-Peter Hayen (DGB-Bundesvorstand, Referatsleiter Abt. Recht), Prof. Dr. Michael Huber (Präsident des LG Passau), RAin Birgit Kurz (Siemens AG/BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie  e. V.), RA Dr. Christoph Niering (Vorsitzender des VID – Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e. V.), RA Dr. Martin Prager (Deutscher Anwaltverein e. V./Vors. Arge Insolvenzrecht und Sanierung), RA Dr. Nils G. Weiland und Andrej Wroblewski (IG Metall, FB Sozialpolitik/Ressort Arbeits- und Sozialrecht im Vorstand), das Prozedere: Eingangsstatements von je fünf Minuten, gefolgt von Fragerunden der Abgeordneten.
Den (alphabetischen) Auftakt machte Gewerkschafter Ralf-Peter Hayen, der den RegE als »Schritt in die richtige Richtung« bezeichnete, um die Handlungsmöglichkeiten von Insolvenzverwaltern und Gerichten gesetzlich einzuschränken. Die Konkretisierung des Bargeschäftsprivilegs für Arbeitnehmer begrüßte er ausdrücklich und fügte hinzu, dass sich die Insolvenzanfechtung von Arbeitsentgelt in einer ohnehin existenziell belasteten Phase sanierungsfeindlich auswirke und die Fortführung des Unternehmens behindere. Auch stimmte er der geplanten Änderung in § 14 Abs.  1 InsO zu, die die Antragstellung der Gläubiger erleichtert, sowie der in § 143 Abs. 1 InsO, die die Anfechtungsgegner vor einer übermäßigen Zinsbelastung schützen soll. Deutliche Kritik übte Hayen an der gegenüber dem RefE erfolgten Ausdehnung der beschränkten Insolvenzanfechtung auf jegliche durch Zwangsvollstreckung erwirkte Sicherung oder Befriedigung, da sie insbesondere Finanzverwaltung und Sozial­ver­sicher­ungs­träger privilegiere. Das führe letztendlich zu geringeren Eröffnungsquoten, die sich negativ auf die Arbeitnehmer auswirkten. Daher plädiere er für die Rückkehr zum RefE, der nur von gerichtlich erlangten Titeln ausgeht. Abschließend wies Hayen noch auf die Problematik der Drittzahlungen für Arbeitnehmer hin, die der RegE unberücksichtigt lasse. Auch diese z. B. von der Konzernmutter geleisteten Arbeitsentgelte sollten als kongruente Deckungen behandelt werden.

(…)

Editorial | Peter Reuter | INDat Report 02_2016 | März 2016

Die Würfel sind noch nicht gefallen

Selbstverständlich ist es nicht, dass der Rechtsausschuss
eine öffentliche Anhörung zu einem Gesetzgebungsverfahren durchführt. Im Fall des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der InsO und nach dem AnfG hat er es getan.

Aus dem Tenor dieser Anhörung – einhellige Kritik am Fiskusprivileg – Rückschlüsse darauf zu ziehen, wie nun der RegE in den weiteren Beratungen bearbeitet wird, funktioniert nicht. Der Rat der Sachver­ständigen (und Lobbyisten) ist das eine, die politischen Gesetzmäßigkeiten sind das andere.

Nicht nur Planspiele zum Konzerninsolvenzrecht und ggf. zu anderen InsO-Änderungen nehmen Einfluss auf die Gestaltung dieses RegE, auch andere Vorhaben der Regierungskoalition
sind Teil der Verhandlungsmasse. Allein im Februar fanden im Rechts­ausschuss fünf öffentliche Anhörungen statt.

Bekanntermaßen scheiden sich die politischen Geister bei Insolvenzrechtsvorhaben nicht so sehr zwischen SPD und CDU/CSU, sondern zwischen Rechts- und Finanzpolitikern, wenn es vor allem um das allgegenwärtige Fiskusprivileg geht, das diesen RegE stark prägt. Nun formt sich aber eine weitere Kraft, die hier mitmischen will: die Wirtschaftspolitiker. Ihnen begegnen immer mehr Stimmen aus Fachverbänden, die das Fiskusprivileg schädlich für das Wirtschaftsleben halten und daran erinnern, dass die Anfechtungsreform laut Koalitionsvertrag Rechtssicherheit für den Mittelstand und Arbeitnehmer bringen und nicht den Fiskus Wohltaten bieten solle.

Das Ergebnis dieses ausgetragenen Kräftespiels könnte dann
der Tenor der sieben Weisen dieser Anhörung sein, was aber unwahrscheinlich ist, denn nicht ihre klare konstruktive Kritik, sondern der politische Kompromiss macht die Musik.

Inhaltsverzeichnis

3
Editorial
 
5
INDat Barometer I
 
6
Namen & Nachrichten
 
8
Titel
Bundestagsanhörung zur Reform des Insolvenz­anfechtungsrechts
Gleichklang bei Kritik am Fiskusprivileg
14
Berater & Kanzleien
RA Dr. Burkard Göpfert (Baker & McKenzie)
Kräftig inhalieren und möglichst ohne Blut operieren
18
Im Gespräch
RA Dr. Eberhard Braun
Beschluss des BVerfG vom 12.01.2016 (1 BvR 3102/13) Nahezu idealisierend heimelnde Vorstellungswelt
20
Standpunkt
Prof. Dr. Jens M. Schmittmann
Beschluss des BVerfG vom 12.01.2016 (1 BvR 3102/13) Die Zeichen stehen auf Berufskammer
22
Verwalter & Kanzleien
RA Dr. Torsten Martini (Leonhardt Rattunde)
Statt Händeschütteln Resultate wachhalten
26
Standpunkt
RA Dr. Reemt Matthiesen und RA Dr. Tilman Weichert
Kundendaten sind keine beliebige Waren
27
Im Gespräch
RA Christian H. Gloeckner und RAin Dr. Susanne Schmidt-Morsbach (Verband Gemeinsamer Vertreter Deutschland e. V.)
Marktschreierisches Bewirtschaften subtiler Ängste ist abzulehnen
30
Standpunkt
RAin/Solicitor Ursula Schlegel
Die irische Examinership – das Scheme of Arrangement unter dem Schutzschirm
34
Schwerpunkt: Transfergesellschaften
Gut für alle oder einfach nur teuer?
 
36
Letters from Oxford
Prof. Dr. Reinhard Bork
Missbrauch Riegel vorschieben
38
Kongresse & Tagungen
17. Leipziger Insolvenzrechtstag und 1. Leipziger Insolvenzsteuerrechtstag
Vom Brötchenkauf bis zum Steuer-Fanatiker
43
Symposien & Vorträge
Abendsymposium des ZIS e. V. in Mannheim
Zwischen Sanierungshemmnis und »Insolvenzdiscount«
43
Symposien & Vorträge
Abendsymposium des ZIS e. V. in Mannheim
Zwischen Sanierungshemmnis und »Insolvenzdiscount«
44
Im Gespräch
RA Dr. Günter Kahlert
Gründung des Hamburger Kreises für Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht e. V. Das ist kein Spurt, sondern ein Marathon
46
Kongresse & Tagungen
18. Norddeutscher Insolvenzrechtstag in Hamburg
Etappenziel auf einem »Begründungsfuß« erreicht
50
Statistik
Verwaltermarkt
Zehn Jahre im Überblick – Entwicklung des Verwaltermarkts und der Verwalterkanzleien von 2006 bis 2015
52
Schwerpunkt: Beraterkosten in der Eigenverwaltung
ESUG-Praxiserfahrungen: Rat nicht gut, aber teuer?
 
58
Statistik
Top 30 Verwalter, Top 30 Kanzleien, Top 10 Gerichte
 
59
INDat Barometer II
 
 
62
Veranstaltungen, Impressum, Vorschau