Titel | INDat Report 02_2022 | März 2022
Falsche Richtung: Wachsende Masseschulden behindern die Sanierung und beschädigen den Gleichbehandlungsgrundsatz
Masseschulden als Sanierungsblocker
Die Kommunikation über das, was zum eigentlichen Regelungskern von Insolvenzrecht zählt und was damit letzthin bewirkt werden soll, läuft aktuell eher schlecht. Gegenwärtig ziehen Eyecatcher wie das neue StaRUG eine große Aufmerksamkeit der Fachwelt auf sich, haben aber in der Fallzahl und volkswirtschaftlich eher nachrangige Bedeutung. Währenddessen untergraben, kaum angegriffen und beachtet, eine fehlgesteuerte Pacta-sunt-servanda-Rechtsprechung des BAG oder die Rechtsprechung des BFH zum vermeintlichen Wesen der steuerlichen »Erhebung« längst das eigentliche Fundament des Ganzen. Nach Ansicht des Verfassers bleibt die Fachwelt viel zu still angesichts des Sprengstoffs, den diese Rechtsprechung an die Grundpfeiler von Sanierungsaussichten und/oder die par conditio creditorum anlegt.
Ist grundlegende Dogmatik inzwischen so unsexy, dass kaum jemand noch Wert auf sie legt? Wie kann es denn überhaupt passieren, dass höchste Gerichte das sich eigentlich stellende Thema gleichmäßig gerechter Verteilung von Geld im Mangelfall so dermaßen verfehlen? Warum greifen sie die eigentlich maßgeblichen Fragen insolvenzrechtlicher Durchsetzungssperren nicht sachgerecht auf und beleuchten stattdessen sehr ausführlich materiell-rechtliche Aspekte, die an dieser Stelle gar nicht ins Rampenlicht gehören?
Der nachfolgende Beitrag will das beispielhaft untersuchen, aber auch die Gefahren aufzeigen, die die künftige »Sinnhaftigkeit« von Insolvenzverfahren immer fragwürdiger machen, wenn am Ende kaum Sanierungsaussichten bleiben und für Insolvenzgläubiger per se keine Dividende mehr zahlbar ist. Es muss sich jetzt endlich etwas in die richtige Richtung (zurück)bewegen, und dazu ist längst der Gesetzgeber gefragt.
Text: Rechtsanwalt Stephan Ries, Curator AG Insolvenzverwaltungen, Wuppertal
Finanzielle Hebelwirkung von Masseschulden
Insolvenzverfahren währen stets nur eine bestimmte Zeit. Damit ist die Aktivseite (Summe aller Einnahmen) in ihrer Maximalhöhe klar begrenzt. Das eigentliche Verfahrensziel bestmöglicher Gläubigerbefriedigung lässt sich im Rang des § 38 InsO nur erreichen, wenn aus dem gedeckelten Geldbestand nicht deutlich zu viel als Masseschuld gem. § 55 InsO vorweg abgegriffen wird.
Unternehmen, die in Insolvenz fallen, leiden regelmäßig unter schwerwiegenden strukturellen Krisenmerkmalen. Solche kann ein Insolvenz- oder Eigenverwalter nicht stets sofort beheben, zumal gewisse Gestaltungsinstrumente (z. B. §§ 103 ff., 120 ff. InsO) überhaupt erst mit der Verfahrenseröffnung nutzbar werden und anschließend zudem Auslauffristen Platz greifen. Der Verwalter braucht also Zeit. Die Mittel der Gesellschafter waren meist erschöpft; das Insolvenzverfahren benötigt aber zusätzliches Geld (§ 54 InsO). In Märkten mit eng getakteten Lieferketten werden Kunden schnell nervös. Im Regelfall gibt es zunächst kein – auf längere Strecke – tragfähiges Umsatzsteigerungspotenzial. Damit sind Betriebsfortführungen – und die aus ihnen zu schöpfenden Sanierungsaussichten – überhaupt nur unter deutlich abgesenktem Kostendruck möglich. Genau dies will die InsO teleologisch ermöglichen.
Eine besondere Schlüsselrolle nehmen bei alledem Dauerschuldverhältnisse ein. Sie verursachen häufig zu hohe, turnusgemäß wiederkehrende Belastungen (meist monatlich, aber auch jährlich, etwa bei Betriebskostennachzahlungen zur Miete oder Sonderzahlungen an Arbeitnehmer). Wer als Schuldner ein zu großes Filialnetz besitzt, muss einzelne unrentable Betriebsstätten schließen und dort tätiges Personal entlassen können. Das hilft der Masse und dem Insolvenzverfahren aber nur, wenn nicht doch im Neumasserang von § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO dafür sofort weitergezahlt werden muss. Auch andere Lasten, etwa zu teure Leasingverträge, müssen bei Bedarf alsbald abzuschütteln sein.
Ganz am Anfang hilft bei Betrieben mit größerer Personalstärke das Insolvenzgeld, um überhaupt fortführen zu können. Es ist aber schnell verbraucht. Zwischenzeitliche Verluste der Betriebsführung fängt dann am Ende nur eine ertragreiche, die wichtigsten Strukturen erhaltende Weiterveräußerung auf. Aus diesen Erlösen müssen regelmäßig dingliche Sonderrechte vorinsolvenzlicher Kreditgeber vorab befriedigt werden (§ 170 Abs. 1 Satz 2 InsO). Und am langen Ende sollen auch Insolvenzgläubiger, denen man zuvor die Individualvollstreckung verboten hatte, als von Art. 14 GG zwingend gefordertes Korrelat dafür angemessen befriedigt werden. Massegläubiger begleiten letztlich nur das Verfahren; es findet nicht ihretwegen statt. Sie haben vielfach, ausgenommen nur Sonderfälle wie z. B. § 210 a InsO, nicht einmal in der Gläubigerversammlung ein Stimmrecht (§ 77 InsO).
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Inhaltsverzeichnis
3 |
Editorial |
6 |
Impressum/Anzeigenübersicht |
7 |
Statistiken |
8 | Namen & Nachrichten |
12 | Titel |
22 |
Im Gespräch |
26 |
Verwalter & Kanzleien |
30 | Standpunkt |
36 | In eigener Sache |
37 | Schwerpunkt: Zehn Jahre ESUG |
54 | Kongresse & Tagungen |
58 | Vorträge & Diskussionen |
72 | Dissertationen zum Restrukturierungs- und Insolvenzrecht |