Titel | INDat Report 02_2025 | März 2025
Die Auswirkungen fortschrittlicher Legal Technology auf das Insolvenzrecht – Chancen, Herausforderungen und Perspektiven
Modellierung einer Insolvenzverwaltung 4.0
Die digitale Transformation hat alle Wirtschaftsbranchen durchdrungen, somit auch den Rechtsmarkt und die Insolvenzverwaltung. Für viele Arbeitsabläufe und Bearbeitungsschritte vor allem bei immer wiederkehrenden Routineaufgaben gibt es digitale Lösungen, die u. a. die Effizienz steigern und als Arbeitshilfe knappe personelle Ressourcen gezielter einsetzen lassen. Unter den Begriff Legal Technology (LT) fällt auch die Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI), die wiederum durch Open-Source-Chatbots wie ChatGPT, Anthropic Claude und DeepSeek zunehmend den privaten Alltag prägen. Diese persönlichen und mitunter spielerischen Erfahrungen mit der Anwendung generativer künstlicher Intelligenz wecken Begehrlichkeiten, KI-Technologien auch im Arbeitsalltag als Assistenzsystem zur Automatisierung oder sogar noch weitreichender einzusetzen und zu integrieren. KI wird nachgesagt, dass sie das Potenzial besitzt, die Insolvenzverwaltung zu revolutionieren. Neben den hohen (datenschutz-)rechtlichen Hürden, die es zu nehmen gilt, ist die Erwartungshaltung, was gegenwärtig schon möglich ist – dass z. B. KI das komplette Berichtswesen in der Insolvenzverwaltung übernimmt –, mitunter viel zu hoch gesteckt. Um sich ein umfassenderes Bild über die Chancen und Risiken einzelner Aspekte von LT in der Insolvenzverwaltung machen zu können, liefert der folgende Beitrag Grundlagen, Hintergründe und Überlegungen sowie ein Planspiel in Sachen Berichtswesen.
Text: Marian Bolz, Wirtschaftsjurist (LL. M.), M. Sc. (Digital Management & Transformation)
- Einleitung
Gegenwärtig beeinflussen disruptive Technologien innerhalb des digitalen Zeitalters umfassend Wirtschaftssysteme und sind daher integraler Bestandteil einer VUCA-Ökonomie. Bereits im Jahr 2015 prognostizierte der Rechtswissenschaftler Oliver R. Goodenough: »The impact of technology on law is moving forward with all the subtlety of a charging rhinoceros, transforming traditional practice and spawning new forms of ›legal service‹ delivery.« Die fortschreitende Digitalisierung und daraus resultierende Trends haben daher auch transformative Wirkungen auf das geltende Rechtswesen und dessen Anwendung.
Konventionelle Arbeits- und Verfahrensweisen im juristischen Tätigkeitsbereich sind größtenteils zeitaufwendig, kostenintensiv und unzugänglich. Um den vorgenannten Nachteilen entgegenzuwirken und den in der Rechtspraxis auftretenden Problemstellungen wie beispielsweise der hohen Anzahl gleich gelagerter Fälle bzw. Massenverfahren zu entsprechen, hat sich der fortentwickelnde Bereich der Legal Technology (LT) in der Rechtspraxis etabliert. Durch den Einsatz entsprechender Anwendungen und damit einer Legal Transformation besteht die Möglichkeit, das klassische Rechtssystem dahin gehend zu optimieren, dass dieses effizienter, transparenter und gerechter gestaltet wird.
Es ergeben sich Fragen nach der praktischen Ausgestaltung im juristischen Tätigkeitsmittelpunkt in Form von wirkungsvolleren und qualitätsgesteigerten Rechtsberatungen, einem originären Legal Management durch auf rechtliche Faktoren basierende Entscheidungsfindungen, verbesserten Zugängen und vorteilhafterer Rechtsdurchsetzung. Mit diesem digitalen Wandel gehen jedoch auch zu klärende rechtliche, ethische und regulatorische Fragestellungen, zu bewältigende Herausforderungen in Bezug auf Implementierungen in vorhandene Organisationsstrukturen sowie neuartige Anforderungsprofile an die Rechtsvertreter einher. Derartige Komplexitäten auf Nutzerseite sind ebenfalls auf die Zielvorstellungen der Anbieter von softwarebasierter Wertschöpfung und bei der Schaffung von Rechtssicherheit vonseiten des Gesetzgebers übertragbar. Es bedarf daher einer gezielten ganzheitlichen Betrachtung der Beteiligteninteressen inklusive technologischer Entwicklungen im Rechtsbereich.
Die Motivation dieses Beitrags wird durch die Eruierung des gegenwärtigen technologischen Fortschritts und aktuelle Grenzen digitaler Arbeitsweisen sowie die Feststellung potenzieller Einsatzbereiche im juristischen Tätigkeitsbereich in der Rechtspraxis konstituiert. Es gilt zu verstehen, wie insbesondere juristische Aufgaben im Kernbereich und damit verbundene Kernprozesse durch neue Technologien geprägt werden. Der weitere Anreiz ergibt sich daraus, innovative Ansätze vor dem Hintergrund der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit auf kompetitiven Märkten zu identifizieren und daraus praktische Methodiken zu entwickeln – Letzteres durch Betrachtung der insbesondere in der deutschen Rechtslandschaft angebotenen LT-Lösungen durch Start-ups und etablierte Unternehmen (in Deutschland circa 250).
Es besteht eine Nachfrage nach fundierten Erkenntnissen und daraus auszuarbeitenden strategischen Empfehlungen zur Ausschöpfung des Potenzials von LT bei gleichzeitiger Risikominimierung und Bewältigung entstehender Herausforderungen. Entsprechende Ergebnisse wurden in einer aktuellen Studie erzielt. Demnach wurden als wichtigste Trends die Lösung des gestiegenen Kosten- und Preisdrucks, die gewachsenen Anforderungen an die Informationssicherheit, der Einfluss von generativer künstlicher Intelligenz, die anwachsenden Informationsmengen und Komplexität sowie Personalbeschaffung von Fachkräften ausgemacht.
Abgestellt wird auf den Bereich einer zeitgemäßen Insolvenzverwaltung und das daraus abgeleitete ausgeprägte Interesse für eine Evaluierung moderner Anwendungsmöglichkeiten der LT und deren Vorteile innerhalb zwangsläufig notwendiger interdisziplinärer Arbeitsmethoden. Das Anforderungsprofil an den Insolvenzverwalter umfasst regelmäßig neben umfangreichem Rechtswissen auch betriebswirtschaftliche Expertise nebst adäquatem Projektmanagement.
Daneben sind moderne Insolvenzverwalterbüros mit weiteren Einflussfaktoren, mithin Arbeitsmarktänderungen, Nachhaltigkeitsaspekte (ESG sowie CSR), geopolitische Spannungen und unsicherer rechtlicher Ordnungsrahmen sowie Ressourcenknappheiten, konfrontiert. Diesen sich daraus ergebenden Ansprüchen an einen zeitgemäßen Insolvenzverwalter kann nur mit dem Grundgedanken »Zukunft durch Neugestaltungen« ausreichend entgegengetreten werden.
(…)