Titelthema | Sascha Woltersdorf | INDat Report 03_2016 | April 2016

Vermittlungsstrategien vor und in der Insolvenz

Köln. Bei der Mediation handelt es sich um ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem die Parteien mithilfe eines Mediators freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben. Diese Definition aus dem Mediationsgesetz könnte auf den ersten Blick Vermittlungsstrategien beschreiben, die in (Vor)insolvenzverfahren unverzichtbar sind. Auf den zweiten Blick zeigt sich aber, dass nur ein Bruchteil der Insolvenzverwalter über eine Zusatzqualifikation als Wirtschaftsmediator verfügt. Diese vermittelnde Befähigung wird in der Restrukturierungsbranche sogar hin und wieder belächelt. Nicht nur Beispiele aus den USA führen vor Augen, dass mediative Instrumente im Insolvenzkontext zu großen Sanierungserfolgen beitragen, auch hierzulande wächst die Erkenntnis bei komplexen ESUG-Verfahren, dass die Mediation verschiedene Interessen auf eine einvernehmliche Linie führen kann. Dass nun die aus Brüssel initiierte Diskussion über ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren diese Figur explizit als Vermittler nennt, führt den anscheinend verkannten Mediator sicherlich endgültig aus seinem Schattendasein heraus.

In dem alteingesessenen Traditionsunternehmen steht bald der Betrieb still. Die Maschinen sind nur noch zu 60 % ausgelastet. Dringend muss neues Material geordert werden, um die Produktion aufrechtzuerhalten. Doch die beiden geschäftsführenden Gesellschafter der GmbH streiten sich. Sollen sie bei einem neuen, etwas billigeren Lieferanten aus dem benachbarten Ausland bestellen? Der hat seine Qualitätsstandards allerdings noch nicht nachgewiesen. Oder doch beim bisherigen Hauslieferanten bleiben, einem langjährigen Geschäftspartner? Dessen Preisniveau würde jedoch die aufgrund von Auftragsrückgängen ohnehin knappe Liquiditätsdecke des Unternehmens weiter schrumpfen lassen. Der ältere Gesellschafter will den Hauslieferanten, sein 23 Jahre jüngerer Partner will den neuen. Beide halten jeweils 50 % der Stimmrechte. Ein absolutes Patt. Die 28 Mitarbeiter reagieren nervös. Zahlungsunfähigkeit droht, wenn nicht zeitnah produziert, geliefert und fakturiert werden kann. Schnell muss eine Lösung her.

Win-win-Ergebnisse statt Misstrauen und Eskalation

Wirtschaftsmediatorin Sylvia Wipperfürth erinnert sich gut an die Situation. In dem partiellen Produktionsausfall habe jedoch nur vordergründig das Problem bestanden. Entscheidend sei es gewesen, die Kontroverse zwischen dem Junior und dem Senior zu lösen. Eine geeignete ebenso wie typische Aufgabe für eine Mediation. Oft gefährden Konflikte, geprägt durch eine subjektive Sicht der Dinge mit folgendem Misstrauen sowie Frontenverhärtung oder offener Eskalation, das Ziel einer erfolgreichen Sanierung – ganz unabhängig davon, ob sich ein Unternehmen im Insolvenz­verfahren oder im vorinsolvenzlichen Bereich befindet. Ein Mediator oder auch nur die Anwendung von Techniken der Mediation könne in solchen Situationen viel bewegen, so Wipperfürth. »Durch effektives Konfliktmanagement können einvernehmliche Lösungen sowie Win-win-Ergebnisse für alle Parteien erzielt werden.«
Im Fall der überworfenen Geschäftsführer brachte die Gründerin und Leiterin des Sachverständigeninstituts für Insolvenz- und Wirtschaftsrecht (SIIW) in Alsdorf beide Seiten wieder ins Gespräch. Das Ergebnis war für Junior und Senior unerwartet: Sie lagen nicht nur in ihren Zielen vollständig beieinander, sie konnten sogar die Beweggründe für die Position des jeweils anderen nachvollziehen. Der Junior hatte mit viel Mühe und Zeitaufwand versucht, angesichts des Liquiditätsengpasses für den Einkauf einen »guten Preis herauszuschlagen«. Der Senior sah das Risiko unzureichender Qualität, unpünktlicher Lieferungen und Zollprobleme gerade in der jetzigen Unternehmenssituation als viel zu hoch an. Beide strebten die Wiederaufnahme der Vollproduktion an, um mit Qualitätsware die Kunden zufriedenzustellen.
Um diese gegenseitige Einsicht zu erreichen und in Grabenkämpfen mühsam aufgebaute »Feindbilder« (Wipperfürth) zu überwinden, wendete die Mediatorin verschiedene Techniken an: Sie ließ die Streitenden ein »Worst-Case-Szenario« für das Unternehmen entwickeln, das es unbedingt zu vermeiden galt, wie die Konfliktparteien erst im Mediationsprozess selbst erkannten. Für Junior und Senior überraschend: Ihre Einschätzung der Lage war nahezu identisch. Wo war das Problem? Das brachte Wipperfürth mit einem weiteren mediatorischen Kniff zutage: Der ältere traditionsorientierte Partner sah sich von den Innovationsideen des Jüngeren infrage gestellt und übergangen. Der jüngere Partner hatte das Gefühl, sich ständig »in großen Fußstapfen beweisen« und seine Position als Geschäftsführer »erst erarbeiten zu müssen«. Konfrontiert mit der Einschätzung des jeweils anderen, bestätigten beide, dass ›da wohl etwas dran sein könnte‹. Eine solche Erkenntnis führe in der Regel zu einem »Turning Point«, an dem es den Konfliktparteien sprichwörtlich, so Wipperfürth, »wie Schuppen von den Augen fällt«. Nachdem das gemeinsame Ziel erkannt und gegenseitiges Verständnis füreinander geweckt worden war, entwickelten die Geschäftsführer per Brainstorming möglichst wertungsfrei verschiedene Lösungswege, die in einem weiteren Schritt von wiederum beiden analysiert und bewertet wurden.

(…)

Editorial | Peter Reuter | INDat Report 03_2016 | April 2016

Angebot und Nachfrage

Brüssel mischt die Märkte auf. Ausgehend von der Initiative, eine Kapitalmarktunion aufzubauen, hat dieser Vorstoß darüber hinaus wohl weitreichende Folgen für den hiesigen Insolvenzverwaltermarkt. Das bei den geplanten Harmonisierungsbestrebungen angekündigte und hierzulande einzuführende vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren würde einige große Restrukturierungsfälle früher »abgraben«, die dann mehr nicht in ein Insolvenzverfahren rutschen. Demnach kommt weniger Arbeit bei den Verwaltern an.
Doch dieses präventive Verfahren braucht eine Art Koordinator oder Vermittler. Wie dessen Aufgaben und Befugnisse auch aus­sehen mögen, lässt sich derzeit nicht abschließend bestimmen, doch bringen sich schon Berater und Verwalter
in Position, die sich für diese Funktion berufen fühlen.

Während den Verwaltern eher eine Sachwalterfunktion vor Augen schwebt, für die sie sich am besten geeignet betrachten, stellen sich die Berater eine Figur vor, die weniger eine Aufsichtsfunktion ausfüllt, sondern moderiert.

Das ist klar: Konflikte haben zur Krise geführt, für die ein schnell erzielter Konsens unter den Hauptbeteiligten die Erfolgsaussichten für eine Lösung erhöht. Auf der Hand liegt somit, dass neutral vermittelnde Instrumente gefragt sind, um widerstreitende Interessen einvernehmlich zu bündeln.

Wer also als Verwalter mediative Fähigkeiten mitbringt, am besten als Wirtschaftsmediator ausgebildet ist und damit beförderte Sanierungserfolge bereits nachweisen kann, der hat sicherlich gute Karten, wenn es bei einem vorinsolvenz­lichen Sanierungsverfahren darum geht, einen geeigneten Mittler für eine insolvenzvermeindende Lösung zu finden.

Die reine Verwalterfunktion ist ohnehin schon mit dem ESUG bei großen Fällen weniger gefragt, das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren wird die Verwalterbranche sicherlich nochmals stark federn lassen.

Inhaltsverzeichnis

3
Editorial
 
6
Namen & Nachrichten
 
7
INDat Barometer I
 
8
Namen & Nachrichten
 
 
10
Titel
Vermittlungsstrategien vor und in der Insolvenz:
(V)erkannte Brückenbauer via Wirtschaftsmediation
20
Berater & Kanzleien
Dr. Ralf Moldenhauer, RA Rüdiger Wolf, Dr. Frederik Drescher (Boston Consulting Group)
Insolvenzvermeidung zahlt sich fast immer aus
24
Im Gespräch
RiinAG Nicole Langer (AG Aachen)
Fortgeschriebener Standardisierter (Zwischen)bericht (ForStaB) In kurzer Zeit Win-win-Situation für Verwalter und Gerichte
27
Standpunkt
Prof. Dr. Jens M. Schmittmann
Die Zeit ist überreif für ein deutsches Sanierungssteuerrecht
28
Verwalter & Kanzleien
RAin Dr. Ruth Rigol und RA Dr. Mark Boddenberg (Dr. Ringstmeier & Kollegen)
Krankenhäuser mit Rezept auf Eigenverwaltung kurierenren
32
Standpunkt
Stefan Lodyga
Insolvenzen vollautomatisiert managen und Benchmarks bilden
34
Verbände & Vorträge
1. Business Breakfast des NIVD e. V.
Networking beim ersten Kaffee
36
Letters from Oxford
Prof. Dr. Reinhard Bork
Trends zur Verschlankung
38
Hochschulen & Studiengänge
Fachhochschule Kufstein
Weit gespannter Bogen über fünf Stationen
40
Kongresse & Tagungen
BDU-Frühjahrskonferenz in Bonn
Ernüchterung beim ESUG, Erwartungen an die Insolvenzprävention
44
 
9. Heidelberger Symposium zur
Unternehmensrestrukturierung Fahrplan, Führung und konstruktive Fehlerkultur
48
 
13. Deutscher Insolvenzrechtstag in Berlin
Bewegte Umbruchzeiten für Verwalter und Berater
60
 
Jahrestagung der Zwangsverwalter in Berlin
Entscheidung des BFH passt nicht in ZVG-Systematik
63
Symposien & Vorträge
Vortragsveranstaltung der FOM in Wuppertal
Analysieren, Anfechten und Anzapfen
64
Kongresse & Tagungen
Fachtagung Unternehmenssanierung in Düsseldorf
Anfechtung, Rechtsprechung und Sanierungstrends
67
Statistik
Bund Top 30 Verwalter, Top 30 Kanzleien, Top 10 Gerichte
 
68
Statistik 1. Quartal 2016
Verwalter und Kanzleien mit einzelnen Verwaltern in den 16 Bundesländern
 
87
INDat Barometer II
 
 
90
Veranstaltungen, Impressum, Vorschau