Titelthema | INDat Report 03_2018 | Mai 2018

Seit einem Jahr in Kraft: Reform des Insolvenzanfechtungsrechts

Vor einem Jahr ist die Reform der Insolvenzanfechtung in Kraft getreten, die für alle seit 05.04.2017 eröffneten Insolvenzverfahren Anwendung findet.
Da die Befassung mit Anfechtungsansprüchen aber nicht zu den dringlichsten Aufgaben der Insolvenzverwalter im ersten Jahr nach Eröffnung ihrer Verfahren zählt und altes Recht in nahezu allen Fällen noch Anwendung findet, gibt es noch keine Erfahrungen mit der Spruchpraxis nach neuem Recht. Was allerdings vorliegt, sind Stimmen, die im »Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der InsO und dem AnfG« neu geschaffene Rechtsun­sicherheiten ausmachen. Für Reformbefürworter überwiegen aber die geschaffenen Verbesserungen. Als zweites Ziel sollte das Anfechtungsvolumen gesenkt werden, indem man vor allem die Anfechtungsfrist bei Deckungshandlungen auf vier Jahre verkürzt hat. Und als drittes Ziel – indirekt anvisiert über die verschärfte Darlegungs- und Beweispflicht des Verwalters – sollten unsubstanziierte Druckanfechtungsschreiben in Serie eingedämmt werden. Um erste Reformauswirkungen zu sondieren, hat der INDat Report die seinerzeit die Gesetzeskorrekturen fordernden Wirtschaftsverbände befragt, welche Wirkungen bereits zu spüren bzw. zu erwarten sind. Oder handelt es sich eher um eine Beruhigungspille?

Ein Stück weit ist es sicherlich Kaffeesatzleserei. Bis erste Erfahrungen mit der Spruchpraxis der Eingangsinstanzen und schließlich eine BGH-Rechtsprechung zum reformierten Insolvenzanfechtungsrecht vorliegen, werden einige Jahre verstreichen. Dass das »Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der InsO und dem AnfG« auch einige neue Rechtsunsicherheiten und Auslegungsfragen enthält, das bestätigen nicht nur Prozessanwälte und Stimmen aus der Lehre (z. B. Thole, ZIP 2017, 401), sondern auch der Vorsitzende des IX.  Zivilsenats des BGH, Prof. Dr. Godehard Kayser, wie er es auf dem Deutschen Insolvenzrechtstag am 15.03.2018 in Berlin ausführte (siehe dazu INDat Report 02_2018, S. 34).
Frühestens Anfang 2022 lägen Erfahrungen aus der Spruchpraxis vor, sagt RA Justus Schneidewind, der als Insolvenzverwalter tätig ist, den Bundesverband des Deutschen Baustofffachhandels (BDB) bei der Reform des Insolvenzanfechtungsrechts beraten und die gemeinsame Stellungnahme von zehn Verbänden vom Juni 2014 verfasst hat. Die Verwalter klagten weiter erst zum Ablauf der gesetzlichen Anfechtungsfrist, beobachtet er. Da das neue Gesetz erst für solche Verfahren gilt, die nach dem 05.04.2017 eröffnet wurden und die Anfechtungsfrist für diese Verfahren erst am 31.12.2020 abläuft, »dürfte es frühestens Anfang 2022 möglich sein, die Praxis der Insolvenzanfechtung einer Neubewertung zu unterziehen«. Der Bundesrat hatte eine Evaluierungsklausel angemahnt, die Auswirkungen der Neureglungen werden fünf Jahre nach Inkrafttreten evaluiert.
Wirtschaftsverbände zeigen sich trotz kritischer Stimmen immer noch zufrieden mit den Ergebnissen und erwarten für ihre Branchen deutliche Verbesserungen in Anfechtungssituationen, neu geschaffene Rechtsunsicherheiten übersehen sie aber nicht. Zu begrüßen sei die gestiegene Beweis- und Darlegungslast der Insolvenzverwalter zugunsten der Gläubiger, sagt Dr. Peter-Robin Paulus, Leiter Abteilung Politik und Wirtschaft beim Verband Die Familienunternehmer, ebenso die Änderung der Kenntnis von der drohenden zur eingetretenen Zahlungsunfähigkeit bei kongruenter Deckung. Wenngleich noch keine ausreichende Praxiserfahrung und zu wenige gerichtliche Entscheidungen vorlägen, könne allerdings zu einer Rechtsunsicherheit beitragen, dass der Rechtsanwender zur Subsumtion der Tatbestandsmerkmale Benachteiligungsvorsatz und Kenntnis immer in irgendeiner Art und Weise auf eine Gesamtwürdigung aller Umstände angewiesen sein werde. Die Vermutungsregel des §  133  Abs.  3 S.  2 InsO n. F., da zu wenig präzise gefasst, werde wohl auch zur Unsicherheit führen können.
Die neue Regelung zur Verzinsung des Rückgewähranspruchs und die Verkürzung der Anfechtungsfrist sowie die Kodifizierung der Regelungen des Bargeschäfts begrüßt der Arbeitskreis Sanierung/Insolvenz West beim IBWF Institut für Betriebsberatung, Wirtschaftsförderung und -forschung e. V., das sich im Verbund mit dem BVMW Bundesverband mittelständische Wirtschaft e. V. befindet. Allerdings bleibe offen, was mit dem Begriff des unlauteren Handels gemeint ist. Auch die unbestimmten Rechtsbegriffe »Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs« und »Zahlungserleichterungen in sonstiger Weise« dienten nicht der Rechtssicherheit. Es müsse aber konstatiert werden, dass die Rechtsprechung vor Inkrafttreten der Reform Änderungen wie für Fälle der Ratenzahlung vorweggenommen habe. Mit der Normierung sei die Rechtssicherheit daher nun gestiegen. Auch der Handelsverband Deutschland – HDE e. V. bewertet den verkürzten Anfechtungszeitraum, dass verkehrsübliche Zahlungserleichterungen generell kein Indiz für die Kenntnis einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit sind und dass der Verwalter die positive Kenntnis des Gläubigers beweisen muss, als errungene Erfolge, sagt Dr. Peter Schröder, Bereichsleiter Recht und Verbraucherpolitik. Auch der BGA – Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e. V. sieht in diesen Korrekturen Vorteile für seine Mitglieder, beim Begriff »unlauter« vermute man ebenfalls eine »gewisse Rechtsunsicherheit«, die die Rechtsprechung konkretisieren müsse. Man setze aber darauf, dass sich diese Regelung auch vorher bewähre. Der Mittelstandsverbund – ZGV e. V. hätte sich zwar den Zeitpunkt der Erhebung des Anfechtungsanspruchs als Anknüpfungspunkt der neuen Regelungen gewünscht, sagt Geschäftsführer Dr. Marc Zgaga, im Übrigen sei man mit der Reform »sehr zufrieden«. Auch der ZDH – Zentralverband des Deutschen Handwerks schließt sich diesen Einschätzungen an und glaubt, dass die Neuerungen die Handwerker vor »unberechtigten Anfechtungen« besser schützten. Das bestätigt auch der angefragte Bundesverband Druck und Medien e. V. (bvdm). Unter den weiteren kontaktierten Verbänden antwortete z. B. der BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie e. V., dass der Austausch mit den Mitgliedern »noch keine ausreichende Grundlage für eine Evaluierung« biete.

(…)

Editorial | Peter Reuter | INDat Report 03_2018 | Mai 2018

Recht haben und Recht bekommen …

Kaum ist eine Reform in Kraft getreten, gibt es schon erste Forderungen zur Nachjustierung. Dieses Mal trifft es das »Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der InsO und nach dem AnfG«. In der kürzlich publizierten »InsO Studie 2018« von McKinsey und Noerr sehen es 62 % der Befragten als »erforderlich« oder »sinnvoll« an, dass die Regelungen der InsO zur Insolvenzanfechtung weiter reformiert werden, d. h., die Möglichkeiten zur Anfechtung sollten noch restriktiver ausgestaltet werden.
Die Wirtschaftsverbände, die seinerzeit die Politik zu dieser Reform gedrängt haben, betrachten sie weiterhin als Erfolg. Von Nachjustierung sprechen sie bislang noch nicht. Über neu geschaffene Rechtsunsicherheiten schauen sie nicht hinweg, geben sich aber optimistisch, dass sie zu überwinden sind.
Man muss sehr weit in die Zukunft schauen (können), um die Wirkungen der neuen Regelungen genau zu bewerten. Es gibt Indizien, die für eine Entlastung der Wirtschaft sprechen, aber auch Stimmen, die diese als marginal einstufen, also von einer Beruhigungspille sprechen.
Die Insolvenzanfechtung war aber nicht nur wegen der Rechtsprechung aller Instanzen ins Gerede gekommen, sondern weil sie einige Verwalter außergerichtlich maximal ausschöpften und ausreizten, indem sie unsubstanziierte, seriell verfasste Drohgebärden verschickten und darauf setzten, dass sich der Anfechtungsgegner einschüchtern lässt und zahlt. An dieser unseriösen Praxis soll sich, berichten
uns Beobachter, nichts geändert haben.
Die Lehre aus den Versäumnissen der Vergangenheit müsste daher lauten, dass die Anfechtungsgegner vom ersten Kontakt an auf Augenhöhe mit dem Verwalter agieren. Das Reform­gesetz hat die mittelständischen Unternehmen nicht davon befreit, sich (über ihre Verbände) professionell beraten zu lassen, um ungerechtfertigte Ansprüche zu erkennen und abwehren zu können. Vor und nach der Reform gilt: Recht haben und Recht bekommen, ist Zweierlei.

P. S.: Beim Weiterblättern stoßen Sie auf einige Veränder­ungen im Magazin. Zum Beispiel stehen Nachrichten auch auf der letzten Seite und die sehr nachgefragten Statistiken nach Umsätzen sind mitten im Heft platziert.

Inhaltsverzeichnis

3
Editorial
 
6
Impressum/Anzeigenübersicht
7
Namen & Nachrichten
 
BGH-Urteil zur Haftung von Geschäftsführern in der Eigenverwaltung
8
 
 
Festschriftverleihung an MinDir Marie Luise Graf-Schlicker
9
 
 
Rücktritt im VID-Vorstand
74
 
 
Fachgespräch zum RLE für präventive Restrukturierungsrahmen
9
Statistiken 9
Barometer Länder
 
29
 
Verwalterranking nach Verfahren und Umsätzen
 
59
 
Kanzleiranking nach Verfahren und Umsätzen
 
65
 
Barometer Bund
 
10
Titel
Seit einem Jahr in Kraft: Reform des Insolvenzanfechtungsrechts
Bereits spürbare Wirkung oder Beruhigungspille?
18
Berater & Kanzleien
RA Dr. Oliver Liersch und RA Dr. Nikolas von Wrangell (Brinkmann Weinkauf)
Regionale Begleiter mit engmaschigem Netzwerk
24
Hintergrund
RLE präventiver Restrukturierungsrahmen
Lohnende Erkenntnisse auf der Zielgeraden
68
 
Anmerkungen zu LG Stade, Beschl. v. 29.12.2017 – 7 T 151/17
M&A-Prozess in der (vorläufigen) Eigenverwaltung?
26
Im Gespräch
BDIU-Präsidentin Kirsten Pedd und Ass. jur. Ulrich Jäger
Kein Freifahrtschein zur Schuldbefreiung in drei Jahren
28
Symposien & Vorträge
DAV-Expertenseminar »Effektivität und Effizienz des Insolvenzrechts – sichtbare und unsichtbare Stellschrauben« in Frankfurt
Vom ordentlichen Hausvater zum Multitalent
47
 
Termine für die Fortbildung
 
60
 
Heidelberger Symposium zur Unternehmensrestrukturierung
Von stockenden Motoren und zündenden Ideen
66
 
ISR-Symposium in Düsseldorf
»Kuddelmuddel« um die Sitzverlagerung
32
Kongresse & Tagungen
VID-Frühjahrstagung in Wien
Ständiger Wandel unter verschärften Bedingungen
40
 
6. NIVD-Frühjahrsdialog in Wiesbaden
Warnungen vor Windhundrennen und scharfen Sanktionen
48
 
14. Handelsblatt Jahrestagung Restrukturierung in Frankfurt am Main
Restrukturierungsbranche in der Transformation?