Titel | INDat Report 03_2022 | April 2022

Überlegungen aus Verwaltersicht zur Evaluierung des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen fünf Jahre nach Inkrafttreten

Verschärft abgestumpft

Mit Wirkung zum 05.04.2017 (Art.  103 j EGInsO) ist das »Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz« in Kraft getreten. Für Insolvenzverfahren, die vor dem 05.04.2017 eröffnet worden sind, finden mit Ausnahme der neuen Fassung von §  143 Abs.  1 Satz 3 InsO die bis dahin geltenden Vorschriften weiter Anwendung. Ziel der Neuregelungen war die Beseitigung von Rechtsunsicherheiten für den Wirtschaftsverkehr und Arbeitnehmer. Die Komplexität bei der Vorsatzanfechtung sollte reduziert werden. Das Anfechtungsrecht sollte punktuell neu justiert werden. Auslegung und Reichweite des anfechtungsausschließenden Bargeschäftsprivilegs sollten verständlicher werden. Eine Evaluierung sollte fünf Jahre nach dem Inkrafttreten der Neuregelung stattfinden. Diese fehlt. Gibt es Gründe? Was leisten die neuen Regelungen? Es liegen diverse Entscheidungen des BGH vor, die Bewertungen der neuen Regelungen des Gesetzes geben, und es liegen Entscheidungen des BGH vor, die das alte Recht neu betrachten. Die folgenden Überlegungen* stellen auf der Grundlage des reformierten Insolvenzanfechtungsrechts und dessen Genese u. a. die – indirekt  – darauf bezogene, neu ausgerichtete Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dar. Der Beitrag plädiert für eine umfassende Evaluierung sowohl der Reform 2017 als auch der Vorsatzanfechtung insgesamt unter Berücksichtigung der Ziele der InsO.

Text: Rechtsanwalt Joachim Büttner, BRRS Rechtsanwälte

  1. Keine Evaluierungsabsicht des BMJV?
  2. Grundlagen
  •   43 Abs.  1 GGO verlangt in der Begründung von Gesetzesvorlagen die Zielsetzung, die Notwendigkeit des beabsichtigten Gesetzes, den zugrunde liegenden Sachverhalt einschließlich dessen Erkenntnisquellen sowie die Gesetzesfolgen zu benennen. Wegen der Gesetzesfolgen verweist §  43 Abs.  1 Nr. 5 GGO ausdrücklich auf §  44 GGO. §  44 Abs.  1 Satz 1 GGO definiert als Gesetzesfolgen die wesentlichen Auswirkungen des Gesetzes. Sie umfassen die beabsichtigten Wirkungen und unbeabsichtigte Nebenwirkungen. Nach §  44 Abs.  2 Satz 1 GGO sind die Auswirkungen auf die Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Haushalte einschließlich der vollzugsbedingten Auswirkungen darzustellen. Darstellungen zu den Auswirkungen auf die Ausgaben öffentlicher Haushalte umfassen auch – voraussichtlich aufgrund der beabsichtigten Regelung – ersparte Ausgaben. Auswirkungen auf die Haushalte der Länder sind gesondert darzustellen (§  44 Abs.  3 Satz 1 GGO). Evaluierung meint eine retrospektive Gesetzesfolgenabschätzung, um zu klären, ob die beabsichtigten Wirkungen eingetreten sind. Die Ziele und die Folgen des Gesetzes müssen klar formuliert sein. Nur dann kann eine Prüfung erfolgen, ob die Ziele und die erwarteten Folgen erreicht wurden. Das federführende Bundesministerium muss in der Begründung des Gesetzentwurfs festlegen, ob, in welchen Rahmen und zu welchen Zeitpunkt eine Gesetzesevaluation stattfinden soll (§  44 Abs.  7 GGO).
  1. Befund

Das BMJ wollte keine Evaluierung. Deswegen sah der RefE für das »Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz« vor, dass eine Evaluierung nicht erforderlich sei. Die Regelungen würden vielfach lediglich der Klarstellung dienen. Im Übrigen seien negative Folgen der Gesetzesänderungen nicht absehbar. Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte wurden überhaupt nicht beschrieben. Dies gilt auch für die Auswirkungen auf die Haushalte der Länder. Solche Auswirkungen sind aber mit dem Entwurf klar erwartet worden. Bereits der RefE enthielt eine beabsichtigte Änderung für §  131 InsO. Der Vorschlag blieb zunächst erhalten. Mit dieser Änderung sollten die Einzugsstellen für die Sozialversicherungsbeiträge und die Finanzverwaltung von der Anfechtung wegen Inkongruenz ausgenommen werden. Die damit geminderten Ausfälle für die Kassen des Bundes (Bundesfinanzverwaltung) und die der Länder wegen der angefochtenen Steuerzahlungen wurden nicht erwähnt. Sie waren aber das Motiv der Regelung in §  131 der Entwürfe. Die Vorschrift ist im Gesetzgebungsverfahren gescheitert. Die zu §  133 InsO in den Entwürfen vorgeschlagenen Regelungen waren ebenfalls davon motiviert, Steuereinnahmen nicht wieder hergeben zu müssen. Die Begründung des RegE sah dann doch eine Evaluierung nach fünf Jahren vor. Sie sollte sich auf die Auswirkungen der Neuregelungen beziehen und fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes erfolgen. Der Bundesrat hielt dem entgegen, dass die Behauptung unverhältnismäßiger und unkalkulierbarer Risiken als Belastung des Wirtschaftsverkehrs ohne Grundlage wäre. Eine fachliche Notwendigkeit für Veränderungen im Insolvenzanfechtungsrecht sei nicht begründet. Dafür fehlten empirisch erhobene Daten. Statt einer pauschalen Evaluierungsregelung wollte der Bundesrat daher eine verbindliche, gesetzlich verankerte Klausel vorgesehen wissen. Es sollten geeignete Kriterien entwickelt werden, die eine Bewertung der fachlichen Notwendigkeit und des ggf. bestehenden Anpassungsbedarfs der vorgenommenen Änderung im Insolvenzanfechtungsrecht ermöglichen würden. Die Evaluierung sollte insofern die Auswirkungen des Gesetzes nach Zahl und Höhe der Insolvenzanfechtungen und ihre Verteilung auf die verschiedenen Gläubigergruppen darstellen. Sie sollte nach den verschiedenen Anfechtungstatbeständen differenzieren. Die Gegenäußerung der Bundesregierung lehnte dies ausdrücklich ab und verwies darauf, dass sie die Evaluation anhand von geeigneten und präzisen Kriterien vornehmen werde, sodass eine gesetzliche Klausel entbehrlich erscheinen würde. Spätestens ein Jahr vor dem Evaluierungsbeginn hätte die Durchführung einer Evaluierung geplant werden müssen, um deren effiziente Durchführung im vorgesehenen Zeitraum zu sichern. Das BMJ hat sich bisher – soweit erkennbar – dem Evaluierungsauftrag verschlossen. Gründe sind nicht zu erkennen. Ob etwas bzw. was insofern ggf. noch beabsichtigt ist, ist unklar. (…)

Inhaltsverzeichnis

3
Editorial
6Anzeigenübersicht/Impressum
7
Statistiken
8Namen & Nachrichten
10Im Gespräch
12
Titel
22
Verwalter & Berater
28Schwerpunkt
42Symposien & Vorträge
44Kongresse & Tagungen
50Hintergrund
66Dissertationen zum Restrukturierungs- und Insolvenzrecht
70Praxisreport