Titel | INDat Report 03_2023 | April 2023

Frauen in der Insolvenzverwaltung: Erfahrungsberichte, Entwicklungen und statistische Auswertungen

Gläserne Decke für die Insolvenzverwalterin?

Hannover. Neulich war die Verfasserin dieses Beitrags in einem Meeting mit einem Teilnehmerkreis von rd. 20 Personen. Am Ende des Meetings merkte jemand an: »Mensch, da waren Sie ja die einzige Frau.« Erst hiernach fiel der Verfasserin auf, dass es tatsächlich so war. Meetings und Verhandlungsrunden im Kontext von Insolvenzverfahren mit einem nahezu reinen Männeranteil gehören zum Arbeitsalltag vieler Insolvenzverwalterinnen wie dem der Autorin. Dieses geschlechtliche Missverhältnis nehmen viele Verwalterinnen oft gar nicht mehr wahr, so selbstverständlich scheint dieser Umstand zu sein. Bei vielen Fachtagungen hat sich das Bild erfreulicherweise ein wenig verändert, immer häufiger trifft man dort auf das weibliche Geschlecht, sei es im Publikum oder auf dem Podium. Allerdings sind dort auch Vertreterinnen anderer Berufsgruppen der Branche vertreten, bei denen der Frauenanteil höher zu liegen scheint als unter den Insolvenzverwaltern. Deren Frauenanteil vor allem bei den Bestellungen über Verfahren jur. Personen, wie dieser Beitrag aufzeigen wird, sieht mitunter dürftig aus. Neben subjektiven Erfahrungen und Beobachtungen aus der Insolvenz-verwaltung sollen auch objektive Statistiken einfließen, die zur Klärung beitragen, ob der Eindruck der unterrepräsentierten Frau in der Insolvenzverwaltung stimmt oder nicht. Damit verbunden unternimmt die Verfasserin den Versuch, die statistischen Auswertungen einzuordnen und diese ein Stück weit zu erklären. Zudem wagt sie einen Ausblick auf »Frauen in der Insolvenzverwaltung«.

Text: Diplom-Wirtschaftsjuristin (FH) Zekira Fuest, Brinkmann & Partner

Über die nächste Generation der Restrukturierungsberaterinnen und Insolvenzverwalterinnen hat der INDat Report in seiner Ausgabe vom 25.05.2022 berichtet. Im Titelbeitrag »Jung und modernisiert macht von sich reden« hatten sich vier Frauen (RAin Annamia Beyer (Lambrecht Rechtsanwälte), RAin Dr. Franziska Kramer (Görg), RAin Dr. Marlene Ruf (Kirkland & Ellis) und RAin Dr. Janina Ruster (White & Case)), alle Mitglieder der NextGen-Gruppe der Gesellschaft für Restrukturierung TMA Deutschland e. V., über ihre berufliche Laufbahn, die Herausforderungen, die der Job mit sich bringt, aber vor allem über ihre Wahrnehmung der weiteren Entwicklung im Hinblick auf die Nachwuchskräfte ausgetauscht. In dem Beitrag erwähnte auch Annamia Beyer, selbst Insolvenzverwalterin, dass sie in größeren Verhandlungsrunden oft die einzige Frau sei. Alle vier Praktikerinnen sahen jedoch gute Chancen, dass sich dies mit der nächsten Generation verändert. Der Bericht verdeutlicht auch die geringe Frauenquote bei der TMA Deutschland, dem die vier Porträtierten als NextGen angehören. Zu dem Zeitpunkt waren unter den 371 Mitgliedern nur 31 Frauen. Heute sieht das Bild nahezu unverändert aus. Die Mitgliederzahl ist auf 384 gestiegen, wobei weiterhin lediglich 31 Frauen Mitglied sind. Wie sieht es in anderen Zusammenschlüssen der Branche aus?

Werfen wir einen Blick zurück auf die Entwicklung in der Rechtsanwaltsbranche. Lange Zeit ist es her, dass der Anwaltsberuf ausschließlich dem männlichen Geschlecht vorbehalten war. Am 07.12.1922 erhielt erstmals eine Frau die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Die Zulassung von Maria Otto markiert ein historisches Ereignis in der Geschichte der deutschen Anwaltschaft: Die Voraussetzung hierfür hatte die am 14.08.1919 in Kraft getretene Weimarer Verfassung geschaffen, die im Deutschen Reich die formelle Gleichberechtigung von Frau und Mann einführte. Somit bekam vor allem die Frauenbewegung die legislative Grundlage, auf Gesetzesänderungen zu drängen und auch die Zulassung zu den Berufen der Rechtspflege einzufordern. In der Folgezeit waren jedoch weitere Hürden zu beseitigen. Die ausschließlich mit Männern besetzten Justizministerien des Reiches und der Länder sowie die Rechtsanwaltskammern und auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) machten es den Frauen in Sachen Gleichstellung schwer und sie versuchten, deren Zulassung zu verhindern, zumindest aber hinauszuzögern. In diesem Sinne ließ die 14. Vertreterversammlung des DAV vom 28./29.01.1922 öffentlich verlauten: »Die Frau eignet sich nicht zur Rechtsanwaltschaft oder zum Richteramt, ihre Zulassung würde daher zur Schädigung der Rechtspflege führen und ist aus diesem Grund abzulehnen.« Dennoch trat am 23.11.1922 das Gesetz über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege vom 11.07.1922 in Kraft. Somit war der Weg für Maria Otto und ihre Nachfolgerinnen frei. Die Anwaltschaft – wie auch der DAV  – blieb aber auch nach 1945 noch für Jahrzehnte eine männliche Domäne. Es dauerte noch bis 1977 an, bis mit RAin Regina Rogalski das erste weibliche Vorstandsmitglied im DAV vertreten war.

Der seit 1970 geführten Statistik der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) ist zu entnehmen, dass die Anzahl der zugelassenen Rechtsanwältinnen kontinuierlich gestiegen ist. Während in 1970 lediglich 1035 Frauen bei insgesamt 22.882 erfolgten Zulassungen verzeichnet waren, hat sich das Bild heute deutlich verändert. Die BRAK führt in der aktuellsten Statistik per 01.01.2022 in ihrer Datei insgesamt 60.057 Rechtsanwältinnen, was einem Anteil von 36,27 % der insgesamt 165.587 zugelassenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte entspricht. Das Bild verändert sich ein wenig beim Blick auf die Fachanwaltszulassungen im Bereich des Insolvenzrechts. Insgesamt 1777 Anwältinnen und Anwälte dürfen die Bezeichnung Fachanwalt/Fachanwältin für Insolvenzrecht bzw. Sanierungsrecht führen. Hiervon sind 356 weibliche Personen zu berücksichtigen, was einem Anteil von 20,03 % entspricht. Die Vermutung, die Anwältinnen würden eher im Familienrecht beheimatet sein, bestätigt die geführte Statistik. Bei der Fachanwaltschaft für Familienrecht beträgt der Frauenanteil heute 59 %. Würde Maria Otto den aktuellen Stand als Erfolg ansehen?

In der Arge Insolvenzrecht und Sanierung im DAV sind von 1442 Mitgliedern 293 weiblich, was einem Frauenanteil von 20,3 % entspricht. Der Geschäftsführende Ausschuss hat sogar einen Frauenanteil von 45 %. Dem Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e. V. (VID) gehören 52 weibliche Mitglieder an. Bei einer Mitgliederstärke von aktuell 466 Personen entspricht dies einem Frauenanteil von 11,16 %. Der VID-Vorstand besteht aus vier Männern und einer Frau, auch der Beirat ist im Verhältnis vier zu eins repräsentiert. Anfang Mai 2023 finden wieder Vorstands- und Beiratswahlen statt, dann könnte sich der Frauenanteil erhöhen.

Bei dem seit 1986 bestehenden Gravenbrucher Kreis sind derzeit keine Verwalterinnen vertreten. Die einzige Insolvenzverwalterin, die es jemals in die Herrenrunde schaffte und sogar zeitweise als Co-Sprecherin fungierte, war seinerzeit RAin Barbara Beutler aus München. Die Neue Insolvenzverwaltervereinigung Deutschlands  e. V. (NIVD) hat eine Mitgliederstärke von 350 Personen, wobei dem Verband alle am Insolvenzverfahren beteiligten Berufsgruppen angehören. Der Vereinigung gehören 62 Frauen an, was einem Anteil von 17,71 % entspricht. Ursprünglich im Sommer 2007 als Verband Junger Insolvenzverwalter e. V. (VJI) gegründet vertritt der NIVD möglicherweise immer noch eher die nächste Generation der Restrukturierungs- und Insolvenzverwalterszene. Dies könnte womöglich ein Grund für die deutlich höhere Frauenbeteiligung sein als beispielsweise beim VID. Oder hängt dies sogar mit RAin Dr. Susanne Berner in ihrer Funktion als Vorstandsvorsitzende und somit als Vorbild für viele Verwalterinnen zusammen? (…)

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