Titelthema | INDat Report 04_2014 | Juni 2014

Woher der Wind weht: Wie stark Brüssel das Insolvenzrecht in der EU harmonisieren möchte

Brüssel. Nachdem das Europäische Parlament den Vorschlag der EU-Kommission zur Reform der Europäischen Insolvenz­verordnung (EuInsVO) am 04.02.2014 unterstützt hatte und nun der Ministerrat voraussichtlich noch im Juni dieses Jahres über die Reformpläne entscheiden wird, hat die EU-Kommission Mitte März dieses Jahres eine Reihe von Grund­sätzen für die nationalen Insolvenzverfahren vorgestellt, die den Fokus auf die frühzeitige Umstrukturierung von finanziell angeschlagenen, aber potenziell rentablen Unternehmen legen. Peter Reuter fragte die bis Ende Oktober 2014 amtierende EU-Justizkommissarin Viviane Reding, was der Anlass dieser Empfehlungen war und warum mit Nachdruck eine weitgehende Harmonisierung beim Insolvenzrecht in Europa angestrengt wird, die Bundesjustizminister Heiko Maas auf dem Deutschen Insolvenzrechtstag 2014 kritisiert hat. Ferner: Ob sie einen eindeutigen Trend in Europa hin zu vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren beobachtet, welche Modelle der frühzeitigen Restrukturierung als Vorbild dienen könnten und ob die in der Empfehlung der Kommission vom 12.03.2014 geforderte verkürzte Restschuldbefreiung auf drei Jahre nur für Unternehmer oder auch für Verbraucher gelten soll.

INDat-Report: Die Europäische Kommission hat am 12.03.2014 Empfehlungen für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen ausgesprochen. Warum haben Sie noch vor der Entscheidung des Ministerrats über die Reform der Europäischen Insolvenzverordnung diese weitere Initiative gestartet?

EU-Justizkommissarin Viviane Reding: Es handelt sich hier um zwei unterschiedliche Initiativen, auch wenn beide das übergeordnete Ziel haben, die Rettungskultur für Unternehmen in der Europäischen Union zu verstärken. Bei der Reform der Insolvenzverordnung geht es darum, die grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren effizienter zu gestalten. Das wollen wir insbesondere dadurch erreichen, dass wir den Anwendungsbereich der Verordnung auf vorinsolvenzliche Verfahren ausweiten. Diese Verfahren ermöglichen dem Schuldner die Restrukturierung seines Unternehmens in einem frühen Stadium – also noch vor Eintritt der tatsächlichen Insolvenz. Solche Verfahren gibt es bereits in einer Reihe von Mitgliedsstaaten, aber eben nicht in allen. Die Verordnung sorgt dafür, dass diese Verfahren grenzüberschreitend anerkannt werden, verpflichtet die Mitgliedsstaaten aber nicht, solche Verfahren einzuführen. Genau hier setzt die Empfehlung an. Ziel ist es, dass dem Schuldner in allen Mitgliedsstaaten solche vorinsolvenzlichen Verfahren zur Unternehmensrestrukturierung zur Verfügung stehen. Wir haben uns entschieden, die Empfehlung zum jetzigen Zeitpunkt zu veröffentlichen, weil mehrere Mitgliedsstaaten derzeit an einer Reform ihres Insolvenzrechts arbeiten. Mit der Empfehlung wollen wir die Kohärenz der bestehenden und künftigen Reformprojekte auf nationaler Ebene fördern. Europäische Standards erleichtern auch die Erarbeitung länderspezifischer Empfehlungen zur Reform des Insolvenzrechts. Die Kommission hat solche Empfehlungen als Teil des Europäischen Semesters, das der Koordinierung der Wirtschaftspolitik dient, an eine Reihe von Mitgliedsstaaten gerichtet. Hauptziele sind, die nationale Haushaltsdisziplin zu stärken und unsere Volkswirtschaften leistungsfähiger zu machen. Zu diesem Zweck überprüft die Kommission frühzeitig die Haushalts- und Reformentwürfe der Mitgliedsstaaten, noch bevor diese von den nationalen Parlamenten beschlossen werden. Wir erhoffen uns von der Insolvenz­empfehlung, dass Europa zu einheitlicheren Standards bei der Unternehmensrestrukturierung kommt. Das senkt die Kosten und erhöht die Rechtssicherheit für Unternehmen in Europa.

(…)

Editorial | Peter Reuter | INDat Report 04_2014 | Juni 2014

Auflockerung kann nicht schaden

Begrüßt worden ist nahezu allerseits, dass der Gesetzgeber im ESUG ein Evaluationsgebot verankert hat. Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen sollen die neuen Regelungen
auf den Prüfstand gestellt werden, inwieweit eine Nachjustierung notwendig erscheint.


Nun mehren sich aber die Stimmen, die eine Abkehr von dieser starren Frist empfehlen, denn sie könne dringend notwendige Korrekturen und Entwicklungen blockieren. Einer der Impulse kommt aus Brüssel, ein anderer aus Gravenbruch bei Frankfurt.

Die EU-Kommission empfahl jüngst den Mitgliedsstaaten, ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren einzuführen. Das ist keine einsame Idee, sondern ein Trend, der in Europa immer mehr Befürworter findet – zum Beispiel Spanien mit der jüngst eingeführten außergerichtlichen Zahlungsvereinbarung sowie Polen mit Gestalt annehmenden Reformplänen.


Derzeit über ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren wieder nachzudenken, verschiebt Berlin mit dem Hinweis auf die Evaluierungsfrist, während die Restrukturierer bereits jetzt die Grenzen des Schutzschirmverfahrens aufzeigen und eine Lücke im deutschen Sanierungsbaukasten feststellen. In anderen EU-Ländern stellt man hingegen neue Werkzeuge zur Verfügung.


Nun meldet sich auch der Gravenbrucher Kreis zu Wort und empfiehlt mit konkreten Vorschlägen eine minimal-invasive Nach­justierung des ESUG – nicht nach fünf Jahren, sondern zum jetzigen Zeitpunkt, da manches aus dem Ruder laufe.


Nun ist Berlin gefragt. Verharrt man weiter bei der starren Frist, bis man sich zu bewegen bereit ist oder will man die vielbeschworene Vorreiterrolle im Insolvenzrecht weiterhin einnehmen? Dann muss man aber die starre Frist auflockern –
sonst könnte der Insolvenz­standort Deutschland leicht an Attraktivität einbüßen.

Inhaltsverzeichnis

3
Editorial
5
Insolvenzbarometer
6
Namen & Nachrichten
 
8
Titel: Interview mit EU-Justizkommissarin Viviane Reding
Woher der Wind weht: Wie stark Brüssel das Insolvenzrecht in der EU harmonisieren möchte
12
Berater & Kanzleien
RA Dr. Uwe Goetker und RA Dr. Matthias Kampshoff (McDermott Will & Emery)
Eins und eins macht drei
16
Standpunkt
RiAG Frank Frind
Legal, illegal, Gerichtsauswahl: Forum Shopping und Richter-Hopping
18
Verwalter & Kanzleien
RA Martin Lambrecht (Leonhardt Rattunde)
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort
22
Kongresse & Tagungen
3rd European Insolvency & Restructuring Congress in Brüssel
Chancen im Wettbewerb der Systeme ausgelotet
28
Hintergrund
Reform der Restschuldbefreiung und des Verbraucherinsolvenzverfahrens zum 01.07.2014
Nicht planlos beim Plan für Verbraucher
30
Standpunkt
Prof. Dr. Andreas Rein
Reform der Restschuldbefreiung und des Verbraucherinsolvenzverfahrens zum 01.07.2014
32
Kongresse & Tagungen
NIVD-Frühjahrsdialog in Wiesbaden
Fokus auf die Reform des Vergütungsrechts
36
 
VID-Frühjahrstagung in Krakau
Neues Fundament für InsVV entwickelt
42
 
8. Marburger Insolvenzrechtstag
Von Gänsen und Gesetzen
44
 
BS InsO-Tag 4.0 in Hamburg
Interna und die Wohl und Wehe
46
 
10. Handelsblatt Jahrestagung
Restrukturierung in Frankfurt »Wertschöpfung gelingt nur durch Wertschätzung«
50
Statistik
Top 30 Verwalter, Top 30 Kanzleien, Top 10 Gerichte
 
51
Insolvenzbarometer II
 
 
54
Veranstaltungen, Impressum, Vorschau