Titelthema | Peter Reuter | INDat Report 04_2015 | Juli 2015
Anhörung im Berliner Abgeordnetenhaus Bitte aufblättern: Wie werden Verwalter bestellt?
Berlin. Das Berliner Abgeordnetenhaus lässt nicht locker. Es hatte den Senat im November 2013 aufgefordert zu prüfen, wie mehr Transparenz bei der Bestellung von Insolvenzverwaltern am AG Charlottenburg hergestellt werden kann. Der darauf folgende Bericht der Berliner Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz stellte die Abgeordneten, vor allem Cornelia Seibeld (CDU) und Sven Kohlmeier (SPD), ganz und gar nicht zufrieden und sie beraumten eine Anhörung mit Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) und dem Präsidenten des AG Charlottenburg, Hans-Michael Borgas, ein. Dieser bekräftigte, dass die richterliche Unabhängigkeit und Datenschutzbestimmungen ihn daran hinderten, die geforderte Transparenz zu schaffen. Dass die Verfahrensvergabe am AG Charlottenburg kein Buch mit sieben Siegeln ist, ergeben die dem INDat Report vorliegenden Daten, die es zuzuordnen, zu verknüpfen und auszuwerten gilt. Das Ergebnis: ein Stück weit Transparenz beim sog. closed shop, wie es sich die Abgeordneten vielleicht vorgestellt haben.
Der Zugang zu lukrativen Insolvenzverfahren sei durchaus begehrt. »Die Herstellung von Transparenz über die jeweils einbestellten Insolvenzverwalter wäre ein wichtiger Beitrag, um sicherzustellen, dass ein breiter Wettbewerb entsteht, der insbesondere auch den Insolvenzschuldnern zugute kommen würde.« So begründeten die Fraktion der SPD und die Fraktion der CDU im Abgeordnetenhaus Berlin am 21.08.2013 den Antrag »Mehr Transparenz bei der Bestellung von Insolvenzverwaltern und Pflichtverteidigern« (Drs. 17/1131), den schließlich alle fünf Fraktionen in der Sitzung am 07.11.2013 beschlossen haben und der lautet: »Der Senat wird aufgefordert zu prüfen, wie mehr Transparenz bei der Bestellung von Insolvenzverwaltern und Pflichtverteidigern durch die Gerichte hergestellt werden kann. Dabei ist insbesondere die Erstellung und Veröffentlichung einer Liste der im Vorhalbjahr berufenen Insolvenzverwalter und Pflichtverteidiger, aufgeschlüsselt nach den einzelnen Kammern und Verfahren der Berliner Gerichte, ins Auge zu fassen. Bei Insolvenzverwaltern soll zudem geprüft werden, ob die Dauer und der Erfolg des Verfahrens und die Höhe der Vergütung der Insolvenzverwalter erfasst und veröffentlicht werden können. Des Weiteren wird der Senat aufgefordert, zur Herstellung von mehr Transparenz bei der Bestellung von Insolvenzverwaltern und Pflichtverteidigern die Änderung der bundesgesetzlichen Regelungen zu prüfen und falls erforderlich eine Bundesratsinitiative zu ergreifen. Dem Abgeordnetenhaus ist bis zum 31.12.2013 zu berichten.«
Bericht des Justizsenators:
Was gegen Transparenz spricht
Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz legte dem Abgeordnetenhaus daraufhin dazu einen Bericht (Drs. 17/1465) vor, der 14 Seiten umfasst. Dieser erläutert allgemein die Bestellung von Verwaltern, die insolvenzrechtlichen Bekanntmachungen sowie die Insolvenzstatistik und beschreibt die Auswertungen privater Dienstleister von Unternehmensinsolvenzen, für die er als Beispiel den INDat Report mit den »open shops« und »closed shops« (Verhältnis der eröffneten Unternehmensinsolvenzverfahren zur Anzahl der bestellten Verwalter) nennt. Im Folgenden gibt der Bericht ausführlich die richterliche Unabhängigkeit und datenschutzrechtliche Aspekte als Argumente dafür an, warum die Justizverwaltung die von den Berliner Abgeordneten erwünschten Transparenzlisten des AG Charlottenburg nicht erstellen bzw. vorlegen kann. Letztendlich könne eine solche von der Justizverwaltung erstellte Liste »den Anschein eines Einwirkungsversuchs« erwecken oder einen »nachträglichen Rechtfertigungsdruck« erzeugen, heißt es.
»Bereits die vom INDat-Report wertend verwendeten Begriffe »open shop« (=vorbildlich) und »closed shop« (=verbesserungswürdig) lassen erkennen, dass durch derartige Aufstellungen zumindest der Anschein eines Einwirkungsversuchs ausgeht«, so der Bericht. Bei der Veröffentlichung entsprechender Listen gehe zwar der Einwirkungsversuch nicht unmittelbar von der Justizverwaltung aus. »Dies dürfte jedoch unerheblich sein, da die Justizverwaltung durch die Veröffentlichung entsprechender Listen mittelbar eine entsprechende Einwirkung bezweckt.«
Umsatzzahlen können
veröffentlicht werden
Was die Veröffentlichung von Verfahrensergebnissen angeht,
stehe man dieser zwar wegen der Bewertung der Kriterien nicht
bedenkenfrei gegenüber, halte sie aber für vertretbar. Dazu
zählten auch das Verfahren betreffende Daten wie Umsatz und
Zahl der Arbeitnehmer vor Insolvenzeröffnung. Daher dazu nun
ein Blick auf die Daten: Die letzten veröffentlichten Umsätze
insolventer Unternehmen können den jeweiligen Richtern des AG
Charlottenburg zugeordnet werden (siehe Tabelle Seite 15). Anzumerken
ist, dass die Umsatzzahlen natürlich nicht mit den tatsächlichen
Umsätzen insolventer Betriebe gleichzusetzen sind,
aber als Anhaltspunkt für die Unternehmensgröße dienen können,
über deren Vergabe die Richter zu entscheiden haben. Darüber
hinaus (siehe die für diesen Titel erstellten Tabellen am Ende des Textes) lässt sich darstellen, welche »Umsätze« demnach Verwalter
von welchem Richter erhalten haben und mit welchen
neuen »Umsätzen« Verwalter Jahr für Jahr zu tun haben. Auch
findet sich auf indat-report.de eine Zuordnung aller eröffneten
Verfahren nach Aktenzeichen zu den jeweiligen Verwaltern.
Die Senatsverwaltung für Justiz kommt in ihrem Bericht zu
dem Schluss, dass spruchkörperbezogene Auswertungen der bestellten
Insolvenzverwalter ohne bundesgesetzliche Grundlage
unzulässig seien. Man wolle aber bei der kommenden Justizministerkonferenz
die Einsetzung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe
zur Erhöhung der Transparenz in der Justiz vorschlagen. »Ich
bitte, den Beschluss als erledigt anzusehen«, so endet der Bericht
an das Abgeordnetenhaus von Thomas Heilmann (CDU), Senator
für Justiz und Verbraucherschutz, vom 11.02.2014.
Als erledigt betrachteten die Abgeordneten den Beschluss
ganz und gar nicht, vor allem MdA Cornelia Seibeld (CDU), Vorsitzende des Ausschusses für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten,
Verbraucherschutz und Geschäftsordnung, und MdA
Sven Kohlmeier (SPD), rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion.
Sie veranlassten eine Anhörung in der öffentlichen Sitzung
ihres Ausschusses am 15.04.2015, in der sowohl Justizsenator
Thomas Heilmann als auch der Präsident des AG Charlottenburg,
Hans-Michael Borgas, Rede und Antwort standen.
Differenz zwischen Aussage
und Auswertung der Daten
Nach der Begrüßung durch die Ausschussvorsitzende Seibeld
erläuterte Kohlmeier die Überlegungen zu dieser Initiative und
der Anhörung, deren Gegenstand dieser Bericht sei, der ausführlich
mitgeteilt habe, »dass die entsprechende Transparenz vom
Senat nicht hergestellt werden kann«. Der Justiz könne hier
Transparenz nicht schaden, bemerkte er, schon um sich des Vorwurfs
zu erwehren, dass es hier einen closed shop gebe. AGPräsident
Borgas führte im Anschluss aus, dass am AG Charlottenburg
insgesamt neun Richter mit Unternehmensinsolvenzverfahren befasst seien, die zusammen eine Vorauswahlliste mit
etwa 160 Verwaltern führten. Bestellungen würden dann über
insolvenzbekanntmachungen.de veröffentlicht, was der Transparenz
diene, in welchem Verfahren welche Insolvenzverwalter
von welcher Abteilung des Amtsgerichts bestellt worden seien.
Er als Präsident dürfe aber die geforderte Transparenzliste nicht
erstellen, weil er damit vor allem in die Unabhängigkeit des
Richters eingreifen würde. Dass man bei »160 Leuten auf der
Liste« von einem closed shop spreche, sei für ihn nicht nachvollziehbar.
Die IT-Anwendung seines Gerichts gebe recht problemlos
her, führte Borgas weiter aus, dass »von diesen dort
gelisteten 160 Personen im letzten Jahr allein fast 100 bestellt
wurden. Ohne dass ich jetzt im Einzelnen weiß, wie oft sie im
Einzelfall an der Reihe gewesen sind.«
Was die Anzahl der bestellten Verwalter für Unternehmensinsolvenzen
angeht, so ergibt sich in der Auswertung der Jahre 2012 bis
2014 (siehe Tabelle Seite 14) allerdings eine Differenz: Lediglich
etwa 60 Verwalter haben die neun Richter in Verfahren über juristische
Personen bestellt. Was das Verhältnis der bestellten Verwalter
und Verfahren angeht (closed shops), ist Berlin in der Gesamtstatistik
2014 weiterhin führend vor Hamburg und München.
AG-Präsident Borgas teilte in dieser Anhörung allerdings
nicht mit, dass das AG Charlottenburg einen einfachen Rückschluss
der Verfahrensvergabe auf den bestellenden Richter
zulässt. Der jährlich veröffentlichte Geschäftsverteilungsplan
des Gerichts ordnet jedem Insolvenzrichter bzw. jeder Abteilung
(36 a bis 36 z) Buchstaben zu. Befindet sich der Anfangsbuchstabe
eines Unternehmens unter den zugeordneten Buchstaben, so
fällt der Schuldner in seine Zuständigkeit. Somit lässt sich eindeutig
erkennen, dass z. B. RiinAG Mechthild Wenzel seinerzeit
für das Suhrkamp-Verfahren zuständig war. Die Buchstabenzuordnung
variiert von Jahr zu Jahr ein wenig, in diesem Jahren
sieht sie nebst ebenfalls veröffentlichter Vertretungsliste so
aus: RiinAG Dr. Brückner (A, Y), RiAG Dr. Gradl (B, H, V), RiAG
Horstkotte (C, N, Oa-Ol, Q), RiinAG Sonneborn (D, W), RiAG
Siebrecht (E, Om-Oz, T, U, X), RiinAG Quellhorst (F, L, P), RiiAG
Bräutigam (G, I, K, Ru), RiiAG John (J, M, Ra-Rh) und RiiAG
Wenzel (Ri-Rz ohne Ru, S, Z).
Statistiken des INDat Report
legen Bestellungen offen
In der Anhörung stellte MdA Dirk Behrendt (Grüne) die Fragen,
wie es mit der im Bericht erwähnten Bund-Länder-Arbeitsgruppe
aussehe und wie viele Unternehmensinsolvenzverfahren
es am AG Charlottenburg überhaupt gebe. Letzteres beantwortete
AG-Präsident Borgas nur dahingehend, da er keine Statistik
bei sich führe, dass »es in unserem Haus mehrere 1000 Verfahren
gibt« – inklusive mM abgewiesene. Die Jahresstatistik 2014
des INDat Report zeigt hingegen, dass 584 Verfahren über Gesellschaften
eröffnet wurden. Die »Top 10 Verwalter« führen für
2014 RA Dr. Björn Gehde, RA Philipp Hackländer und RA Knut
Rebholz mit jeweils 29 Verfahren an, und bei den »Top 10 Kanzleien
« rangieren Hilgers & Partner (51), Kühnel Rosenmüller &
Kollegen (46) und White & Case Insolvenz GbR (43) ganz oben.
Als »natürlich unbefriedigend« bezeichnete Kohlmeier die
Ausführungen von Borgas, den dargestellten Gründen könne er
nicht folgen. »Ich kann mir schlechterdings vorstellen, dass die
Justiz der Bereich sein soll, in dem die Transparenz in bestimmten
Bereichen nicht hergestellt werden kann oder darf, weil die
richterliche Unabhängigkeit dem entgegensteht.« Das erschließe
sich ihm nicht, da die Daten, wie von Borgas angeführt, doch verfügbar seien, sodass eine Liste daraus erstellt werden könnte.
Warum könne er als Präsident nicht bei den Richtern dafür
werben, lediglich eine Darstellung dessen, was ohnehin öffentlich
verfügbar sei – Abteilung, Verfahren, Verwalter –, zu erstellen
und dem Parlament zur Verfügung zu stellen, »auch um einen
möglichen Verdacht auszuräumen«. An ihn sei herangetragen
worden, dass die Richter, aus welchen Gründen auch immer, auf
eine eingeschränkte Auswahl von Personen zurückgreifen, und
er meine damit hauptsächlich die Unternehmens- und Großverfahren.
Die Zahlen privater Dienstleister zeigten, dass es in
Berlin mehrere Kanzleien gebe, die sehr viele von diesen Insolvenzverfahren
durchführten. »Ich frage deshalb, ob eine solche
Transparenzliste nicht auch Ihnen und den Richtern in der Argumentation
hilft, eine Darlegung zu haben, dass es sich gerade
nicht um einen closed shop handelt.« Auch die Ausschussvorsitzende
Cornelia Seibeld richtete zwei Fragen an Borgas:
Zum einen, ob objektive Kriterien vorlägen, nach denen ein
Verwalter auf die Vorauswahlliste kommt. Und zum anderen: ob
es eine Evalu ation zumindest für den internen Gebrauch über
die gelisteten Verwalter als Hilfe für neue Richter gebe, um sich
über die Gelisteten informieren zu können.
Darauf erwiderte Borgas, dass die Gerichtsverwaltung keine
Liste führe und daher auch keine Evaluation betreibe, ihm die
Richter aber mitteilten, sich »entsprechend Notizen« zu machen,
wen sie wie oft bestellt hätten. Alle Insolvenzrichter seien
mit den gelisteten Verwaltern im Gespräch, die regelmäßig
im Haus seien. »Das ist zumindest das, was ich durchaus beobachte, wenn ich durch die Gänge gehe.« Zur Frage der geforderten
Transparenzliste wiederholte Borgas den für ihn dagegen
sprechenden Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit, er
sehe keine gesetzliche Grundlage, diese Datenliste zu erstellen.
Danach beteiligte sich auch Justizsenator Thomas Heilmann an
der Anhörung und teilte mit, dass es für die von ihm vorgeschlagene
Bund-Länder-Arbeitsgruppe »überhaupt keine Unterstützung
bei den anderen Ländern« gegeben habe. Aber in Sachen Transparenzliste
kündigte er eine Lösung an: Man wolle eine Studie
initiieren, »die der Sache auf den Grund geht bzw. stärker auf den
Grund geht, um über eine wissenschaftliche Betrachtung eben
keine Maßnahme der Dienstaufsicht darzustellen. Wir wollen vielmehr
anregen, dass sich ein Wissenschaftler mit der Frage beschäftigt.
Dazu werde ich in den nächsten Monaten hier über den
Fortgang berichten.« Auf Anfrage erklärte die Berliner Senatsverwaltung
für Justiz, dass die Vorbereitungen noch liefen, da auch
der Berliner Datenschutzbeauftragte in das Vorhaben eingebunden
sei. Daher könne man derzeit weder mit validen zeitlichen
noch inhaltlichen Auskünften zur angekündigten Studie dienen.
Zum Ende der Anhörung lieferte sich MdA Sven Kohlmeier
einen Schlagabtausch mit dem AG-Präsidenten zu Fragen des
Informationsfreiheitsgesetzes (IFG). Man würde »bei berechtigtem
Interesse« alle Informationen zu Verwaltungsvorgängen
herausgeben – doch man führe aus den genannten Gründen dazu
keine Verwaltungsvorgänge. »Die Liste, die Ihnen vorschwebt,
hat meine Verwaltung nicht.« Justizsenator Heilmann ergriff
beschwichtigend das Wort: Er habe mit Borgas überlegt, wie
man rechtmäßig eine solche Liste anfertigen könne. »Wenn sie
erstellt ist, wird sie auch hier vorgelegt.« Er könne nachvollziehen,
dass der Verdacht einer unsachgemäßen Auswahlentscheidung
steige, wenn man die Transparenz verweigere. Kohlmeier
hakte dennoch bei Borgas nach, wies darauf hin, dass es beim
IFG keines berechtigten Interesses bedürfe und stellte klar, dass
es ihm nicht um »die Liste« gehe, sondern eine Anfrage lauten
würde: Geben Sie mir bitte Auskunft über Einzelfragen, was
dann Spiegelstriche konkretisierten. Würde das Amtsgericht
dem Bürger dann Auskunft nach dem IFG erteilen, wolle er wissen.
Die Ausschussvorsitzende Cornelia Seibeld stellte fest, dass
Borgas die Frage »mit Kopfschütteln« beantwortet habe, und
beendete die Anhörung: »Wir können den Tagungsordnungspunkt
nicht für erledigt erklären, sondern werden die Auswertung
des Wortprotokolls abwarten.« «
Weiter Statistiken zu diesem Thema finden sie hier:
Berlin: Bestellungen 2012-2014
Berlin: Umsätze Durchschnitt je Verfahren
Berlin: Anzahl Verfahren
Berlin: Umsätze der Verfahren
Berlin: Umsätze der Verfahren nach Verwaltern
Berlin: Anzahl Bestellungen nach Verwaltern
(…)
Editorial | Peter Reuter | INDat Report 04_2015 | Juli 2015
Aufblättern ist kein Kunststück
Das AG Charlottenburg hat es nicht leicht. Sorgten vor längerer Zeit relativ niedrige Eröffnungsquoten des größten deutschen Insolvenzgerichts für Aufregung, ist es nun wieder der Umstand, dass es sich bei diesem Gericht um einen closed shop handelt. Verbunden damit stellte kürzlich das Berliner Abgeordnetenhaus einige Fragen an den Justizsenator und verlangte Transparenz, was die Vergabepraxis der Unternehmensinsolvenzen an die Verwalter angeht.
Zunächst einmal: Dass es sich bei Berlin um einen closed shop handelt, lässt sich nicht bestreiten. Closed shop ist definiert als das Verhältnis der vergebenen Verfahren zu den bestellten Verwaltern. Das ist völlig wertungsfrei und beschreibt einen mathematischen Bruch. Berlin hat hierbei einfach den höchsten Wert.
Die Frage nach der gerichtlichen Verwalterbestellung als angeblich intransparenter Akt verflüchtigt sich wohl in naher Zukunft immer mehr. Schließlich etabliert sich bei den großen, massehaltigen Verfahren die gerichtliche Bestellung auf der Grundlage einstimmiger Gläubigervoten. Das trifft sicherlich auch für Berlin zu.
Umso weniger verständlich ist es, dass es seitens der Berliner Justiz(verwaltung) eine Art Verweigerungshaltung gibt, den Berliner Abgeordneten einen transparenten Einblick über die Bestellpraxis zu verschaffen. Das, was offengelegt werden soll, ist schließlich kein Buch mit sieben Siegeln. Daher will der INDat Report zur gewünschten Transparenz bei der Bestellung der Verwalter am AG Charlottenburg ein Stück weit beitragen. Einiges überrascht bei diesen Auswertungen, anderes nicht.
Austria | von Mag. Gabriele Schiemer und Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Höller, Wien* | INDat Report | Juli 2015
Grundsätze für Restrukturierungen in Österreich – eine Erfolgsgeschichte
Gelungene Sanierungen schützen nicht nur Banken und andere Gläubiger, sie vermeiden auch massive negative soziale und volkswirtschaftliche Auswirkungen. Die außergerichtlichen Restrukturierungen in den vergangenen Jahren haben gezeigt, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der österreichischen Banken bei sanierungsbedürftigen Unternehmen entscheidend ist, um den Schaden für alle Beteiligten zu minimieren. Dies rührt daher, dass die Kunden meist nicht in der strategischen Krise ihre Banken besuchen, sondern leider erst zu oft in der Liquiditätskrise. Daher ist der Zeitfaktor stets ein sehr entscheidender und ein strukturiertes Vorgehen im Kreis der Finanzgläubiger ein wesentlicher Bestandteil zum Gelingen einer erfolgreichen Sanierung.
Die Dynamik einer Sanierung kann jedoch manchmal die Eigeninteressen über die gemeinsamen stellen und aus diesem Grund haben im Februar 2013 Mag. Harald Brückl (UniCredit Bank Austria), Mag. Gabriele Schiemer (Raiffeisen Bank International AG), Dr. Ralf Zeitlberger (ERSTE Group AG) und RA Dr. Wolfgang Höller (Schönherr Rechtsanwälte GmbH) eine Initiative gestartet, gemeinsam mit allen österreichischen Banken sowie allen an außergerichtlichen Restrukturierungen Beteiligten, Grundsätze der Zusammenarbeit bei außergerichtlichen Sanierungen auszuarbeiten, unabhängig von der jeweiligen Interessenslage.
Festzuhalten ist, dass die »Grundsätze für Restrukturierungen in Österreich« keine rechtsverbindlichen Regelungen sind. Es ist das Recht und die Pflicht jedes einzelnen Gläubigers, eigenverantwortlich darüber zu entscheiden, ob er die dann vorliegende außergerichtliche Sanierung unterstützt. Die Grundsätze zielen ausschließlich auf eine allgemeine Verbesserung der Prozesse bei Restrukturierungen ab, um die Effizienz dieser Prozesse zum Vorteil für alle Beteiligten zu erhöhen.
1. Grundsatz
Wenn sich ein Schuldner in finanziellen Schwierigkeiten befindet, sollten alle Gläubiger zur gegenseitigen Zusammenarbeit bereit sein, um dem Schuldner genügend (wenngleich begrenzte) Zeit zu geben (eine »Standstill-Periode«), um Informationen über den Schuldner zu erlangen und zu prüfen und um Vorschläge zur Überwindung der finanziellen Schwierigkeiten des Schuldners zu erarbeiten und zu bewerten, außer dies ist im konkreten Fall nicht angebracht.
2. Grundsatz
Während der Standstill-Periode sollten die Finanzgläubiger zustimmen, keine Maßnahmen zur Durchsetzung ihrer Forderungen gegenüber dem Schuldner oder (auf andere Weise als durch Verkauf ihrer Forderung an einen Dritten bei gleichzeitiger Überbindung der bestehenden Verpflichtungen) zur Verringerung ihres Obligos gegenüber dem Schuldner zu treffen. Sie können jedoch erwarten, dass ihre Position im Vergleich zu den anderen Gläubigern sowie ihre Positionen untereinander während der Standstill-Periode nicht gefährdet werden.
3. Grundsatz
Während der Standstill-Periode sollte der Schuldner nichts tun, was die mögliche Quote an die Gläubiger (entweder einzeln oder gemeinsam) im Vergleich zu ihrer Position zu Beginn der Standstill-Periode nachteilig beeinträchtigen könnte.
4. Grundsatz
Den Interessen der Gläubiger wird bestmöglich Rechnung getragen, wenn sie ihre Reaktion gegenüber einem Schuldner, der sich in finanziellen Schwierigkeiten befindet, koordinieren. Dies wird durch die Wahl eines oder mehrerer repräsentativer Koordinationsausschüsse sowie durch die Bestellung professioneller Berater, die für diese Ausschüsse beratend und unterstützend tätig sind, sowie, wo es zweckmäßig erscheint, durch Einbindung der weiteren relevanten Gläubiger in den Gesamtprozess ermöglicht.
5. Grundsatz
Während der Standstill-Periode sollte der Schuldner alle
relevanten Informationen über sein Aktiv- und Passivvermögen, sein Unternehmen und seine Aussichten beibringen und den Gläubigern und/oder deren Beratern angemessene und zeitgerechte Einsicht in diese Unterlagen ermöglichen, um eine angemessene Beurteilung seiner Finanzlage und die Unterbreitung von Vorschlägen an die Gläubiger zu ermöglichen.
6. Grundsatz
Vorschläge zur Lösung der finanziellen Schwierigkeiten des Schuldners sowie ggf. allfällige Restrukturierungsvereinbarungen zwischen den Gläubigern sollten die Vorschriften des anwendbaren Rechts sowie die jeweiligen Positionen der Gläubiger zu Beginn der Standstill-Periode berücksichtigen.
7. Grundsatz
Informationen, die über das Aktiv- und Passivvermögen sowie über das Unternehmen des Schuldners für das Verfahren erlangt wurden, sowie alle Vorschläge zur Beseitigung seiner Schwierigkeiten, sollten allen an der Restrukturierung beteiligten Gläubigern zugänglich gemacht und – sofern nicht bereits öffentlich zugänglich – vertraulich behandelt werden.
8. Grundsatz
Für den Fall, dass während der Standstill-Periode oder im Rahmen von Rettungs- und Sanierungsvorschlägen weitere Mittel zur Verfügung gestellt werden, sollte, sofern praktikabel, die Rückzahlungen solcher zusätzlichen Mittel gegenüber anderen Schulden oder Forderungen der Gläubiger vorrangig sein.
Weiters ist festzuhalten, dass auch die konstruktive Mitwirkung von Leasinggesellschaften und Warenkreditversicherern für den Erfolg von außergerichtlichen Restrukturierungen von großer Bedeutung sind. Daher nehmen die Grundsätze auf diese beiden Gläubigergruppen ebenfalls Bezug, insbesondere hinsichtlich der rechtzeitigen Einbindung in die Finanzierungsgespräche. Seit Juni 2013 sind diese Grundsätze nun am Finanzplatz Österreich etabliert und man kann rückblickend für die letzten beiden Jahre sagen, dass sie sich sehr bewährt haben. Die rasche Implementierung der Grundsätze hat auch gezeigt, dass ein Bedarf nach einem derartigen Regelwerk vorhanden war, da unnötige Diskussionen innerhalb des Bankenkreises vermieden werden können. Abschließend sei festzuhalten, dass es für das Zusammenwirken der Gläubiger am Finanzplatz Österreich im Fall einer Restrukturierung die Grundsätze einen wesentlichen Beitrag leisten. «
Die gesamten »Grundsätze für Restrukturierungen in Österreich«
finden Sie unter:
www.schoenherr.eu/knowledge/knowledge-detail/
grundsaetze-fuer-restrukturierungen-in-oesterreich/
* Mag. Gabriele Schiemer ist Bereichsleiterin für Operatives Risikomanagement in der Österreichischen Volksbank AG; Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Höller ist Partner bei Schönherr in Wien und Head der Practice Group Insolvency & Restructuring.
Inhaltsverzeichnis
3 | Editorial |
6 | Namen & Nachrichten Vier Studien zu drei Jahren ESUG |
7 | INDat Barometer I |
9 | Im Gespräch VID-Ombudsmann Dr. Volker Drecktrah Bekanntheitsgrad ist steigerungsfähig |
10 | Titel Anhörung im Berliner Abgeordnetenhaus Bitte aufblättern: Wie werden Verwalter bestellt? |
16 | Berater & Kanzleien RA Dr. Martin Stockhausen und RA Dr. Thorsten Bieg (GÖRG) Keine Angst vor der heißen Küche |
20 | Standpunkt Mag. Gabriele Schiemer und RA Dr. Wolfgang Höller Grundsätze für Restrukturierungen in Österreich – eine Erfolgsgeschichte |
22 | Verwalter & Kanzleien RA Dr. Malte Köster (Willmer & Partner) Fest verankert mit ortsnaher Verwaltung |
26 | Im Gespräch über IN-Verfahren Middelhoff RA Dr. Thorsten Fuest Der Fall beschwört eine Planinitiative herauf |
28 | Kongresse & Tagungen 11. Mannheimer Insolvenzrechtstag und Festveranstaltung »10 Jahre ZIS« Als Pionier zehn Jahre Marker gesetzt |
32 | 11. Symposion Insolvenz- und Arbeitsrecht in Ingolstadt Pulverdampf in der Luft |
36 | Im Gespräch über das »hww ESUG-Radar 2015« Dr. Jochen Brinkmann Nachsorge muss folgen |
38 | Symposien & Vorträge 6. Symposium des Instituts für Internationales und Europäisches Insolvenzrecht an der Universität zu Köln Zwischen Reglement und kreativer Praxis |
41 | DAV-Diskussionsveranstaltung zu den geplanten Änderungen im Anfechtungsrecht in Berlin Auf der Suche nach fruchtbarem Input |
44 | European Corporate Insolvency Conference in Oxford Europäische Reformen unter die Lupe genommen |
48 | 10. Berliner Trilog des iir e. V. zum Thema: »Pre-insolvency Restructuring – Europe calling, Berlin busy?« To scheme or not to scheme? |
50 | Kongresse & Tagungen 11. Handelsblatt Jahrestagung Restrukturierung in Frankfurt Dirigieren und transformieren |
54 | 11. Düsseldorfer Insolvenztage Ritt und Ausflüge am Rhein |
57 | Marburger Insolvenzrechtstag Vom praktischen Umgang mit Regelungslücken |
60 | BS InsO 5.0 in Hamburg Weit weg von Seemannsgarn |
62 | VID-Mitgliedertagung in Mannheim Ständiger Hürdenlauf |
66 | Statistik Top 30 Verwalter, Top 30 Kanzleien, Top 10 Gerichte |
67 | INDat Barometer II |
70 | Veranstaltungen, Impressum, Vorschau |