Titelthema | INDat Report 04_2021 | Mai 2021

Post-Privacy im Insolvenzrecht

Ein Plädoyer für mehr Gelassenheit im Umgang mit der Öffentlichkeit

Das Insolvenzverfahren ist informationell zweigeteilt: Einerseits werden Sicherungsmaßnahmen, Eröffnungen und Termine auf insolvenzbekanntmachungen.de veröffentlicht. Zum anderen finden Berichts-, Prüfungs- und Schlusstermin unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, obschon ihnen das Interesse gilt. Ist diese Disparität noch zeitgemäß und sind nicht Lockerungen ange- zeigt? Ein Mehr an Öffentlichkeit, ein Mehr an Transparenz ist gegen das Geheimhaltungsinteresse der Beteiligten abzuwägen. Aber die technische Entwicklung ist längst ihren eigenen Weg gegangen. Mobiltelefon, Internet und soziale Netzwerke haben eine Lawine von Daten losgetreten, die den Schutz privater Daten an seine Grenzen bringt. Die Trennlinie von Öffentlichkeit und Privatem sind undeutlich geworden, weshalb alles, was bekannt ist, auch transparent gemacht werden kann. Damit stellt sich der Schutz des Privaten neu, wie das die »Post-Privacy«-Bewegung fordert. Ob sich das Insolvenzverfahren dieser Entwicklung dauerhaft entziehen kann, wird die Zukunft zu entscheiden haben. Beginnen wir mit Ungereimtheiten, wie sie heute anzutreffen sind. In einem weiteren Schritt ist der Blick über den Atlantik zu richten, um danach die Möglichkeiten weiterer Transparenz im Lichte der medialen Entwicklung in Deutschland auszuloten. Text: RiAG a.D. Dr. Helmut Zipperer

Editorial | Peter Reuter | INDat Report 04_2021 | Mai 2021

Transparenz kommt in kleinen Schritten

Das Insolvenzverfahren ist häufig ein Buch mit sieben Siegeln. Nach außen hin, versteht sich. Als nicht öffentliches Verfah- ren gibt es von offizieller Seite über die Angaben in den öffentlichen Bekanntmachungen hinaus oft nur eingeschränk- te Informationen, das entspricht den gesetzlichen Vorgaben. Dass aber Gläubiger nicht daran gehindert sind, Externen spannende Interna zu berichten, ist allseits bekannt und geschieht nicht selten. Die Verbreitung über die sozialen Netz- werke tut ihr Übriges und ermöglicht den zügigen Informa- tionsfluss sogar live aus Gläubigerversammlungen. Zudem ist es geübte Praxis, Forderungen aus Insolvenzver- fahren zu kaufen, um sich als Neugläubiger Einblicke in die Verfahrensakten zu verschaffen. Nicht selten machen davon auch Insolvenzverwalter Gebrauch, die großes Interesse an der Arbeit ihrer Kollegen und der Komplexität deren Insolvenzver- fahren haben. Bei grenzüberschreitenden Insolvenzen können mitunter in Ländern wie den USA, die das Insolvenzverfahren recht transparent für alle halten, bei geübter Onlinerecherche Interna aus deutschen Insolvenzverfahren gezogen werden. Diesen tatsächlichen Aufweichungen der Nichtöffentlich- keit steht die mitunter strenge Handhabung einiger Insolvenz- gerichte gegenüber, für sogar nachgewiesen wissenschaftliche Zwecke Einsicht in Insolvenzverfahrensakten zu verweigern. Außerdem war wohl eine der größten Sorgen im Zusammen- hang mit der Diskussion um virtuelle Gläubigerversammlun- gen, ob denn nicht auch Unberechtigte im Umfeld der Verfahrensbeteiligten »Zeuge« der digitalen Übertragung werden könnten. Nun haben pandemiebedingt einige teilvir- tuelle Gläubigerversammlungen stattgefunden, von verfah- rensschädigenden Wirkungen war bislang nicht die Rede. Aber auch andere Transparenzgesichtspunkte des Insolvenzverfahrens stehen im Fokus. Die Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz ist zu größten Teilen bereits in deutsches Recht umgesetzt bzw. in Kraft getreten. Was noch auf der politischen Agenda steht, ist Art. 26 der Richtlinie, »Verwalter in Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren«, zu dem sich weitere Ausführungen in den Erwägungsgründen 87 bis 89 finden lassen. In Art. 26 heißt es: »Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Zulassungsvoraussetzungen sowie das Verfahren für die Bestellung, die Abberufung und den Rücktritt von Verwaltern klar, transparent und fair sind.« Bekanntermaßen hat sich die Praxis frühzeitig um gesetzli- che Lösungsvorschläge bemüht, ist aber auf keinen gemein- samen Nenner gekommen. Die mit wissenschaftlicher Unter- stützung erarbeiteten Konzepte einschlägiger Verbände zu einem Berufsrecht als sog. kleine oder große Lösung liegen alle auf dem Tisch. Eine Annäherung der Positionen, die aus dem politischen Berlin erwünscht war, um gesetzgeberisch oder als Verordnungsgeber tätig werden zu können, ist weiterhin nicht zu erkennen. Nun beschäftigen sich zehn Bundesländer in einer Runde mit den Vorgaben der Richtlinie und somit mit den bereits erarbeiteten Vorschlägen, wenngleich die Bezeichnung der Arbeitsgruppe »Vorauswahlliste Insolvenzverwalter« die Konzentration ihres Anliegens erkennen lässt. Im Ergebnis könnte es auf eine von einer zentralen Stelle betreute Bundesvorauswahlliste hinauslaufen als Vorschlag in Richtung kommender Gesetzgeber, wobei entscheidend für die Praxis- tauglichkeit und die Entlastung der Insolvenzgerichte sein wird, nach welchen wie geprüften Kriterien zur Zulassung eine Aufnahme erfolgt und wie das Delisting funktioniert. Um sich über eine Bundesliste hinaus wieder einem Berufsrecht für Verwalter anzunähern, brauchte es mindestens verpflichtende Berufsausübungsregelungen nach dem Vorbild der GOI und eine Aufsicht darüber, auf die sich die einschlägi- gen Zusammenschlüsse der Verwalter konsensual verständigen müssten. Es bleibt für diese Kompromisssuche noch Zeit, bis sich der nächste Gesetzgeber konstituiert hat – vorausgesetzt, das Berufsrecht für Verwalter findet sich über ein zentrales Zulassungssystem hinaus weiterhin auf der Agenda des kommenden Regierungsprogramms.

Inhaltsverzeichnis

3
Editorial
6
Anzeigenübersicht/ Impressum
7
Statistiken
Barometer Land
8
Namen & Nachrichten Mit Bremer Modell auch für das StaRUG sensibilisieren
10
Titel Ein Plädoyer für mehr Gelassenheit im Umgang mit der Öffentlichkeit Post-Privacy im Insolvenzrecht
22
Berater & Unternehmen Eva Ringelspacher (Restrukturierungspartner) Financial Services in allen Krisenlagen
26
Im Gespräch Prof. Dr. Reinhard Bork Modellgesetz zur Insolvenzanfechtung mit neun Paragraphen
30
Dissertationen zum Restrukturierungs- und Insolvenzrecht Kenny Koa, Gläubiger ohne Risiko
36
Symposien & Vorträge Rheinischer Restrukturierungszirkel StaRUG nur mit frischem Geld
40
Kongresse & Tagungen Jahrestagung der Gesellschaft für Restrukturierung – TMA Deutschland e.V. Rollt die Insolvenzwelle auf Deutschland zu?