Titelthema | Karsten Zabel/Dietmar Rendels | INDat Report 06_2014 | September 2014
Wenn die Zahlen nicht mehr stimmen: Bringt ES 11 Klarheit zur Insolvenzreife?
Köln. Zur »Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen« hat der Fachausschuss Sanierung und Insolvenz (FAS) des Instituts der Wirtschaftsprüfer e. V. (IDW) am 06.05.2014 den Entwurf eines »IDW-Standards« vorgelegt. Anregungen und Ergänzungsvorschläge können bis zum 12.12.2014 an die Geschäftsstelle des IDW adressiert werden. Der IDW-Standard soll die bisherigen Ausführungen des IDW zur (drohenden) Zahlungsunfähigkeit (IDW PS 800) und zur Beurteilung des Vorliegens einer Überschuldung (IDW St/FAR 1/1996) ersetzen. Nach Ansicht der Verfasser leistet der vorliegende IDW ES 11 zwar einerseits einen wichtigen Beitrag, die Diskussion zur Beurteilung der Insolvenzgründe voranzutreiben. Andererseits wird jedoch noch weiterer Bedarf zum »Feinschliff« des IDW ES 11 gesehen. Dies betrifft insbesondere die Definition und Abgrenzung der drohenden Zahlungsunfähigkeit von anderen Insolvenzgründen sowie Hilfestellungen bei der praktischen Vorgehensweise, insbesondere in der Beurteilungssituation vor einer möglichen Insolvenz.
A. »Rang« von Stellungnahmen berufsständischer Interessenverbände
Gerade im Insolvenz- und Sanierungsbereich häufen sich in den letzten Jahren Stellungnahmen berufsständischer Interessenverbände zu verschiedensten Problembereichen1. Das IDW, das schon seit vielen Jahren immer wieder interessante Stellungnahmen und sog. »Standards« zu problematischen Fragen des Insolvenz- und Sanierungsrechts vorlegt, war in gewisser Weise Vorreiter dieser Entwicklung. Da diese Stellungnahmen öffentlich diskutiert werden und die Anmerkungen oft in die Endfassung einfließen, werden Rechtsmeinungen und Interessen gebündelt. Berufsträger, insbesondere sanierungserfahrene Wirtschaftsprüfer, sind grundsätzlich gehalten, sich bei ihrer Berufstätigkeit an diesen Standards zu orientieren. Bei Nichtbeachtung riskieren sie eventuell eine Pflichtverletzung.
So ist im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten – insbesondere vor dem Hintergrund der oft nur begrenzten betriebswirtschaftlichen Kenntnisse von Richtern und Rechtsanwälten – z. B. damit zu rechnen, dass Sachverständige vom Gericht zur Ermittlung der Insolvenzgründe beauftragt werden. Gerichtlich bestellte Sachverständige werden dann in der Regel veröffentlichte Standards »anwenden«, sodass mittelbar auch die Rechtsprechung von solchen Standards beeinflusst werden kann2. Letztlich hat ein »Standard« den »Rang« einer Kommentierung mit besonderer Ausrichtung des IDW ES 11 auf Wirtschaftsprüfer und andere kaufmännisch ausgebildete Berufsträger, die die Insolvenzgründe im Einzelfall ex ante oder ex post beurteilen sollen. Selbstverständlich stellen sich auch zahlreiche rechtliche Fragen (z. B. zur »Fälligkeit« einer Verbindlichkeit, vgl. Tz. 7, 25 ff. des IDW ES 11), sodass auch der Rechtsanwalt oder der »sonstige« Jurist vom IDW ES 11 angesprochen wird.
Vor diesem Hintergrund – »Rang« einer Kommentierung – würde man sich zu der einen oder anderen Streitfrage, die der IDW ES 11 anspricht, weitere Quellennachweise, auch aus der Literatur, zum Meinungsspektrum wünschen. So spricht sich der IDW ES 11 z. B. dafür aus, dass eine »Bugwelle« nicht zulässig ist (vgl. Tz. 17: »Daher liegt Zahlungsunfähigkeit … vor, wenn eine auch nur geringfügige Liquiditätslücke voraussichtlich nicht innerhalb von drei Monaten, in Ausnahmefällen längstens sechs Monaten, nicht vollständig geschlossen werden kann.«) Diese Ansicht ist sicher gut vertretbar. Sie wird aber apodiktisch ohne Quellenangaben angeführt. Der BGH hat diese Rechtsfrage bisher nicht entschieden.
(…)
Editorial | Peter Reuter | INDat Report 06_2014 | September 2014
Klarheit braucht Kritik
Auch gut 15 Jahre nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung ist nicht abschließend geklärt, wann genau ein Unternehmen einen Insolvenzantrag stellen muss. Reichen schon geringfügige,
aber dauerhafte Liquiditätslücken aus, die den Insolvenzantrag erforderlich machen? Auch war lange Zeit umstritten, wie künftig fällig werdende Verbindlichkeiten bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen sind.
Nun haben die Fragezeichen weiter zugenommen, weil vor allem mit dem durch das ESUG neu geschaffenen Schutzschirmverfahren die konkrete Abgrenzung der Insolvenzeröffnungsgründe an Bedeutung gewonnen hat. Der Fall des ehemaligen Schutzschirmverfahrens Suhrkamp zum Beispiel hat diese Problematik vor Augen geführt, ob nur drohende Zahlungsunfähigkeit und/oder auch Überschuldung vorlagen, mit der sich auch der weiter andauernde publikumswirksame Streit der beiden Gesellschafter befasst hat.
Vor diesem Hintergrund ist das Institut der Wirtschaftsprüfer e. V. (IDW) aktiv geworden und hat mit dem ES 11 einen weiteren Prüfungsstandardentwurf geschaffen, der der Praxis mehr Sicherheit und Orientierung geben soll. Aber zuvor ist die Praxis gefragt, denn das IDW bittet sie um kritische Stellungnahmen, wozu der Titel dieser Ausgabe beitragen will.
So hilfreich dieser neue Standard auch werden kann, könnte man mit ihm auch eine Korrektur an einer anderen, naheliegenden Leitlinie des IDW vornehmen. Der IDW ES 9 zur Ausstellung der Bescheinigung für ein Schutzschirmverfahren hat sich, wie zu vernehmen ist, als nicht ausreichend erwiesen. Vielleicht lässt sich im Zuge der aktuellen Diskussion über die Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzgründen auch diese teilweise unzureichende Hilfestellung korrigieren, damit sie zur Vereinheitlichung der örtlichen Usancen beiträgt.
Inhaltsverzeichnis
3 | Editor ial |
5 | Insolvenzbarometer |
6 | Namen & Nachr ichten |
9 | Im Gespräch RA Christian Graf Brockdorff Umwandlung in eine PartGmbB Haftung begrenzen |
10 | Titel Wenn die Zahlen nicht mehr stimmen: Bringt IDW ES 11 Klarheit zur Insolvenzreife? |
18 | Berater & Kanzleien RA Frank Grell (Latham & Watkins) Wegweiser in ein sicheres Fahrwasser |
22 | Standpunkt RA Klaus Siemon Unabhängigkeit des Verwalters zur Disposition? |
26 | Professoren & Lehrstühle Prof. Dr. Stephan Madaus (Universität Halle-Wittenberg) Mit Mind-Mapping Ideen Raum geben |
30 | Kongresse & Tagungen 10. Mannheimer Insolvenzrechtstag Für Rechtssicherheit an Schrauben drehen |
33 | Standpunkt RA Dr. Daniel Bergner Der Verbraucher als Gläubiger |
34 | Symposien & Vorträge Symposium des Instituts für Internationales und Europäisches Insolvenzrecht der Universität zu Köln Konzentrierte Sicherungsrechte |
36 | 10. Symposium zum Insolvenz- und Arbeitsrecht in Ingolstadt Ohne Pointer – mit Power |
38 | Drittes Abendsymposium des Instituts für Insolvenz- und Sanierungsrecht (ISR) in Düsseldorf Schwellenwerte für lohnende Sanierung |
41 | Kongresse & Tagungen 3. Deutscher Gläubigerkongress in Köln Allgemeiner ESUG-Jubel |
42 | Vierter Norddeutscher Insolvenzverwalter- Kongress in Hannover Der Teufel steckt wieder im Detail |
44 | Oberbayerisches Insolvenzwochenende in Fischbachau Bergpanorama mit vielen Perspektiven |
46 | 16. Düsseldorfer Insolvenztage Stürmischer Auftakt |
50 | Statistik Top 30 Verwalter, Top 30 Kanzleien, Top 10 Gerichte |
51 | Insolvenzbarometer II |
54 | Veranstaltungen, Impressum, Vorschau |