Titelthema | INDat Report 06_2015 | September 2015
Gerichtliche Übertragung auf Sachverständige Heißes Eisen: Externe Schlussrechnungsprüfung
Köln. Es ist wahrlich ein heißes Eisen, doch eine kontrovers geführte öffentliche Diskussion findet anscheinend nicht statt. In der Literatur äußern sich vereinzelt Stimmen zu der eher als Regel- denn als Ausnahmefall erfolgten Übertragung der Schlussrechnungsprüfung auf Sachverständige und die umstrittene Frage, inwieweit diese rechtlich und sachlich zulässig ist. Wenngleich sich die Hinweise mehren, dass nicht wenige Insolvenzgerichte dazu übergehen, sämtliche oder zumindest einen erheblichen Prozentsatz der Schlussrechnungen auch in kleinen Verfahren durch externe Sachverständige auf Kosten der Masse prüfen zu lassen, scheint sich dieses Phänomen zu einer unantastbaren Domäne der Rechtspfleger entwickelt zu haben, an der man nicht rühren, sich nicht die Finger verbrennen möchte. Eine einfache Internetrecherche zeigt, dass sich ein beträchtlicher Markt für diese Dienstleistung gebildet hat, der damit bei den Gerichten wirbt, Transparenz und Klarheit zu schaffen, wenngleich sie allgemein bei der Aufgabenübertragung nicht besteht.
Nun kommt Bewegung in die Sache: Eine anhängige Verfassungsbeschwerde (»Verfassungswidrige Teilprivatisierung der Justiz durch Übertragung richterlicher Aufgaben auf einen privaten Dienstleister«) belebt die steckengebliebene Diskussion über dieses Tabuthema. Zudem liegt ein in dieser Frage wenig beachteter Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts vor, der sich dieser Angelegenheit im weiteren Gesetzgebungsverfahren annehmen könnte.
Während im Folgenden RA Dr. Oliver Jakob die Beweggründe und die Argumentation seiner Verfassungsbeschwerde darlegt, schildern der ehemalige Insolvenzverwalter RA Prof. Dr. Jens M. Schmittmann, Dipl.-Rechtspfleger Stefan Lissner und Schlussrechnungsprüfer RA Dr. Helmut Eisner ihre Sichtweisen und gesammelten Praxiserfahrungen. Zudem äußern sich die baden-württembergischen Insolvenzgerichte Konstanz, Ulm und Heilbronn dazu, wie sie die externe Vergabe handhaben.
Dr. Oliver Jakob
»Standardisiertes Outsourcing ist
rechts- und verfassungswidrig«
Stuttgart. Mit der anhängigen Verfassungsbeschwerde vom 04.02.2015 hat Rechtsanwalt, FA InsR und Dipl.-Rechtspfleger Dr. Oliver Jakob, ehemals als Insolvenzverwalter hauptsächlich für das AG Ludwigsburg tätig und heute in seiner Stuttgarter Kanzlei u. a. mit der insolvenznahen Beratung befasst, die Übertragung der dem Insolvenzgericht obliegenden Schlussrechnungsprüfung sowie die Übertragung der Bestimmung der Bemessungsgrundlage für die beantragte Verwaltervergütung und der im Vergütungsantrag geltend gemachten Zu- und Abschläge auf eine Sachverständige dem Bundesverfassungsgericht zur verfassungsrechtlichen Prüfung zugeleitet. Die Verfassungsbeschwerde (2 BvR 212/15) steht unter dem Thema »Verfassungswidrige Teilprivatisierung der Justiz durch Übertragung richterlicher Aufgaben auf einen privaten Dienstleister«. Peter Reuter fragte den Beschwerdeführer, wie sich der konkrete Fall an seinem ehemaligen »Stamminsolvenzgericht« gestaltet hat, warum er die Verfassung verletzt sieht, wie es sich mit der gesetzlichen Grundlage für die Übertragung verhält und welchen insolvenzrechtlichen Bezug er im vorliegenden Entwurf eines
Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts sieht.
INDat Report: Sie haben eine Verfassungsbeschwerde zum Thema »Verfassungswidrige Teilprivatisierung der Justiz durch Übertragung richterlicher Aufgaben auf einen privaten Dienstleister« eingereicht (2 BvR 212/15), zu der noch keine Entscheidung ergangen ist. Sie führen darin einleitend aus, dass die externe Vergabe an private Dienstleister kein Einzelfall sei, sondern »flächendeckende Übung«. Welche (quantitative) Erfahrung haben Sie dazu als Verwalter selbst gemacht und welche Beobachtung des »Markts« angestellt?
Jakob: Nach meiner Erfahrung hat die Zahl der externen Schlussrechnungsprüfungen erheblich zugenommen. Es ist ein lukrativer Prüfungsmarkt entstanden, der einen neuen Berufsstand hervorgebracht hat, den des Schlussrechnungsprüfers. In letzter Zeit werden auch Schlussrechnungen und Insolvenzverfahren geprüft, bei denen man vor Jahren nicht im Traum daran gedacht hätte, Verfahren solchen Zuschnitts extern prüfen zu lassen. Selbst bei Kleinverfahren und teils sogar bei massearmen Verfahren werden zwischenzeitlich externe Schlussrechnungsprüfungen durch die Insolvenzgerichte veranlasst. So wurde ich in einem massearmen Verfahren nach § 207 InsO von einem Insolvenzgericht »gebeten«, auf die an sich schon nicht gedeckte Insolvenzverwaltervergütung anteilig zu verzichten, um eine externe Schlussrechnungsprüfung zu ermöglichen.
INDat Report: Wo sehen Sie bei der Übertragung auf externe Dienstleister insbesondere im konkreten Fall die Verfassung verletzt und warum?
Jakob: Man kann das Thema »externe Schlussrechnungsprüfung« auf zweierlei Weise angehen. Auf der einen Seite kann man die Frage stellen: »Ist die externe Schlussrechnungsprüfung sinnvoll bzw. nützlich?« Dieser »juristischer Utilitarismus« ist überwiegend der methodische Ansatz der Befürworter einer externen Schlussrechnungsprüfung. Andererseits kann man – und diesen Weg bin ich mit meiner Verfassungsbeschwerde gegangen – sich fragen: »Gibt es für die generelle Übertragung der Schlussrechnungsprüfung auf einen externen Schlussrechnungsprüfer eine gesetzliche Grundlage?« Die Frage ist klar zu verneinen. Ein standardisiertes »Outsourcing« originärer richterlicher Aufgaben ist schlichtweg rechts- und verfassungswidrig. Mit der Verfassungsbeschwerde habe ich u. a. die Verletzung von Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip), Art. 33 Abs. 4 GG (Funktionsvorbehalt) und Art. 14 GG
(Eigentumsgarantie) gerügt. Interessanterweise wird dies schon seit Jahren auch von namhaften Insolvenzrechtlern und einem ehemaligen Richter am Bundesgerichtshof [Anmerkung der Redaktion: Hebenstreit, ZInsO 2013, 276] vertreten, ohne dass dies die insolvenzgerichtliche Praxis in irgendeiner Form beeindruckt hätte.
(…)
Editorial | Peter Reuter | INDat Report 06_2015 | September 2015
Tabu auf dem Tisch
Lang ist´s her, dass sich das Bundesjustizministerium sichtbar mit der externen Vergabe der Schlussrechnungsprüfung durch die Insolvenzgerichte befasst hat. »Dem Bundesministerium
der Justiz wurden in einer Eingabe Probleme bei der externen Prüfung von Schlussrechnungen in Insolvenzverfahren berichtet«, hieß es im Jahr 2007 in einem Schreiben, das das BMJ an Verbände richtete und in dem es um deren Stellungnahme bat.
Der Eingabe zufolge gingen immer mehr Insolvenzgerichte dazu über, sämtliche oder zumindest einen erheblichen Prozentsatz der Schlussrechnungen auch in kleinen Verfahren durch externe Sachverständige überprüfen zu lassen.
»Der Befund ist zutreffend«, antwortete seinerzeit der VID, »dass regional sehr unterschiedlich durch die Insolvenzgerichte die Prüfung der Schlussrechnungen externen Prüfern übertragen wird. Diese Prüfungsaufträge werden teilweise auch in einfach gelagerten Fällen – fast routinemäßig – erteilt.«
Der VID regte an, den Prüfumfang durch Gesetz- und Verordnungsgeber zu regeln. Doch geschehen ist nichts. Hört man sich heute um, hat sich demnach diese Fast-Routine zu Lasten der Masse seit 2007 zu einem eingespielten, ungeregelten Eigenleben entwickelt, was bei einigen Gerichten eine komplette Auslagerung der Schlussrechnungsprüfung bedeuten soll. Zudem hat sich ein regelrechtes Dienstleistungsfeld auf dem Insolvenzmarkt gebildet.
Die Flut der Fachkongresse debattiert über so einiges, doch an dieser Domäne der Rechtspfleger will man wohl nicht kratzen und auch nicht dahinter schauen, was die Gründe für diese Entwicklung sein könnten. Anzuführen, es fehle eine verlässliche Empirie, um dieses Problem zu greifen, zählt nicht; als ob diese vonnöten wäre, um sich zu artikulieren.
Nun ist zu diesem Thema eine Verfassungsbeschwerde anhängig, die dieses Tabu wieder auf den Tisch bringt. Doch letztendlich sollte es Aufgabe des Gesetzgebers sein, die Rolle des externen Schlussrechnungsprüfers zu definieren. Hierzu könnte eine aktuelle Gesetzesinitiative als Vorlage dienen: der RefE zur Änderung des Sachverständigenrechts.
Inhaltsverzeichnis
3 | Editorial |
6 | Namen & Nachrichten |
7 | INDat Barometer I |
8 | Namen & Nachrichten |
9 | Standpunkt |
10 | Titel Gerichtliche Übertragung auf Sachverständige Heißes Eisen: Externe Schlussrechnungsprüfung |
24 | Berater & Kanzleien WP/StB Bernd Richter und WP Daniel Mair (Ernst & Young) Strategisch beraten, ganzheitlich umsetzen |
28 | Standpunkt RA Hans P. Runkel Weckruf für eigenständige Berufsordnung |
30 | Im Gespräch RA Dr. Biner Bähr Anfechtungsrecht wirkt verbraucherschützend |
32 | Verwalter & Kanzleien RA Oliver Schartl (Müller-Heydenreich Bierbach & Kollegen) Schlicht mit Qualität weiter trumpfen wollen |
36 | Standpunkt RA Pawel Kuglarz Neues polnisches Insolvenzrecht räumt Unternehmensrettung Vorrang ein |
40 | Schwerpunkt: Sale & Lease Back »Totes Kapital« in Cash wandeln |
42 | Kongresse & Tagungen 4. Europäischer Insolvenzrechtstag in Brüssel Let´s stay connected! |
47 | Arbeitskreise & Vorträge Festschriftverleihung an Prof. Dr. Heinz Vallender Sensei und europäischer Jurist im Unruhestand |
50 | Kongresse & Tagungen 14. Oberbayerisches Insolvenzwochenende in Fischbachau Auf der Höhe |
52 | Symposien & Vorträge IDAS-Tagung in Halle Furore um die öffentliche Hand |
54 | Schwerpunkt: Insolvenzplan BGH zur Unzulässigkeit von Insolvenzplan- Ausschlussfristen; Folgeproblem »Rechtskraft« |
58 | Statistik Top 30 Verwalter, Top 30 Kanzleien, Top 10 Gerichte |
59 | INDat Barometer II |
62 | Veranstaltungen, Impressum, Vorschau |