Titelthema | Rechtsanwältin und Solicitor (England and Wales) Ursula Schlegel | INDat Report 06_2016 | August 2016

Harmonisierung im Insolvenzrecht für die Europäische Union

Brüssel. Unter der Schirmherrschaft der slowakischen Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union fand am 12.07.2016 die Konferenz »Convergence of insolvency frameworks within the European Union – the way forward« in Brüssel statt, an der knapp 300 Fachbesucher und Panelisten aus Europa teilnahmen. Auf der Basis der Empfehlung von 2014 und dem Aktionsplan zur Kapitalmarktunion von 2015 erarbeitet die Kommission bis Ende dieses Jahres einen Richtlinienentwurf, der sich mit dem materiellen Insolvenzrecht befasst. Über den Stand der nationalen Reformen und wie ein EU-weiter Insolvenz­rahmen, der ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren und weitere Aspekte, deren Harmonisierung die Kommission plant, umfasst, aussehen könnte, darüber diskutierte dieser Fachkongress, bei dem sich die Vertreter der EU-Kommission aufs Zuhören konzentrierten und sich mit eigenen Positionen noch weitgehend zurückhielten.

Die erste Begrüßung der Konferenz »Convergence of insolvency frameworks within the European Union – the way forward« im Brüsseler Centre de Conférence Albert Borschette am 12.07.2016 war lautstark: Die Ankunft am Eingang des Konferenzgebäudes führte an Protesten vorbei, die allerdings nicht den Reformbestrebungen der Kommission zum Insolvenzrecht, sondern einer zeitgleich im selben Gebäude stattfindenden TTIP-Veranstaltung galten.
Nach diesem Empfang und moderaten Sicherheitskontrollen ging es dann aber umso höflicher weiter, mit der Eröffnungsrede von EU-Justizkommissarin Věra Jurová. Sie berichtete sehr persönlich von eigenem unternehmerischen Misserfolg und betonte, dass ihr auch deshalb die Modernisierung des Insolvenzrechts, die zweite Chance, am Herzen liege. Zentrale Themen ihrer Rede waren frühzeitige Sanierung zur Insolvenzvermeidung – hier ging sie auf erste Ergebnisse der öffentlichen Konsultation, die am 14.06.2016 geendet hatte, ein, deren Teilnehmer Regeln für frühzeitige Sanierung zur Insolvenzabwendung generell begrüßt hätten – und die zweite Chance nicht nur für Unternehmer, sondern auch für Verbraucher. Sichtlich vom US-amerikanischen Denken beeindruckt, zitierte Jourová eine US-amerikanische Kollegin mit deren Worten »we are celebrating the failure, we take it as a lesson and we start again and better«, als Jourová dafür plädierte, in Europa gegen die Stigmatisierung der Insolvenz anzugehen, schlug sie hierbei mit einem Augenzwinkern eine positivere Umbenennung, beispielsweise in »Rules for Sustainable Entrepreneuring«, vor. Ein Ansatz, der den deutschen Zuhörer an jüngste Vorschläge wie den des Gravenbrucher Kreises (»Restrukturierungsordnung«) erinnerte. Neben Stigma war »balance« ein Begriff, den sie hervorhob, der kommende Legislativakt müsse auf Ausgleich und Gewichtungen achten. »Balance« wurde auch zu einem der zentralen Begriffe des Tages und insbesondere des Nachmittags, als es um den Ausgleich zwischen Schuldner- und Gläubigerinteressen bei der zweiten Chance ging.

Richtlinie geht weit über die
Empfehlung von 2014 hinaus

Die wichtigste Information, die man aus Jourovás Vortrag mitnehmen konnte, war das Datum, an dem die Kommission den Richtlinienentwurf verabschieden will: der 26.10.2016 (auf eine Nachfrage des INDat Report bei der Kommission legte man sich dort auf dieses Datum nicht endgültig fest, die Verabschiedung des Entwurfs sei aber auf jeden Fall bis Ende 2016 geplant). Ein sehr straffes Arbeitsprogramm, nicht nur angesichts der Sommerpause, sondern auch vor dem Hintergrund, dass die EU-Kommis­sion  – wie spätestens die Zielrichtung der von vielen Marktteilnehmern als suggestiv eingestuften Fragen aus der öffentlichen Konsultation und dem hierbei verwendeten Fragebogen zeigten  – eine Richtlinie plant, deren Regelungsbereiche weit über die ursprünglichen Themen der Empfehlung der Kommission vom 12.03.2014 hinausgehen. Waren die Schwerpunkte der Empfehlung noch die beiden Bereiche vorinsolvenzliche Sanierung (preventive restructuring) und die zweite Chance (second chance) für den redlichen Unternehmer (entrepreneur), findet nunmehr eine regelrechte Generalüberholung nationaler materieller Insolvenzrechte statt: Es stehen wesentliche Bereiche des materiellen Insolvenzrechts, wie beispielsweise Geschäftsführerpflichten und -haftung oder das Anfechtungsrecht, auf dem Prüfstand. Die zweite Chance soll jetzt auch für Verbraucher gelten, man befasst sich mit Qualitätsanforderungen für Insolvenzrichter und Insolvenzverwalter. Bemerkenswert sind diese »Themenerweiterungen« vor dem Hintergrund, dass im Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion vom 30.09.2015 das scharfe Schwert eines Legislativakts gerade damit gerechtfertigt wurde, dass die einzelnen EU-Staaten der Empfehlung nicht (hinreichend) nachgekommen waren. In Folgendem sind sich Fachleute weitgehend einig, und so war wohl die Veranstaltung am 12.07.2016 auch zu verstehen: Sowohl das Konsultationsverfahren als auch die Konferenz als Anhörung/Beteiligung der (Fach)-öffentlichkeit sollen einen Legislativakt der Kommission nach dem EU-Vertrag rechtfertigen.

(…)

Editorial | Peter Reuter | INDat Report 06_2016 | August 2016

Von Strebern und von mehr oder weniger Fleißigen

Um es vorwegzunehmen, das Bild ist eher falsch als richtig,
es hilft aber zur Illustration: die EU-Kommission als Schule und die Mitgliedstaaten als deren Schüler. In Hinblick auf die Empfehlung von 2014 und auf den Aktionsplan zur Kapitalmarktunion von 2015 hatte die EU-Kommis­sion den Mitgliedstaaten Hausaufgaben nahelegt. Der Druck, dass es zu Kontrollen kommt, schien nicht so hoch zu sein, daher nahmen es einige recht locker. Weil die Kommission es aber mit den Hausaufgaben doch ernster meinte, ließ sie deren Umsetzung prüfen. Ohne Noten zu verteilen, sah Brüssel, wie sehr man sich den Empfehlungen angenähert hatte.

Auf der Brüsseler Konferenz am 12.07.2016 waren die Mitgliedstaaten aufgerufen, selbst darzulegen, wie sie die erteilten Aufgaben bis dato umgesetzt hatten. Einige betonten, diese schon vor deren Erteilung erledigt zu haben und gaben Tipps, wie man zu noch besseren Resultaten kommen kann (Streber), andere führten an, wie sie die Aufgaben bereits angegangen waren (Fleißige), weitere mussten zugeben, noch Nachhol­bedarf zu haben (weniger Fleißige) oder verschwiegen sogar geschickt ihre Versäumnisse.

Die EU-Kommission hörte nur zu und gab noch keinen Ratschlag, wie denn genau diese Hausaufgabe zu interpre­tieren ist, denn die Aufgabenstellung war recht offen und vage formuliert. Um endlich zu wissen, wie denn der ideale Lösungsweg aussieht, kündigte die EU-Kommission an, am 26.10.2016 einen solchen zu präsentieren.

Um weiter im – zugegeben falschen – Bild der Schule zu bleiben, stehen aber noch einige zeitraubende Elternabende an, die entscheidend mitbestimmen können. Und da es sich um eine Privatschule handelt, üben zahlungskräftige Eltern einen großen Einfluss auf das Haus aus. Daher bleibt abzu­warten, ob die Fleißigen in der Klasse den Weg vorgezeichnet haben oder dann doch die Zurückhaltenden gewonnen haben, deren Hausaufgaben nicht mit Bestnoten glänzten, die aber dennoch keinesfalls nachsitzen müssen, weil sich Laissez-faire auf dem Lehrplan durchgesetzt hat.

Inhaltsverzeichnis

3
Editorial
 
5
INDat Barometer I
 
6
Namen & Nachrichten
 
11
BMJV nimmt Stellung zum EU-Insolvenzrahmen
 
 
12
Titel
 
Lost in Translation?
Sprechstunde in Brüssel
24
Standpunkt
RA Daniel F. Fritz
Got a licence to act?
26
Berater & Kanzleien
RA Detlef Specovius (Schultze & Braun)
Als Company Doctor auf Hausbesuche spezialisiert
30
Im Gespräch
BDIU-Präsidentin Kirsten Pedd
Laxere Einstellung zu Zahlungsverpflichtungen
32
Verwalter & Kanzleien
RA Dr. Harald Schwartz (Schwartz Rechtsanwälte)
Center of Main Interest ausschließlich in Bayern
36
Verwalter & Gerichte
Berliner Modell der qualifizierten Verwalterliste
Punktesammeln für die neue Berliner Liste
40
Schwerpunkt: Insolvenzverwaltersoftware
 
Maßgeschneiderte Lösung gesucht
44
Kongresse & Tagungen
15. Oberbayerisches Insolvenzwochenende
in Fischbachau
Schalthebel, Motor oder Sand im Getriebe
47
Letters from Oxford
Prof. Dr. Reinhard Bork
Mein Brexit
48
Symposien & Vorträge
IEEI-Kolloquium in Chicago
Internationaler Austausch auf globaler Bühne
50
 
8. ISR-Abendsymposium in Düsseldorf
Kopfzerbrechen über § 64 GmbHG in der Krise
52
Schwerpunkt: Insolvenzanfechtung
 
Vorsatzanfechtung: Stets Prüfung des
gegnerischen Sanierungskonzepts?
56
INDat Statistik
Korrigierte Halbjahresstatistik:
Bund/Gerichte und Verfahren
 
58
INDat Statistik
Top 30 Verwalter, Top 30 Kanzleien, Top 10 Gerichte
 
59
INDat Barometer II
 
 
62
Veranstaltungen, Impressum, Vorschau