Titelthema | Regierungsdirektor Dr. Johannes Holzer, München | INDat Report 06_2018 | August 2018
Gerichtliche Leitlinien der Insolvenzgerichte und Berufsrecht
Ein Berufsrecht für Insolvenzverwalter ist derzeit Gegenstand vieler Diskussionen und Positionierungen, nicht zuletzt deswegen, weil der Koalitionsvertrag gesetzliche Regelungen der Berufszulassung, Berufsausübung und Berufsaufsicht der Insolvenzverwalter angekündigt hat. Der folgende Beitrag geht der Frage nach, ob die Leitlinien der Insolvenzgerichte das Berufsrecht der Insolvenzverwalter tangieren und wie darauf reagiert werden könnte. Leitlinien der Insolvenzgerichte sind in die Kritik geraten. Denn halten sich Insolvenzverwalter nicht an diese Vorgaben, müssen sie befürchten, aus der Vorauswahlliste gestrichen bzw. nicht mehr oder kaum noch bestellt zu werden. In einem früheren Beitrag (»Gefürchtete Leitlinien der Insolvenzgerichte«, INDat Report 07_2017, S. 12 ff., Ausgabe vom 05.10.2017) wurde dargelegt, dass die Insolvenzgerichte zur Aufstellung von Leitlinien keine Befugnis haben und dagegen ein Einschreiten der Justizverwaltung erforderlich ist. Nun steht die Frage im Fokus, inwieweit Leitlinien die Berufsfreiheit der Insolvenzverwalter nach Art. 12 GG tangieren.
Der Beruf des Insolvenzverwalters ist durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt. Das bestätigte das Bundesverfassungsgericht mehrfach und gilt auch dann, wenn Insolvenzverwalter zusätzlich einen anderen Beruf wie den des Rechtsanwalts, Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers ausüben. Das Berufsrecht der Insolvenzverwalter ist nur in wenigen Vorschriften der InsO angedeutet und in seiner Regelungsdichte dem anderer freier Berufe wie dem des Rechtsanwalts nicht vergleichbar, für den u. a. die Regelungen der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) und der Fachanwaltsordnung (FAO) gelten. Allerdings haben sich die meisten Unternehmensinsolvenzverwalter im Rahmen der Selbstverpflichtung berufsrechtlichen Regelungen ihrer Verbände wie etwa den Grundsätzen ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (GOI) nebst Prüfungsordnung (GOI-Prüf) des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. (VID) unterworfen.
Dass angesichts der derzeit defizitären Lage des Berufsrechts auch für Insolvenzverwalter gesetzliche Regelungen gefordert werden, ist richtig und nachvollziehbar. Abgesehen davon macht selbst die geltende Rechtslage deutlich, dass ein Berufsrecht für Insolvenzverwalter nur vom Gesetzgeber gesetzt oder von deren Standesorganisationen geschaffen werden kann. Vor diesem Hintergrund ist zu hinterfragen, ob die Leitlinien der Insolvenzgerichte als Berufsrecht für Insolvenzverwalter aufgefasst werden können und ob hiergegen verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Dazu soll der Inhalt der Leitlinien typisiert werden.
Typologie der Leitlinien
Alle Leitlinien der Insolvenzgerichte differieren in Umfang und Inhalt erheblich, sodass die Bildung einer Typologie schwierig ist. Ursprünglich wurden Leitlinien zur Vereinheitlichung und Strukturierung des Eröffnungsverfahrens geschaffen. Die Leitlinien der meisten Insolvenzgerichte enthalten deshalb inhaltliche Vorgaben für das Vorgehen des Insolvenzverwalters bei der Gestaltung des Eröffnungsverfahrens im Zusammenhang mit der Einsetzung eines Gutachters, eines vorläufigen »starken« oder »schwachen« Insolvenzverwalters, die Abwicklung von Bargeschäften oder die Betriebsveräußerung. Leitlinien dieses Inhalts sollen für die weiteren Ausführungen dieses Beitrags als »Typ I« bezeichnet werden.
Manche Leitlinien enthalten Anweisungen an den (vorläufigen) Insolvenzverwalter zur Kommunikation mit dem Insolvenzgericht, beispielsweise ob Berichte per Post oder Fax einzureichen sind, ob mit dem Insolvenzrichter nach vorheriger Absprache auch per E-Mail kommuniziert werden »darf« oder wie Schriftsätze – beispielsweise zur leichteren Erkennbarkeit ihrer Eilbedürftigkeit – zu gestalten sind. Solche und andere detaillierte Vorgaben an die Arbeitsweise der Insolvenzverwalter sollen in der Folge als »Typ II« bezeichnet werden.
Gelegentlich verschieben Leitlinien die Zuständigkeiten zwischen Gericht und Insolvenzverwalter, die durch das Gesetz – abgesehen von der Eintragung und Löschung der Sicherungsvermerke nach §§ 32, 33 InsO – exakt voneinander getrennt sind. Derartige Leitlinien schreiben dem Insolvenzverwalter beispielsweise die Durchführung von Zwangsmaßnahmen nur an bestimmten Wochentagen oder die Vorbereitung des Anhörungstermins durch schriftlich bei dem Insolvenzgericht einzureichende Fragen vor. Leitlinien dieses »Typs III« bürden dem Insolvenzverwalter Aufgaben auf, die nach dem Gesetz dem Insolvenzgericht obliegen.
Andere Leitlinien enthalten Ausführungen zur Qualitätssicherung der Insolvenzverwaltung (»Typ IV«), indem sie die Anerkennung der GOI, eine Zertifizierung nach DIN EN ISO 9001, VID CERT oder InsO Excellence als Voraussetzung für die Bestellung des Insolvenzverwalters insbesondere bei größeren Verfahren fordern. Anders als die Leitlinien nach Typ I enthalten diese Leitlinien keine inhaltlichen Vorgaben an die Verfahrensführung des Insolvenzverwalters, sondern fordern eine bestimmte interne Organisation seiner Kanzlei.
Leitlinien des »Typs V« machen den Insolvenzverwaltern schließlich Vorgaben zur Ausgestaltung ihrer Vergütungsanträge und weichen dabei auch von höchstrichterlicher Rechtsprechung ab, etwa bei der Gewährung von Zuschlägen nach § 3 Abs. 1 InsVV oder der Vergütung von Zustellungen.
(…)
Editorial | Peter Reuter, Chefredakteur | INDat Report 06_2018 | August 2018
Ein stabiler Rahmen statt vieler Rähmchen
Aus gegebenem Anlass, da das Berufsrecht für Insolvenzverwalter nach der Sommerpause ein stark diskutiertes Thema sein wird, befassen wir uns nochmals mit den gerichtlichen Leitlinien. Dieses Mal verbunden mit der Frage, ob die Leitlinien der Insolvenzgerichte das Berufsrecht der Insolvenz-verwalter und deren Berufsfreiheit tangieren. Hier weist einiges auf Grenzüberschreitung hin. Die Insolvenzgerichte treten mit ihren Vorgaben quasi als Ersatzgesetzgeber auf.
Der wahre Gesetzgeber beschäftigt sich in Kürze mit gesetzlichen Regelungen der Berufszulassung, Berufsausübung und Berufsaufsicht der Insolvenzverwalter, wie es der Koali-tionsvertrag vorsieht. Eines der vorgeschlagenen Modelle ist das der Insolvenzverwalterkammer, die Protagonisten des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. (VID) favorisieren. Gegen diese weitere Selbstverwaltung regt sich Widerstand der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), die bereits eine hinreichende Regulierung sieht und keine weitere Kammer als notwendig erachtet. Auch der Bundesarbeitskreis Insolvenz-gerichte e. V. (BAKinso) bringt eine Institution ins Spiel, das Bundesamt für Justiz. Eine Art Staatsaufsicht ist für viele Angehörige der freien Berufe wiederum schwer vorstellbar.
Wenn gegen die weitere Kammer auch das Argument der Überregulierung angeführt wird, ist es doch breiter Konsens, eine Unterregulierung bei der Berufszulassung, Berufsausübung und Berufsaufsicht zu beenden. Vieles fußt bislang auf der »dünnen« Normierung des § 56 InsO. Status quo ist, dass keine allgemeinen Qualitätskriterien und Zulassungsschranken kodifiziert sind, jedes Gericht eine eigene Bestellpraxis etabliert hat und die Aufsicht von Insolvenzgericht und Gläubigerausschuss nicht ausreichend erscheint.
Was fehlt, ist der eine Rahmen, der die vielen Rähmchen ablöst. Nicht nur der Koalitionsvertrag macht Druck, auch europäische Vorgaben, die im RLE zum präventiven Restruk-turierungsrahmen zu finden sind.
Um nochmals auf die gerichtlichen Leitlinien zurückzukommen. Dass ihre Schöpfer als Ersatzgesetzgeber tätig sind, ist auch Ausdruck dafür, dass sie Lösungen für fehlende Regelungen finden wollen. Allerdings verstärken ihre individuellen Leitlinien die Zersplitterung der Rechtspraxis noch mehr.
Die Zeichen der Zeit stehen dagegen auf bundeseinheitlicher Transparenz und Berechenbarkeit rund um den eigenständigen Beruf des Insolvenzverwalters.
Inhaltsverzeichnis
3 | Editorial |
6 | Impressum/Anzeigenübersicht |
7 | Namen & Nachrichten Sanierungsgewinn: Comfort Letter der EU-Kommission |
8 | OVG-Beschluss in Sachen Frank Frind |
9 | Grundsatzurteil zur D&O-Versicherung |
58 | Bundesdatenschutzbeauftragte äußert sich zu Vergütungsbeschlüssen |
9 | Statistiken Barometer Länder |
25 | Verwalterranking nach Verfahren und Umsätzen |
43 | Kanzleiranking nach Verfahren und Umsätzen |
53 | Barometer Bund |
12 | Gerichtliche Leitlinien der Insolvenzgerichte und Berufsrecht Greifen Leitlinien in Art. 12 Abs. 1 GG ein? |
20 | Verwalter & Kanzleien RA Rolf Pohlmann und RA Dr. Matthias Hofmann (Pohlmann Hofmann) Gutes Klima und eine Portion Stallgeruch |
26 | Hintergrund Die Sanierungsfähigkeit eines Konzerns und seiner Konzernunternehmen nach IDW S 6 |
36 | Neues Sonderinsolvenzverfahren in Kroatien Sehr gute Ernte für Agrokor |
40 | Suizid des Schuldners im Insolvenzverfahren Tödliche Schuldenlast |
30 | Im Gespräch MdEP Prof. Dr. Angelika Niebler JURI votiert für viel Flexibilität mit »Member States may …« |
34 | RA Prof. Dr. Lucas Flöther (BRAK) Es bedarf keines neuen verkammerten Berufs |
10 | Kongresse & Tagungen Singapore Insolvency Conference Bankkonto in Singapur? |
46 | 20. Düsseldorfer Insolvenztage Jubiläum in der Tradition des Tiefgangs |
52 | Termine für die Fortbildung |
54 | Arbeitskreise & Vorträge Nürnberger Arbeitskreis Reorganisation, Sanierung und Insolvenz: »Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven des Insolvenzrechts« Zur Orientierung ein Stück weit vorgedacht |
56 | Berlin/Brandenburger Arbeitskreis für Insolvenzrecht e.V.: »Ein Jahr reformierte EuInsVO« NIKI, Sonderflug Berlin – Korneuburg, one-way |