Titel | INDat Report 06_2024 | Juli 2024

Halbjahresstatistik 2024 und Redaktion aktuell - » Unternehmensinsolvenzverfahren vom 01.01.2024 bis 30.06.2024 Bestellungen an allen Insolvenzgerichten, Rankings der Verwalter und Kanzleien nach Bestellungen und nach Umsätzen » Europäischer Insolvenz- und Restrukturierungskongress (EIRC) in Brüssel Krisen, Kommission und Krypto » Evaluation der Restschuldbefreiungsverkürzung Kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf » Rechtsmittel gegen Versagung der Planbestätigung durch OLG Wien eingelegt Sanierungsplan der Signa Prime vorerst gekippt

Krisen, Kommission und Krypto

Brüssel. Am 20./21.06.2024 fand zum 13. Mal der Europäische Insolvenz- und Restrukturierungskongress (EIRC) in Brüssel statt. Die Veranstaltung wurde von der Arge Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein (DAV) ausgerichtet und versteht sich als Forum des Austauschs zwischen Insolvenzrechtlern aller EU-Mitgliedstaaten untereinander und mit Vertretern der EU-Kommission. Sie stand erneut ganz im Zeichen der voranschreitenden Harmonisierung der unterschiedlichen Insolvenzrechtsregime der EU-Mitgliedstaaten und der vorherrschenden Krisenlagen.

Text: Rechtsanwalt David Loszynski, Heuking Kühn Lüer Wojtek

Nach der persönlichen Begrüßung der Teilnehmer durch die Co-Vorsitzende der Arge Insolvenzrecht und Sanierung im DAV, RAin Dr. Anne Deike Riewe, gab Niels Behrndt, der stellvertretende Generaldirektor des Generaldirektorats für Justiz und Verbraucher der Europäischen Kommission, im Rahmen seiner Willkommensadresse einen kurzen Überblick über die Bedeutung des Rechtsbereichs Insolvenzrecht und Restrukturierung für das europäische Projekt und ließ keine Zweifel daran, dass aus Sicht der Europäischen Kommission die Harmonisierung der verschiedenen europäischen Insolvenzrechtsregime ein wesentlicher Teil auch der politischen Zusammenarbeit auf europäischer Ebene sei. Behrndt stellte vor allem die Umsetzung der bisherigen EU-Richtlinien in den Vordergrund und berichtete darüber, dass die Mitgliedstaaten durchaus vielfach von den eröffneten Möglichkeiten abweichender Detailregelungen auf nationaler Ebene Gebrauch gemacht hätten. Dies sei aber auch notwendig, um teilweise eine Umsetzung von Richtlinien überhaupt zu ermöglichen und die Akzeptanz zu stärken. Behrndt hob in seinen Ausführungen zur aktuellen Richtlinie zur weiteren Schaffung einer Kapitalmarktunion und weiteren Harmonisierung der Insolvenzrechtsregime vor allem die Bereiche Asset Tracing und vereinfachtes Verfahren für Kleinstunternehmen hervor. Aus Sicht Behrndts seien die weiteren Verhandlungen der Mitgliedstaaten über die Umsetzung der existierenden und geplanten weiteren Richtlinien gleichermaßen wichtige Schwerpunkte der Arbeit der EU-Kommission für die kommenden Jahre wie die Überlegungen, auf supranationaler Ebene auch z. B. die Unternehmensrechts- und Zivilrechtsregime weiter zu harmonisieren. Hierzu werde man den Dialog auch mit Experten und der Zivilgesellschaft suchen.

An die Ausführungen Behrndts schloss sich eine erste Paneldiskussion an, die den Stand der Umsetzung der europäischen Richtlinie zum präventiven Restrukturierungsrahmen und die provokative Frage »Race to the Bottom?« zum Gegenstand hatte. Moderiert wurde die Diskussion von RA Daniel F. Fritz, dem Sprecher der Arbeitsgruppe Europa der Arge Insolvenzrecht und Sanierung im DAV. Die Mitglieder dieser Arbeitsgruppe übernahmen auch die Moderationen der folgenden Panels. Weitere Diskussionsteilnehmer waren Prof. Dr. Moritz Brinkmann von der Universität Bonn, die französische Rechtsanwältin und Insolvenzverwalterin Aurélia Perdereau, Paris, Dr. Katrin Stohrer, Inhouse Legal Counsel der Deutschen Bank, Frankfurt, Sigrid Jansen, Rechtsanwältin aus Amsterdam, der Bereichsleiter Zivilgerichtsbarkeit des Generaldirektorats für Justiz und Verbraucherschutz, Dr. Andreas Stein, sowie der polnische Rechtsanwalt Pawel Kuglarz. Das Eingangsstatement lieferte Andreas Stein mit einem Blick der EU-Kommission auf die Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie, insbesondere des Restrukturierungsrahmens in den einzelnen Mitgliedstaaten. Stein stellte klar, dass durchaus danach zu unterscheiden sei, ob die Richtlinie überhaupt vollständig in den jeweiligen Mitgliedstaaten umgesetzt worden sei, und welche Folgen sich daraus ergeben hätten. Schließlich habe die Richtlinie den Mitgliedstaaten große Freiheiten bei der Umsetzung gelassen. Zu einer abschließenden Einschätzung, ob die Umsetzung der Richtlinie bisher »erfolgreich« sei, wollte sich Stein nicht hinreißen lassen. Er überraschte mit der Information, dass offenbar bis heute nicht nur nicht alle Mitgliedstaaten die Restrukturierungsrichtlinie überhaupt umgesetzt hätten, sondern zum Teil Mitgliedstaaten auch den Stand der Umsetzung bisher nicht offiziell an die EU-Kommission kommunizierten. Dies gab den weiteren Panelteilnehmern Gelegenheit, Ausführungen zum Stand der Umsetzung und zu den ersten Erfahrungen in ihrer Jurisdiktion zu machen. So berichtete Sigrid Jansen zum Stand der Umsetzung in den Niederlanden und das niederländische WHOA (»Dutch Scheme«). Dieses sei zunächst per Januar 2021 in einer nicht vollumfänglich der Richtlinie entsprechenden Weise etabliert, dann aber per Januar 2023 nachgebessert worden. Das niederländische Restrukturierungsverfahren biete eine Reihe von Werkzeugen an, um zielgerichtet und flexibel Restrukturierungen durchzuführen, wie Jansen anhand einer Fallstudie erläutern konnte. Aurélia Perdereau warf – ebenfalls anhand einer Fallstudie  – einen Blick auf die Lage in Frankreich und konnte vermelden, dass die Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie in Frankreich per September 2021 erfolgt sei. In Frankreich habe man sich der Umsetzung durch Verschmelzung der bereits bekannten Verfahren conciliation und procédure de sauvegarde genähert. Pawel Kuglarz wagte die These, dass das in Polen implementierte Restrukturierungsverfahren möglicherweise der Richtlinie schon voraus sei. Tatsächlich könne Polen bereits eine große Zahl beantragter und durchgeführter außerinsolvenzlicher Restrukturierungsverfahren aufweisen. Der polnische Gesetzgeber versuche im Übrigen, die Implementierung der Richtlinie zu einer deutlichen Modernisierung des gesamten Restrukturierungssystems zu nutzen, indem man sogar ins Spiel gebrachte habe, die Auswahl des Insolvenzverwalters künftig einem computerbasierten Zufallssystem zu überlassen. In Summe bestehe, so Kuglarz, durchaus noch breiterer Reformbedarf im Hinblick auf das polnische Insolvenzrechtsregime und das System der Insolvenzgerichte. Die Gläubigerperspektive, speziell die Sicht der Banken, auf das deutsche vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren brachte Katrin Stohrer ein. Stohrer stellte das StaRUG-Verfahren dar und sah durchaus positive Aspekte. Sie stellte aber auch heraus, dass sich die unterschiedlichen Restrukturierungsverfahren in den Mitgliedstaaten auf Basis teilweise sehr unterschiedlicher Rechtsgrundsätze unterscheiden müssten, dass sie aber bisher keinen größeren »Restrukturierungstourismus« in andere Jurisdiktionen wahrnehme. Aus Sicht der Gläubiger seien Weiterentwicklungen des deutschen StaRUG-Verfahrens wünschenswert. Vor allem weitere Schutzmechanismen für Sanierungsfinanzierungen und zusätzliche Instrumente auch für eine operative Restrukturierung würde man in der Praxis benötigen. Insgesamt sah Stohrer Bedarf bei der Verbesserung der Gläubigerrechte im StaRUG-Verfahren. Moritz Brinkmann führte schließlich zu Restrukturierungsplänen in grenzüberschreitenden Zusammenhängen aus. Er beleuchtete insbesondere die Probleme der Anerkennung ausländischer Restrukturierungspläne, die nicht in Annex A zur EuInsVO enthalten sind.

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