Titelthema | Regierungsdirektor Dr. Johannes Holzer, München | INDat Report 07_2017 | Oktober 2017

Auf rechtmäßiger Bahn?

Hamburg, Heidelberg, Köln, Bückeburg und Ludwigshafen – die Aufstellung von Leitlinien zur Bearbeitung von Insolvenzverfahren oder zur Vermeidung von Konflikten hinsichtlich möglicher Vorbefassungen von Insolvenzverwaltern greift immer weiter um sich. Für Gläubiger überraschend, von Insolvenzverwaltern gefürchtet und vom Gesetzgeber ignoriert, stellt sich angesichts zunehmender »Regulierungswut« der Insolvenzgerichte die Frage nach Sinn und Rechtmäßigkeit ihrer Leitlinien. Der folgende Beitrag versucht, dies kritisch zu beleuchten, und geht der Frage auf den Grund, ob Insolvenzrichter in diesen Fällen als Ersatzgesetzgeber auftreten.

Die Insolvenzordnung enthält nur wenige Vorgaben dafür, wie die Vermögensverhältnisse des Schuldners zu ermitteln sind. Abgesehen von einem vorgeschalteten »quasistreitigen« Parteiverfahren bei Gläubigeranträgen (§  14  Abs.  1  InsO) und der Pflicht zur Amtsermittlung (§  5  InsO) hat der Insolvenzrichter bei der Gestaltung des Eröffnungsverfahrens freie Hand. Die zur Ermittlung und Sicherung der Vermögensverhältnisse zu ergreifenden Maßnahmen hängen weitgehend von den individuellen Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab und sind deshalb von Fall zu Fall höchst unterschiedlich.
Hinzu kommt die jeweilige Rechtsansicht des entscheidenden Richters, die u. a. von seiner Ausbildung, Erfahrung und Sozialisation in der jeweiligen Landesjustiz geprägt ist. Man braucht sich deshalb nicht zu wundern, dass zum Teil erhebliche Unterschiede bei der Verfahrensführung innerhalb eines Insolvenzgerichts bestehen, von Insolvenzgerichten anderer Gerichtsbezirke oder Bundesländer ganz zu schweigen. So bestellen manche Insolvenzrichter erst dann einen Gutachter, wenn sie selbst mit der Ermittlung der Vermögensverhältnisse nicht weiterkommen. Andere Insolvenzgerichte setzen stets Gutachter oder »schwache« vorläufige Insolvenzverwalter ein, ohne selbst die Vermögensverhältnisse zu ermitteln. An manchen Insolvenzgerichten ist hingegen die »starke« vorläufige Insolvenzverwaltung die Regel. Ähnliche Unterschiede sind auch in eröffneten Verfahren zu bemerken, beispielsweise bei der Berechnung der Vergütung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters oder der Prüfung der Schlussrechnung.
Die Verfahrensweise des Gerichts beeinflusst den Erfolg des Insolvenzverfahrens, das nicht nur vom Können des (vorläufigen) Insolvenzverwalters abhängt. Auch der beste (vorläufige) Insolvenzverwalter kann seiner Aufgabe nicht ordnungsgemäß nachkommen, wenn er darin durch das Insolvenzgericht nicht gefördert und unterstützt, sondern behindert wird.

Zweck der Leitlinien
Vor dem Hintergrund höchst unterschiedlicher und zum Teil nicht Erfolg versprechender Verfahrensweisen ist es verständlich, dass manche Insolvenzgerichte in Form von Leitlinien nach Vereinheitlichung suchen. Das Insolvenzgericht Hamburg hat dabei den Anfang gemacht; ihm haben sich andere Insolvenzgerichte – auch auf überregionaler Basis – angeschlossen. Sinn der Leitlinien ist eine Arbeitshilfe für das Insolvenzgericht, die im Sinne einer »Best Practice« die optimale Verfahrensweise im Eröffnungsverfahren und gelegentlich auch im eröffneten Verfahren beschreibt.

Umfang der Leitlinien
Während die Hamburger Leitlinien lediglich sieben Ziffern enthalten, steigern sich die Heidelberger Leitlinien bereits auf zehn. Die Kölner Leitlinien enthalten 75 Ziffern, deren Abdruck 4,5 Seiten einer Fachzeitschrift in Anspruch nimmt. Damit steigen auch die Detailtreue der Leitlinien und das bisher nicht diskutierte Problem ihrer Auslegung in Zweifelsfällen. Unklar ist, wer solche Zweifelsfälle klären soll und ob die Insolvenzverwalter an einem solchen Verfahren zu beteiligen sind.

Inhalt der Leitlinien
Die Leitlinien der einzelnen Gerichte differieren in Umfang und Inhalt erheblich, sodass in der Folge nur auf einzelne Punkte eingegangen werden kann. Im Eröffnungsverfahren behandeln die Leitlinien in der Regel Fragen im Zusammenhang mit der Einsetzung eines Gutachters oder eines vorläufigen »starken« oder »schwachen« Insolvenzverwalters. Den Hamburger Leitlinien kann entnommen werden, dass bei Gläubigeranträgen ein Gutachter eingesetzt wird, der die Erforderlichkeit einer vorläufigen Insolvenzverwaltung prüft. Bei Eigenanträgen wird hingegen sogleich ein vorläufiger »schwacher« Insolvenzverwalter bestellt, der ggf. die Anordnung der »starken« Insolvenz­verwaltung anzuregen hat. Die Heidelberger Leitlinien folgen dem im Grundsatz, gehen aber bei Gläubigeranträgen von einer (mündlichen?) Anhörung des Schuldners aus, nach der über die Bestellung eines Gutachters oder eines vorläufigen Insolvenzverwalters entschieden wird. Die Kölner Leitlinien sehen grundsätzlich die Erteilung eines Gutachtensauftrags vor, enthalten jedoch keine Vorgaben dafür, wann die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung erfolgt.
Leitlinien enthalten gelegentlich auch Grundsätze zur Qualitätssicherung der Insolvenzverwaltung. So gehen die Kölner Leitlinien im Einklang mit einer verbreiteten und zutreffenden Praxis davon aus, dass die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (GOI) des VID sowie eine Zertifizierung nach DIN  EN  ISO  9001, VID CERT oder InsO Excellence ein Kriterium für die Bestellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters in größeren Verfahren mit laufendem Geschäftsbetrieb sein können.
Alle Leitlinien stellen mehr oder weniger umfangreiche inhaltliche Vorgaben für die Tätigkeit des (vorläufigen) Insolvenzverwalters auf, beispielsweise für die Vornahme von Bargeschäften (Hamburger Leitlinien), die Betriebsveräußerung (Heidelberger Leitlinien) oder die Vergütung (Kölner Leitlinien), teilweise in bewusster Abkehr zu höchstrichterlicher Rechtsprechung. So ist nach den Kölner Leitlinien bei langer Verfahrensdauer kein Zuschlag auf die Vergütung des Insolvenzverwalters zu gewähren, während er für Zustellungen jeweils 2,80  Euro erhält. Obwohl nach der Rechtsprechung für Personalkosten ein Aufschlag von 1,80 Euro gewährt werden soll, setzen die Kölner Leitlinien eine Ober­grenze von 4,00  Euro fest.
Manche Leitlinien geben dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter neben Anweisungen zur Verfahrensführung auch exakte Hinweise zur Kommunikation mit dem Insolvenzgericht. So sind in Köln die Berichte in Papierform per Post einzureichen, wobei eine Übersendung per Fax grundsätzlich nicht erwünscht ist. Nur nach vorheriger telefonischer Absprache darf mit dem Richter auch per E-Mail kommuniziert werden. Anregungen im Eröffnungsverfahren müssen so gestaltet werden, dass der Insolvenzrichter ihre Eilbedürftigkeit aus dem Schriftsatz entnehmen kann. Nicht das Gericht, sondern der (vorläufige) Insolvenzverwalter hat die Durchführung von Zwangsmaßnahmen zu steuern und diese bevorzugt auf den Wochenbeginn zu legen. Nach den Ludwigshafener Leitlinien hat der (vorläufige) Insolvenzverwalter den Anhörungstermin durch Fragen vorzubereiten, die dem Insolvenzgericht schriftlich zur Verfügung zu stellen sind.

(…)

Editorial | Peter Reuter | INDat Report 07_2017 | Oktober 2017

Gesetzgebung in drei Kapiteln

Für die kommenden vier Jahre wissen wir, mit wem wir es im Deutschen Bundestag zu tun haben. Erfreulich ist, dass es bisherige Berichterstatter zum Insolvenzrecht geschafft haben, wieder ins Parlament einzuziehen. Ob sie allerdings im begehrten Rechtsausschuss sitzen, liegt in den Händen ihrer jeweiligen Fraktionen. Die Liste laufender Reformen und gewünschter Veränderungen im Insolvenzrecht ist lang, maßgeblich werden aber auch die neuen Spitzen der zuständigen Ministerien sein, ob sie die Einführung einer Berufsordnung für Verwalter, eine Reform der Verwaltervergütung oder Harmonisierung von Insolvenz- und Steuerrecht (weiter) verfolgen.
Der europäische Gesetzgeber kommt dem Ziel, den präventiven Restrukturierungsrahmen zu bestimmen, immer näher. Derzeit ist der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments damit befasst. Die Mehrfachbefassung durch Kommission, Rat und EU-Parlament macht es allerdings schwer, den Gesetzgebungsprozess und die Mitgestaltungsspielräume zu erkennen. Über die Ergebnisse der seinerzeitigen öffentlichen Konsultation im Vorfeld des RLE verlor die EU-Kommission kaum ein Wort. Ganz versteckt in einem parallel zum RLE veröffentlichten Dokument verbirgt sich die Zusammenfassung der Konsultation, die nicht einmal in die Amtssprachen der daran beteiligten Mitgliedstaaten vorliegt. Transparenz sollte anders aussehen.
Und noch ein »Gesetzgeber« macht von sich reden, wenngleich man von einem »Ersatzgesetzgeber« sprechen muss. Gemeint sind die Insolvenzgerichte, die in sog. Leitlinien Handlungspflichten für die Verfahrensabläufe formulieren, an die sich die Insolvenzverwalter zu halten haben. Ob hier nicht vielleicht Übereifer am Werk ist und quasiverbindliche Leitlinien zu verfassen, bei der Legislative liegen müsste, dazu ist sicherlich noch nicht das letzte Wort gesprochen.
Zu allen drei angerissenen Kapiteln lesen Sie
mehr auf nachfolgenden Seiten.

Austria | Peter Reuter | INDat Report | Oktober 2017

Akkordstörer Ausschalten

Wien. Österreich kennt seit 1997 das Unternehmensreorganisationsgesetz (URG), das mit einem präventiven Verfahren auf nicht insolvente Unternehmen abzielt. Doch in der vorinsolvenzlichen/außergerichtlichen Praxis spielt es kaum eine Rolle und gilt als totes Gesetz. Im Zuge des RLE zum präventiven Restrukturierungsrahmen fordert ReTurn – Forum für Restrukturierung und Turnaround Management, das URG zu reformieren.

Die außergerichtliche Restrukturierung von Unternehmen in Krisensituationen habe sich in Österreich bewährt, stellt ReTurn – Forum für Restrukturierung und Turnaround Management in seiner fünfseitigen Stellungnahme zur URG-Reform und zum präventiven Restrukturierungsplan vom 08.06.2017 fest. Solche Restrukturierungen funktionierten nur dann, wenn die wesentlichen Gläubiger, die i. d. R. Finanzgläubiger seien, diesen Plan mittragen würden. Infolge der Internationalisierung österreichischer Unternehmen und zahlreicher Verkäufe von Kreditforderungen vor allem an Hedgefonds komme es immer häufiger vor, dass die Zustimmung aller Gläubiger durch einzelne Gläubiger gestört werde, um ihr Ergebnis um jeden Preis – auch unter Inkaufnahme der Insolvenz – zu maximieren.

Internationale Finanzierungen nach
englischem Recht abgeschlossen

In dem an den österreichischen Gesetzgeber und die Ministerien gerichteten Papier, das die Vorstands-/Beiratsmitglieder Mag. Albert Hannak, Dr. Ulla Reisch und Dr. Günther Viehböck sowie Geschäftsführer Arthur Zukal verfasst haben, weisen die Unterzeichner auf eine Reihe bestehender präventiver Sanierungsverfahren in Europa mit überstimmenden Gläubigermehrheiten hin und heben insbesondere das englische Scheme of Arrangement hervor (SoA) mit dem Hinweis, dass ein großer Teil der von österreichischen Kreditinstituten gewährten internationalen größeren Finanzierungen nach englischem Recht abgeschlossen worden seien.
Ohne auf das von der Praxis nicht genutzte URG mit Gerichtseinbindung und dessen Schwachstellen näher einzugehen, betont das Papier das zentrale Element der geforderten Reform: Das neue Verfahren soll nur zahlungsfähigen und reorganisationsbedürftigen Unternehmen offenstehen und die Möglichkeit bieten, Akkordstörer zu überstimmen. Wenn nach Antragstellung die Zahlungsunfähigkeit eintritt, erfolge der Wechsel in ein Insolvenzverfahren. Zum Zeitpunkt der Antragstellung soll bereits das erforderliche Mehrheitsquorum für den Restrukturierungsplan vorliegen. In jeder Gruppe müsse die Mehrheit der einbezogenen Gläubiger dem Plan zugestimmt haben und die Summe der Forderungen der zustimmenden Gläubiger mehr als 75 % der Gesamtsumme der Forderungen der einbezogenen Gläubiger betragen. Es komme somit zur Überstimmung der restlichen 25 % Akkordstörer. Absonderungsrechte der besicherten Gläubiger blieben unberührt.
Das Gericht 1. Instanz prüfe die Form und auf Plausibilität, es könne Sachverständige zurate ziehen. Außerdem stelle das Gericht eine Alternativrechnung an, ob die Akkordstörer in einem Insolvenzverfahren bessere Ergebnisse hätten erwarten können. Der Zeitraum zwischen Aushändigung der Restrukturierungsvereinbarung an alle Gläubiger und dem Inkrafttreten solle nicht mehr als 30 Tage betragen. Ab Einleitungsbeschluss gelten ein Zahlungsaufschub und Vollstreckungsschutz gegenüber den einbezogenen Gläubigern für die Dauer des Verfahrens. Dieses Verfahren soll, so ReTurn, für ansässige Unternehmen auch dann gelten, wenn die Gläubiger eine Reorganisationsvereinbarung nach ausländischem Recht vorlegen (Cross-Border-Restrukturierungen unter Einbeziehung von Gläubigern unterschiedlicher Jurisdiktionen). Die Unternehmen dürften wählen, ob das Verfahren nicht öffentlich oder öffentlich (und damit mit Anerkenntnis innerhalb der EU) durchgeführt werden soll. ReTurn fordert, das Gesetz als Spezialgesetz außerhalb der IO noch in diesem Jahr zu verabschieden bzw. ins nächste Regierungsprogramm zu übernehmen. «



Kasten:

ReTurn ist ein unabhängiges Expertenforum rund um Restrukturierung und Turnaround mit Sitz in Wien. Der Plattform mit siebenköpfigem Vorstand gehören derzeit 450 Restrukturierungsmanager, Banker, Wirtschaftstreuhänder, Unternehmensberater, Investoren und Rechtsanwälte als Mitglieder an, die sich einem Ehrenkodex verpflichten.

Austria | Peter Reuter | INDat Report | Oktober 2017

RAin Mag. Dr. Ulla Reisch: Nie locker lassen, immer nach Lösungen suchen

Wien. Ob Insolvenzverwaltung oder Schuldnervertretung, bei fast allen großen Sanierungs-/Konkursverfahren und Restrukturierungsmandaten in Österreich ist RAin Mag. Dr. Ulla Reisch involviert, sei es bei Alpine Bau oder Zielpunkt. Die 49-jährige Partnerin der Kanzlei Urbanek Lind Schmied Reisch hat ihren Spitzenplatz in der Männerdomäne mit »charmanter Zielstrebigkeit« hart erkämpft. Als Kuratorin der Scholz-Anleihe brachte sie erstmalig das Kuratorengesetz vorinsolvenzlich zur Anwendung und als Prüferin bescheinigte sie die gesetzmäßige Abwicklung des »Sondervermögens
Kärnten«. Auch der außergerichtliche Ausgleich zählt zu ihren Spezialgebieten, für den sich die Unternehmenssaniererin eine gesetzliche Bändigung der Akkordstörer wünscht.

Rund um die Uhr sei sie zu erreichen, heißt es über RAin Dr. Ulla Reisch, die bestätigt, dass es nur wenige Momente gebe, in denen sie und ihr Smartphone nicht empfangsbereit seien. Dazu zähle das Laufen immer samstags und sonntags in der Früh. Die ständige Verfügbarkeit gehöre zum Selbstverständnis ihrer Tätigkeit als Verwalterin und Schuldnerberaterin, denn in dringlichen Fällen nicht erreichbar zu sein, verstärke häufig das Problem, und sie nennt als Beispiele für die notwendige Präsenz ihre Tätigkeiten als Kuratorin der Scholz Holding GmbH und als Masseverwalterin der World of Travel Reisebüro GmbH, bei denen ein schnelles Reagieren und Kommunikation ohne Umwege notwendig gewesen seien. Private Einkäufe im Supermarkt – sie sei auch Hausfrau und Mutter von vier Kindern  – könnten sich schon über Stunden hinziehen, erzählt sie mit einem Schmunzeln, wenn sie dort ein langer Anruf bindet und sie dann mit dem bereits gefüllten Einkaufswagen nochmals die Runde dreht, um die leicht verderblichen Waren wieder in die Kühlung zu räumen, um sie nach dem Telefonat erneut einzusammeln.
Organisation und Kommunikation sind für die 49-jährige gebürtige Wienerin das A und O, die sich auch auf vorinsolvenzliche Restrukturierungslösungen und mediatives Verhandeln spezialisiert hat. Gut geplant ist auch der Standort ihrer Wiener Kanzlei, denn er liegt direkt neben dem Handelsgericht, das mit sieben Richtern für die Sanierungs- und Konkursverfahren zuständig ist  – in den anderen Bundesländern sind es die Landesgerichte. In Österreich kennt man nicht wie in Deutschland das Vorschlagsrecht der Gläubiger für den zu bestellenden Verwalter. Obwohl vier Gläubigerschutzverbände in der Insolvenzordnung (IO) verankerte Bevorrechtigungen wie Akteneinsicht und Vertretungsrecht genießen, haben sie keinen Anteil bei der Verwalterauswahl.
Reisch steht wie aktuell 1296 Insolvenzverwalter auf der über die Ediktsdatei öffentlich zugänglichen Insolvenzverwalterliste, die das Oberlandesgericht Linz für ganz Österreich zu führen hat. Die Hürden, dort gelistet zu werden, sind nicht hoch. »Die an der Insolvenzverwaltung interessierten Personen haben sich selbst in die Insolvenzverwalterliste einzutragen«, heißt es in §  269  IO, der bestimmt, welche Angaben im Onlineportal zu machen sind. Jedes Gericht bzw. jeder Richter führt darüber hinaus seine eigene Liste mit einem kleineren Kreis an Kandidaten. Etwa 100 Verwalter, so heißt es, werden regelmäßig bestellt, wobei auch in Österreich ein starker Rückgang der Verfahrenszahlen und der Massen festzustellen ist.

Kommt selten vor: Bestellung
in drei Bundesländern

Dass Ulla Reisch in drei Bundesländern bestellt wird – neben Wien auch in Niederösterreich und in der Steiermark –, kommt nicht so häufig vor. Eine Voraussetzung dafür ist, dass es vor Ort eine Niederlassung gibt. Ihre Kanzlei Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG, die im Übrigen die Internetdomäne recht-erfolgreich.at nutzt, ist mit einem großen Büro in St. Pölten, aber auch in Krems vertreten und unterhält in Graz eine Kooperation mit der Verwalterkanzlei Ortner.
Mit der Funktion des sog. besonderen Verwalters in Österreich, die Ulla Reisch bei der Großinsolvenz von Alpine Bau ausgeübt hatte, erklärt sich, warum sich Verwalterkanzleien nicht so breit wie in Deutschland aufstellen müssen und Urbanek Lind Schmied Reisch mit drei Niederlassungen, sieben Partnern (drei Frauen, vier Männer) und neun weiteren Rechtsanwälten bereits als stattliche Einheit auf diesem Gebiet gilt. In großen, komplexen Insolvenzverfahren kann mittels des besonderen Verwalters die »Last« auf mehrere Schultern verteilt werden. Im Zuge dessen spielen auch jur. Personen, die in Österreich als Verwalter bestellt werden können, kaum eine Rolle, da Verwalterteams kanzleiübergreifend zum Einsatz kommen können. Zudem erscheint angloamerikanischen Kanzleien der Verwaltungsmarkt  – laut KSV 1870 gab es im 1. Halbjahr 2017 geschätzte Insolvenz­verbindlichkeiten i. H. v. 668 Mio. Euro – nicht ergiebig genug, um auf diesem Feld tätig zu werden; Gleiches gilt für Schuldnerberatungen.
Im Fall Alpine Bau GmbH, deren Masseverwalter RA Dr. Stephan Riel ist, war Ulla Reisch eine von fünf besonderen Verwaltern. Ihr oblagen ab Juni 2013 die ausländischen Niederlassungen. Alpine gilt als größte Insolvenz der 2.  Republik mit seinerzeit insgesamt 7000 Mitarbeitern, 200 Tochterfirmen, 500 Arbeitsgemeinschaften, 4300 Baustellen und über 4 Mrd. Euro angemeldeten Forderungen. Die 17 ausländischen Niederlassungen hatte Reisch in diesem Konkursverfahren nach dem Recht im Nicht-EU-Ausland abzuwickeln bzw. für sie gem. EuInsVO Sekundärverfahren anzustrengen, deren Einleitung in einigen Mitgliedstaaten »ewig« gedauert habe. Dort sei sie auch auf teilweise großes Unwissen über die Regelungen der EuInsVO und die Rechte des Hauptverwalters gestoßen. Listen der Dienstnehmer habe man ihr aus »Datenschutzgründen« vorenthalten, ein Misstrauen habe sie zu spüren bekommen, dass sie zum Nachteil der Arbeitnehmer und Gläubiger vor Ort arbeiten würde. Sogar staatliche Betriebe hätten sich der EuInsVO verweigert. Mit Unterstützung von Kooperationskanzleien vor Ort habe sie – auch in China, Singapur und Indien gab es Dependancen – die Abwicklungen im Ausland bis Dezember 2016 abschließen können.
Alpine zählt Reisch nicht nur zu den spannendsten Fällen, sondern sie ordnet den Fall als bislang komplexestes Verfahren ein, das ihre internationale Kompetenz und ihr Netzwerk wie der Fall Scholz weiter ausgebaut hat. Dass sie heute Fach- und Publikumsmedien als »Kapazität in Sachen Insolvenzrecht« bezeichnen und sie das 2016/2017er-Ranking »Die Elite im Insolvenzrecht und bei Sanierungen« noch vor den männlichen Kollegen anführt sowie im Ranking auf weiter Flur keine zweite Sanierungsexpertin zu erblicken ist, konnte sie sich sicherlich nicht als Karriereziel zu Berufsbeginn vorgenommen haben, wenngleich sie »charmante Zielstrebigkeit«, »niemals locker lassen« und stets kreativ nach Lösungen suchen nicht nur als Leitbild für das Handling ihrer Mandate und Verfahren betrachtet, sondern auch als Leitbild in eigener Sache.
Als Berufseinsteiger vor 23 Jahren sei sie als Frau in der Anwaltswelt ein »Exot« gewesen, erinnert sie sich, was sich heute deutlich gebessert habe. Aber sie wisse schon, dass sie als Frau in diesem Metier eine »gläserne Decke« durchstoßen habe, wofür sie »echt hart« habe kämpfen müssen.
Zufall und Glück spielten in ihrer Laufbahn eine Rolle, wie sie zum Insolvenzrecht gelangt war, da sie anfangs als Rechtsanwaltsanwärter – Teil der fünfjährigen praktischen Berufsausbildung nach dem abgeschlossenen Studium der Rechtswissenschaften – in einer auf Baurecht spezialisierten Kanzlei tätig war. Als sie dann nach der Geburt ihrer ersten Tochter ein halbes Jahr zu Hause geblieben war – in der Zeit schrieb sie ihre Dissertation zum Thema »Rügepflicht im Werkvertragsrecht« fertig  – sei die Einsicht gereift, an dem ständig Streitigen im Baurecht auf Dauer keine Freude finden zu werden, lösungsorientiertes kreatives Verhandeln schwebte ihr als baldige Anwältin vor. Hier kam der Zufall ins Spiel, als ein befreundeter Partner von Schulyok, Unger & Partner ihr angeboten habe, Anfang 1994 als Konzipientin (Rechtsanwaltsanwärter) für den Bereich Insolvenzrecht bei ihnen einzusteigen. Rückblickend für sie die beste berufliche Entscheidung, sagt sie. Mitte 1997 erfolgte die Zulassung als Rechtsanwältin und der Aufstieg zum Kanzleipartner.

Seit 17 Jahren bestens
eingespieltes Kanzleiteam

Drei Jahre später verließ sie die Kanzlei, weil sich die Möglichkeit für sie geboten hat, für ihre heutige Kanzlei das Wiener Büro aufzubauen und fortan zu leiten. »Liebe auf den ersten Blick« nennt sie die erste Begegnung mit ihren »neuen« Partnerkollegen, man habe sich vorher gar nicht gekannt. In den 17 Jahren ihrer Kanzleizugehörigkeit habe es nur einen wirklichen Konflikt unter den Partnern gegeben, den das Team geübter Mediatoren schnell habe lösen können. Das Geheimnis der reibungslosen Zusammenarbeit liege auch darin begründet, berichtet sie, dass man sich »nicht gegenseitig reinredet« und sie mit ihrem Team aus zwei Anwälten, einem Konzipienten und fünf weiteren Mitarbeitern allein am Wiener Standort sitzt, während das Gros der Kanzlei in St. Pölten ansässig ist und ein weites Spektrum von Rechtsgebieten wie Arbeits- oder Immobilienrecht abdeckt, auf das sie von Fall zu Fall zurückgreifen kann. Zu etwa 85 % sei sie mit Verwaltung und Schuldnervertretung befasst, darüber hinaus mit Investorenberatung beim Kauf aus der Insolvenz (wie beim Wiener Süßwarenhersteller Niemetz durch Heidi Chocolat AG), mit Gesellschaftsrecht und Stiftungsrecht. Es gelte, wenn ein Partner einen anderen unterstützt, einen Gerichtstermin wahrnimmt oder über dessen Empfehlung ein lukratives Mandat erhält, dass nicht gegenseitig verrechnet wird. Man helfe sich gegenseitig, wo es geht – z. B. im Fall Alpine sei diese Unterstützung und Entlastung für sie sehr von Vorteil gewesen. Für sie als Verwalterin eröffneten sich über die Standorte in St. Pölten und Krems weitere Bestellmöglichkeiten, da die Ortsnähe bei den Richtern einen hohen Stellenwert einnimmt.
Österreich hat die Reform des Insolvenzrechts mit dem IRÄG 2010 zwei Jahre vor Deutschland mit dem ESUG vollzogen, um u. a. Sanierungen zu erleichtern und den Schuldner zu einer früheren Antragstellung zu motivieren. Es gibt demnach ein Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung (EVW) unter Aufsicht eines Sanierungsverwalters und ein Sanierungsverfahren (SV) mit Masseverwalter, die jeweils eine Quote von 30 % bzw. 20 % und einen Sanierungsplan bis Insolvenzeröffnung sicherzustellen haben. Das Konkursverfahren mit Masseverwalter kann auch einen Sanierungsplan beinhalten oder zur Liquidation führen. Bei größeren Fällen spiele die EVW kaum eine Rolle, sagt Reisch, die auch als Universitätslektorin für Exekutions-, Insolvenz- und Sanierungsrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien tätig ist. Die Quote von 30 % stelle sich nicht selten als schwierig zu finanzierende Hürde dar, sodass man daher viel häufiger das SV ohne EVW ansteuere. Allerdings biete die EVW besondere Kündigungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer, sodass es angezeigt sein könne, mit der EVW zu starten und dann zu switchen. Aus ihrer Praxis könne sie aber mit keiner bekannten und größeren EVW in der Rolle als Sanierungsverwalter oder Schuldnerberater aufwarten, die als solches Verfahren auch abgeschlossen und erfüllt wurde. Laut KSV 1870 gab es im Jahr 2016 in Österreich 60 eröffnete SV mit EVW, wovon 19 im Verfahren die EVW wieder entzogen wurde; SV ohne EVW dagegen 438.
Beim Elektrogroßhändler Niedermeyer GmbH mit 98 Filialen hatte Reisch als Schuldnervertreterin den Geschäftsführer, der etwa vier Monate vorinsolvenzlich versucht hat, einen Investor zu finden, unterstützt. Das gelang anschließend im April 2013 eröffneten SV ohne EVW auch nicht, sodass die Liquidation im Konkursverfahren stattfinden musste. Die Gläubiger mit Forderungen i. H. v. 28,6  Mio.  Euro erhielten laut KSV eine Quote von 15 %. Auch bei der Hanlo Fertighaus GmbH war Reisch auf Schuldnerseite eingebunden, für die sich im Konkursverfahren dagegen ein Investor hat finden lassen. Bei der Großinsolvenz der Slav-Unternehmensgruppe im vergangenen Jahr war sie auf Schuldnerseite beratend eingebunden. Aktuell ist sie als Schuldnerberaterin für die Druckerei Ueberreuter in Korneuburg tätig, deren Sanierungsplan die Gläubiger in der SV ohne EVW angenommen haben. Im SV ohne EVW über die Wiener Privatklinik Goldenes Kreuz mit 250 Arbeitnehmern fungierte Reisch als Masseverwalterin. Die Gläubiger bestätigten Mitte 2014 den Sanierungsplan mit einer 25-%-Quote.
Bei der Supermarktkette Zielpunkt GmbH mit 229 Filialen und 2700 Mitarbeitern zog der Schuldner Reisch etwa eine Woche vor der Antragstellung für ein Konkursverfahren am 30.11.2015 hinzu, um zusammen mit RA Dr. Ernst Chalupsky den Insolvenzantrag vorzubereiten, eine optimale Verwertung mit möglichst hoher Quote zu unterstützen und auch durch eine geeignete Verwertung viele Arbeitsplätze zu erhalten. Zudem sei sie mit dem Thema Eigentumsvorbehalte im Hinblick auf Haftungsfragen befasst und in Sachen Bundeswettbewerbsbehörde tätig gewesen.

Ihr Verhandlungsstil: gradlinig
offen und transparent

Dass man als Berater eine Woche vor Antragstellung nicht mehr viel ausrichten und gestalten kann, liegt auf der Hand. Sich frühzeitig der Krise zu stellen und vorinsolvenzlich/außergerichtlich zu sanieren, dafür wirbt Reisch, wenngleich sie wisse, dass es vor allem Familienunternehmern häufig leichter falle, mehr Umsatz zu genieren, als frühzeitig die Krise zu erkennen. Die dann im stillen Ausgleich vollzogenen Rettungen werden zumindest im Verhandlungszeitraum i. d. R. nicht publik. Bei der Restrukturierung der Baustoff-Gruppe Asamer beriet Reisch einzelne Gruppengesellschaften in Insolvenzrechtsthemen und für die QuadraCir Beteiligungs GmbH dieses Firmenkomplexes begleitete sie das SV ohne EVW.
Spannend und herausfordernd findet sie bei außergerichtlichen Sanierungen auszuloten, wo die »Schmerzgrenze« jedes einzelnen involvierten Gläubigers liegt, wie sich dessen Interessenlage definiert und für alle einen gemeinsamen Nenner zu finden, um sie wieder für eine außergerichtliche Restrukturierung ins Boot zu holen. Die Aussage »das geht nicht« lasse sie nicht gelten, sie koppele daran immer die kreative Suche nach einer Lösung. Ihren Verhandlungsstil bezeichnet sie als »gradlinig offen und transparent«, persönliche Befindlichkeiten könne sie sehr gut hinten anstellen.
Gut vernetzt und eingebunden berichtet sie, dass die letzte Bundesregierung geplant habe, ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren vor der Brüsseler RL einzuführen. Die Praxis sei skeptisch gewesen, ob dies überhaupt notwendig ist und man später einiges wieder ändern müsse, wenn die RL andere Vorgaben macht. Die jüngste Reform des Insolvenzrechts, IRÄG 2017, nach dem Rücktritt der Bundesregierung im Nationalrat am 28.06.2017, klammert dieses Vorhaben aber aus und umfasst Änderungen im Privatinsolvenzrecht mit erleichterter Entschuldung, Begleitregelungen zur neuen EuInsVO und eine leichte Anhebung der Mindestentlohnung für Insolvenzverwalter.
Ihrer Erfahrung nach müsse ein gesetzlich fixierter präventiver Restrukturierungsrahmen vor allem auf eine wirkungsvolle Bändigung der Akkordstörer abzielen, da deren Kontra Sanierungsvereinbarungen gelegentlich blockiere. Um Vorschläge für eine nationale Ausgestaltung einer Brüsseler Vorgabe in die Waagschale zu werfen, hat ReTurn – Forum für Restrukturierung und Turnaround Management, dessen siebenköpfigem Vorstand sie angehört, mit Experten ein Positionspapier verfasst (siehe Seite 31), das auf eine Reform des seit 1997 bestehenden Unternehmensreorganisationsgesetzes (URG) abzielt. Die Praxis betrachte das URG als »totes« Gesetz, sagt Reisch, weil sich auch ohne diese Regelung eine außergerichtliche Einigung sehr gut erzielen lasse und vor allem die Diskretion besser gewahrt erscheine. Sie plädiert für ein kurzes, auf wenige Wochen beschränktes Verfahren für zahlungs- und sanierungsfähige Unternehmen mit bei Einleitung vorliegendem Sanierungskonzept, das bereits ein breites Quorum trägt. Für sie seien Überlegungen in Europa nicht nachvollziehbar, dieses Verfahren bzw. dessen Moratorium auf bis zu zwölf Monate auszudehnen. Das Verfahren solle nur nicht insolventen Gesellschaften offenstehen. Daher müsse bei Verfahrenseröffnung Zahlungsfähigkeit gegeben sein. Wenn das Gericht die Zustimmung der dissertierenden Gläubiger ersetze, so Reisch, und durch diese Entscheidung der gesetzlichen Vorgaben absehbar ist, dass die weitere Lebensfähigkeit des Unternehmens angenommen werden kann, liege auch kein Insolvenzgrund vor. Der Anwendungsbereich erfasst Finanzgläubiger, wobei die Praxis zeigen solle, ob auch andere Gläubiger (mit Finanzierungsverantwortung) dieses Instrument nutzen könnten. Gerichts- und Verwaltereinbindung halte sie für dringend geboten.

Als Kuratorin der Scholz-Anleihe
komplexe Abwägung getroffen

Mit einer besonders komplexen Premiere war Reisch in Sachen Scholz Holding GmbH befasst, da sie als am 18.01.2016 vom Handelsgericht Wien bestellte Teilschuldverschreibungskuratorin erstmals in Österreich mit einem auf das Kuratorengesetz von 1874 und dem Kuratorenergänzungsgesetz von 1877 bezogenen Fall befasst war, der sich im Rahmen einer außergerichtlichen Restrukturierung abspielte. Viele Erfahrungen mit dem Kuratorengesetz konnte sie bereits vorweisen, denn in ihre Zeit in der Kanzlei von RA Dr. Peter Schulyok fiel 1996 die Großinsolvenz des Maculan-Konzerns, für den die Kanzlei als Schuldnerberater agierte. Hier kam das Kuratorengesetz erstmals seit Längerem wieder zur Anwendung – allerdings im Rahmen eines Insolvenzverfahrens. Ebenso beim Konkurs der Globe Invest AG im März 2009, für die Reisch als Masseverwalterin bestellt war. Bei der Insolvenz der A-Tec Industrie AG im Oktober 2010 – übrigens das erste große SV mit EVW mit einer ausgeschütteten Quote laut Medienberichten von über 40 % – fungierte Reisch als eine von drei Teilschuldverschreibungskuratoren. »Ihre« Anleihe war ein 5,75-%-Coupon mit einem Volumen von 100  Mio.  Euro, deren Laufzeit bis zum 02.11.2010 vorgesehen war.
Das Recyclingunternehmen Scholz Holding GmbH, deren 8,5-%-Anleihe 2012 bzw. 2013 nach österreichischem Recht begeben wurde, umfasste mit einer Laufzeit von fünf Jahren ein Volumen von 182,5 Mio. Euro. Im außergerichtlichen Restrukturierungsprozess kam es dann zum Antrag des Unternehmens beim Handelsgericht Wien als Kuratelsgericht, der zur Bestellung Reischs als Kuratorin für die Anleihe führte. Es gebe eine Monopolstellung des Kurators in allen Angelegenheiten und Vereinbarungen die Anleihe betreffend, erläutert sie. Schadenersatzansprüche geltend zu machen, stehe aber jedem Anleihegläubiger individuell offen. Anleiheanwälte (z. T. auch als Vertrauensleute in das Kuratelverfahren eingebunden), die einzelne Gläubiger im Hinblick auf weitere Schadenersatzansprüche auch vertreten (haben), hätten bei ihrer Kritik an der Vorgehensweise der Kuratorin missverstanden, dass sie im Interesse aller Anleihegläubiger handeln müsse und nicht nur die Belange einiger weniger oder bekannter Gläubiger vertreten dürfe. Maßstab der Vereinbarungen mit dem Emittenten sei eine quotale Besserstellung als im Insolvenzverfahren bzw. eine schnellere Befriedigung. Schließlich hätten die Kritiker nach einiger Zeit verstanden, dass ihr Auftrag als Kuratorin ein anderer ist als der der Anleiheanwälte. Nicht zuletzt weil Scholz börsennotiert war, sei ein ganz sensibler und vertraulicher Umgang mit ihren Berichten notwendig gewesen, die nicht öffentlich gemacht werden. Ihre Aufgabe habe unter Beiziehung betriebswirtschaftlicher Sachverständiger auch darin bestanden abzuwägen, ob man auf die angepeilte Investorenlösung vertrauen sollte oder ob es nicht besser ist, ein Insolvenzverfahren anzusteuern. Die besondere Problematik in der außergerichtlichen Restrukturierung habe darin bestanden, führt Reisch weiter aus, dass anders als im Insolvenz­verfahren keine Unterstützung eines Verwalters vorgelegen habe und sie als Kuratorin über kein Einsichtsrecht in interne Unterlagen des Unternehmens wie ein Verwalter verfüge. Man sei in dieser Position darauf angewiesen, vom Unternehmen korrekt und umfänglich informiert zu werden, wobei sie anfügt, dass sie in Gesprächen mit Banken die Angaben von Scholz habe verifizieren können, die aber wiederum auch ihre eigenen Interessen hätten. Bekanntermaßen fand sich mit der chinesischen Chiho-Tiande Group der ersehnte Investor für Scholz, sodass Reisch eine Vereinbarung zur finanziellen Restrukturierung der Anleihe erzielen konnte: Die Anleihegläubiger erhalten eine Abschlagszahlung von 14 Mio. Euro (bezogen auf das Gesamtnominale der Anleihe eine Quote von 7,671 %) und allenfalls eine Besserzahlung von 5,8  Mio.  Euro (Quote  von  3,178 %). Am 10.11.2016 war für Reisch die Arbeit als Kuratorin beendet.
Mit einer Abwicklung anderer Art war Reisch kürzlich befasst: Das Land Kärnten bestellte sie zur Sachverständigen über die begleitende Prüfung der Abwicklung des »Sondervermögens Kärnten in Abwicklung«, deren Prüfaufgaben ein für die Abwicklung geschaffenes Gesetz in § 5 genau definiert, z. B. ob die gesetzlichen Grundsätze der Abwicklung eingehalten worden sind. Das Land Kärnten haftet gem. erläuternden Bemerkungen zum SvK-Verzichtsgesetz für alle Verbindlichkeiten der ehemaligen Hypo Alpe-Adria-Bank (heute: Heta Asset Resolution), die bis zum 01.04.2007 eingegangen waren. Im Zuge dieser Schuldenregulierung hatte sich das Land verpflichtet, den Fonds »Sondervermögen Kärnten« zu liquidieren. Im Bericht vom 24.07.2017 erklärt die Sachverständige Reisch, dass der von den Abwicklern vorgelegte Bericht und die präsentierte Schlussrechnung rechnerisch richtig seien und dass die durchgeführte Prüfung keine Anhaltspunkte zur Versagung oder Einschränkung dieser Bestätigung ergeben hätten, da die gesetzlichen Vorgaben eingehalten worden seien. Die Abwickler hatten den fiktiven Liquidationsstatus mit über 500 Mio. Euro taxiert.

Auf Lehre und aufs Publizieren
nicht verzichten wollen

Auch wenn die Zeit mit ihren umfänglichen Tätigkeiten als Unternehmenssaniererin vollends ausgeschöpft erscheint und sie eingesteht, dass sie sich einmal einen Urlaub mit ihrer Familie wünsche, in dem sie nur eine Woche ganz ohne Kanzleianruf und Arbeitskontakt relaxen kann, »gönnt« sie sich dennoch, reichlich zu publizieren, Insolvenzrechtsseminare abzuhalten und eine Lehrtätigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien auszuüben. Mit der Lehre zum Exekutions-, Insolvenz- und Sanierungsrecht, die ihr generell mit einem Faible fürs Unterrichten großen Spaß bereite, zwinge sie sich aber auch, juristisch up to date zu bleiben, was im Arbeitsalltag zwischen Kommunikation und Organisation leicht untergehen könne. Zudem empfinde sie den Austausch mit den Professoren als fachliche Bereicherung und unter den Studierenden ließen sich auch geeignete Konzipienten finden.
Bei einer in Österreich als Institution geltenden Tagung, die seit 1995 stattfindet, wird sie bei der diesjährigen 24. Ausgabe Mitte November als Referentin zum Thema »Pflichtverletzungen von Organen und Prüfern in der Krise« auftreten: beim Insolvenz-Forum Grundlsee. Dort treffen sich unter den etwa 250 Teilnehmern vor allem die Insolvenzverwalter Österreichs, um sich intensiv auszutauschen. Bedarf dafür besteht, denn in Österreich verzichtet man auf Insolvenzverwalterverbände, die allerdings gerade bei den starken Gläubigerschutzverbänden als Gegengewicht zu erwarten gewesen wären. Zwar habe es hin und wieder Überlegungen zur Gründung eines Verwalterverbands gegeben, berichtet Reisch, doch die Pläne seien verworfen worden. Wenn es gilt, Verwalterinteressen zu platzieren oder zu vertreten, dann telefoniere man sich zusammen, lote aus, welche Verwalter sich für das betreffende Thema am besten als Fürsprecher eignen, und schicke diese Gruppe dann quasi im Auftrag aller los. »Bei uns«, so Reisch über diese lockere, aber wohl eingespielte Organisation der Verwalter, »funktioniert es auch informell.« «

6 Fragen an Ulla Reisch

» Hätten Sie sich nicht für diese Laufbahn entschieden, welcher berufliche Weg wäre für Sie vorstellbar gewesen?
Reisch: Universitätsprofessor für Geschichte. » Gibt es eine Fertigkeit oder Befähigung, die Sie jüngst erlernt haben oder die Sie gerade erwerben? Reisch: Spanisch. » Welches nicht berufsspezifische Buch lesen Sie gerade? Reisch: Stefan Zweig, »Die Welt von Gestern«. » Wovon hätten Sie gerne mehr? Reisch: Zeit. » An welchen drei materiellen Dingen hängen Sie besonders? Reisch: An meinem Garten samt Blumen und Schwimmteich. » Welchen Fehler würden Sie heute nicht mehr machen? Reisch: Zu viele Sorgen machen. Ist schon besser
geworden, klappt aber noch nicht immer.

»  Mag. Dr. Ulla Reisch, Rechtsanwältin, Masseverwalterin und Partnerin der Kanzlei Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG, geboren 1968 in Wien; 1986–1991 Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien, Abschluss Magister iuris; 1986–1988 Studienzweig Geschichte, Abschluss: 1. Studienabschnitt; 1991–1993 Doktoratsstudium Rechts­wissenschaften, Abschluss: Doktor iuris; 1988–1992 Rechtsanwaltspraktikate bei Lattenmeyer Luks & Enzinger Rechtsanwälte und Gerichtsjahr; 1992–1997 Rechtsanwaltsanwärter bei Lattenmeyer Luks & Enzinger Rechtsanwälte und bei Dr. Peter Schulyok, 1995 Rechtsan­waltsprüfung; 1997–2000 Partner bei Schulyok, Unger  & Partner; 2005–2011 Universitätslektor an der juristischen Fakultät Wien, seit 2009 Universitätslektor an der WU Wien; seit 2000 Partner der Urbanek Lind Schmied Reisch OG; seit 2010 Vorstand im Verein ReTurn – Forum für Restrukturierung und Turnaround Management; bestellt als Verwalterin in Wien, Niederösterreich und in der Steiermark; Referenzen: Alpine Bau GmbH (besondere Verwalterin); Zielpunkt GmbH (Schuldnerberaterin); Scholz Holding GmbH (Kuratorin); Kresta Anlagenbau Gesellschaft mbH NfG & Co. KG (Schuldnerberaterin); Niedermeyer GmbH (Schuldnerberaterin); Privatklinik Goldenes Kreuz (Massever­walterin); World of Travel Reisebüro GmbH (Masseverwalterin); »Sondervermögen Kärnten in Abwicklung« (Sachverständige).

Inhaltsverzeichnis

3
Editorial
 
6
Namen & Nachrichten
 
7
INDat Barometer I
 
8
Namen & Nachrichten
 
 
10
Im Gespräch
VID-Vorsitzender RA Dr. Christoph Niering
Roadmap an neuen Gesetzgeber adressiert
12
Titel
Auf rechtmäßiger Bahn?
Gefürchtete Leitlinien der Insolvenzgerichte
20
Verwalter & Berater
RAin Dr. Ulla Reisch (Urbanek Lind Schmied Reisch)
Nie locker lassen, immer nach Lösungen suchen
26
Schwerpunkt:
RLE präventiver Restrukturierungsrahmen
Die öffentliche Konsultation im Spiegel des Brüsseler RLE
31
 
Reformvorschlag des österreichischen ReTurn-Forums
Akkordstörer ausschalten
32
Kongresse & Tagungen
10. NIVD-Jahrestagung in Berlin
Empirie, Hirnforschung und Fremdgehen erlaubt
37
 
7. Norddeutscher Insolvenzverwalter-Kongress in Hannover
Mit Haftung hereinholen und mit Vergütung verdienen
40
Symposien & Diskussionen
Veranstaltung des IDAS e.V. in Frankfurt am Main
COMI – Rettungsanker oder Fußfessel?
42
Workshops & Vorträge
Doktoranden-Workshop an der Humboldt-Universität zu Berlin
Segen und Fluch der individuellen Denkweise
46
Kongresse & Tagungen
Frankfurter Insolvenz- und M&A-Forum
In der Mode viel Stoff für Restrukturierung
48
 
SRH-Sanierungskonferenz in Heidelberg
Tücken der Haftung und Verzicht auf Lightversion
50
INDat Statistik
Top 30 Verwalter, Top 30 Kanzleien, Top 10 Gerichte
 
51
INDat Barometer II
 
 
54
Veranstaltungen, Anzeigenübersicht, Impressum