Titelthema | INDat Report 07_2021 | September 2021

Von Bremen nach Berlin und wieder zurück

Der Insolvenz-Tourismus nach »Bremer Modell« und eine mögliche Reaktion des Gesetzgebers

Bremen. Wie weit über die Restrukturierungs- und Insolvenz(rechts)kreise hinaus hinlänglich bekannt, hat es in jüngster Zeit Versuche eines systematischen Forum Shoppings, eines Insolvenz-Tourismus, in Richtung Bremen gegeben, das ganz überwie- gend und zu Recht kritisch gesehen wird (»Bremer Modell«). Nach Berichten und Diskussionen in Wirtschaftspresse, Fachlite- ratur und Bremischer Bürgerschaft hatte die Bremer Justizsenatorin eine unabhängige Begutachtung des sog. Bremer Modells bei Prof. Dr. Stefan Smid in Auftrag gegeben, mit dessen Erkenntnissen sich der Rechtsausschuss der Bremischen Bürgerschaft am 20.04.2021 beschäftigte. Dem wissenschaftlichen Gutachten hatten u.a. zwei Beiträge aus dem INDat Report zugrunde gelegen. Das Bremer Justizressort hatte daraufhin am 13.06.2021 eine Länderumfrage auf den Weg gebracht, um für das Problem zu sensibilisieren, die Erfahrungen der anderen Länder abzufragen und Stellungnahmen zu dem wissenschaftlichen Gutachten einzuholen. Darüber hinaus brachte das Bremer Justizressort einen Vorschlag für drei Änderungen in der InsO, u.a. zur örtlichen Zuständigkeit, z.B. für eine Bundesratsinitiative ins Gespräch. Zudem wird am 06.09.2021 ein vom Bremer Jus- tizressort organisierter Erfahrungsaustausch von Insolvenzrichtern im Nordverbund stattfinden. Ob und ggf. wie der Bundes- gesetzgeber auf dieses Problem des nationalen Forum Shoppings reagieren muss, wird in diesem Beitrag untersucht, der auch den Versuch unternimmt, einen eigenen Gesetzesvorschlag zu formulieren. Text: Regierungsdirektor Dr. Johannes Holzer, München

Editorial | Peter Reuter | INDat Report 07_2021 | September 2021

Programme, Pläne und Positionen

Auch wenn die Parteiprogramme der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien auf Hunderten Seiten Positionen und Pläne benennen und anreißen, soll das Restrukturierungs- und Insolvenzrecht aus deren Sicht für die kommende 20. Legislatur- periode nahezu gar keine Rolle spielen. Das ist generell nicht verwunderlich, weil es sich um eine Spezialmaterie handelt, mit der schließlich keine Wahlen zu gewinnen sind. Allerdings haben die Parteien das in der Vergangenheit auch anders gesehen, für Pläne z. B. zur zurückliegenden Legislaturperiode waren sie trotz dieser Spezialmaterie um einiges kreativer. Nun kann man die Einschätzung vertreten, dass der Gesetzgeber vor allem mit dem SanInsFoG inklusive StaRUG und der Nachjustierung des ESUG sowie der Reform der Restschuldbefreiung auf diesem Feld viel beackert und geerntet hat, sodass die Parteien derzeit auf der sog. Dauerbaustelle keinen konkreten Änderungs- und Ergänzungs- bedarf sehen und sie von dieser Materie gewissermaßen gesät- tigt sind. Schließlich können das BMJV und der Bundestag ja bei dringendem Änderungsbedarf jederzeit schnellstens reagieren, wie das COVInsAG gezeigt hat. Bei der CDU/CSU mag vielleicht ein Grund dafür sein, dass dieser Bereich nahezu gar nicht mehr in ihren Plänen vorkommt, dass Heribert Hirte zukünftig nicht mehr im Bundestag mitgestal- tet und somit den Vordenkern sein fachlicher Input auf diesem Gebiet und damit auch der »gesetzliche Betreuer« für die kommende Legislaturperiode fehlt. Manchmal ist es auch zu viel: In der aktuellen Legislatur- periode sind nicht alle Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag zum Restrukturierungs- und Insolvenzrecht umgesetzt worden. Auf der Agenda steht noch unerledigt vor allem das Berufsrecht für Insolvenzverwalter, das es bekanntermaßen wegen der fehlen- den gemeinsamen Linie der Praxis nicht zu einem Entwurf aus dem BMJV brachte. Ob dieses Vorhaben Einzug in den kommen- den Koalitionsvertrag findet, kann niemand sagen, denn es gibt keine »Erbschaften« unter Koalitionsverträgen. Dass das Berufsrecht aber dennoch die kommende Legislaturperiode beschäftigt – ungeachtet europarechtlicher Vorgaben –, könnte mit der Arbeitsgruppe von neun Bundesländern auf Initiative des Landes Berlin zusammenhängen, die einen Vorschlag für die Schaffung einer Bundesvorauswahlliste erstellt, der Mitte Oktober dieses Jahres vorliegen soll. Somit wäre das Thema Berufsrecht im weitesten Sinne in der kommenden Legislaturperiode weiterhin präsent, wenn es in den Händen der Länder liegt. Allerdings beklagt BAKinso e.V. (Stellungnahme vom 24.08.2021), dass die diese Fragen seit Jahren diskutierenden Berufsverbände und Arbeitskreise ihre Teilnahme an der Länderrunde und somit einen gemeinsamen Dialog fruchtlos reklamierten. Auch das Land Bremen möchte eine InsO-Gesetzesänderung erwirken, die entweder Gegenstand der Konferenz der Justizminister im Herbst dieses Jahres sein oder als Landes- oder Ländervorschlag in den Bundesrat eingebracht werden könnte. Es betrifft kleine Nachjustierungen, um beklagte Vorfälle im Stil des sog. Bremer Modells zu verhindern, sodass mit Nachschärfungen nationales Forum Shopping zumindest erschwert wird. Beide Länderinitiativen hätten den Charme, dass die Gesetzesvorlagen nicht über einen Kabinettsbeschluss laufen müssten, doch auch der Weg über den Bundesrat kann steinig sowie holprig sein und das Ziel verfehlen. Nochmals zurück zu den Parteiprogrammen für die Bundes- tagswahl, um ihrer inhaltlichen Ausrichtung bei dieser Spezialmaterie nicht unrecht zu tun: Es gibt die Überlegung einer Partei, der gute Chancen als zukünftiger Koalitionspart- ner zugerechnet werden, im Hinblick auf die wirtschaftlichen Pandemiefolgen »kleinen und mittleren Unternehmen zu helfen, sich mit vereinfachten Restrukturierungsverfahren leichter neu aufzustellen, ohne Insolvenz anmelden zu müssen«. Diese Formulierung impliziert zum einen, dass das StaRUG für KMUs wohl ungeeignet ist, und zum anderen, dass man nicht (primär) auf ein sanierendes Insolvenzverfahren für KMUs setzt. Alles noch weit weg von konkreten Ausgestal- tungsideen und Machbarkeitsüberlegungen, aber es ist die mitunter konkreteste politische Ankündigung, die in Bezug zum Restrukturierungs- und Insolvenzrecht unter den Pro- grammen, Positionen und Plänen zu finden ist.

Inhaltsverzeichnis

3
Editorial
6
Anzeigenübersicht/ Impressum
7
Statistiken
Barometer Land
 
8
 
Namen & Nachrichten
Alle Verfahren gegen Insolvenzrichter Frank Frind sind eingestellt
10
 

Titel
Der Insolvenz-Tourismus nach »Bremer Modell« und eine mögliche Reaktion des Gesetzgebers
Von Bremen nach Berlin und wieder zurück

 
20

Professoren & Hochschulen
Prof. PD Dr. Dominik Skauradszun, LL.M. Taxation
Bei Forschung mit Tiefgang immer wieder in die Praxis auftauchen

 
26
 

Im Gespräch

Hannah Alter und Walter Engel, beide Referat E 15 des Statistischen Bundesamts
Webscraping bildet das Insolvenz-
geschehen frühzeitiger ab

 
39
 

Hintergrund
Rückblick auf die Entschließungen des Deutschen Privatinsolvenztag e.V.
Schuldner und Gläubiger sind nicht mehr »böse«

 
44
 

Standpunkt
RA Prof. Dr. Volker Römermann
Anmerkung zum Beschluss des BGH (II ZR 97/21) vom 06.07.2021
Befangenheit mit offenen Augen betrachtet

 
46

Symposien & Vorträge
Stuttgarter Restrukturierungsforum
Fundierte Unternehmensplanung bleibt Best Practice

 
58

Anmerkungen zu aktueller Rechtsprechung
BGH: Positive Fortbestehensprognose
kraft Patronatserklärung?