Titel | INDat Report 07_2022 | August 2022
Bestandsaufnahme und Vorschläge für eine qualitativ hochwertige, effiziente Bearbeitung von Insolvenzverfahren
Weitere Konzentration der Insolvenzgerichte – »mission impossible«?
Acht Bundesländer sind seinerzeit aktiv geworden und haben von der in der Insolvenzordnung eröffneten Dekonzentrationsermächtigung Gebrauch gemacht, was entgegen der eigentlichen Intention des Bundesgesetzgebers, das Insolvenzgericht am Sitz des Landgerichts anzusiedeln, zu der bekannten Dichte der Insolvenzgerichte u. a. in Niedersachsen (33), Bayern (29) und Baden-Württemberg (24) geführt hat. »Verankerung der Justiz in der Fläche« und »Bürgernähe« hieß und heißt die Losung, mit der die Länder das Modell begründen.
Die Debatte um eine Konzentration der Insolvenzgerichte ist immer strittig geführt worden. Sobald das Bundesministerium der Justiz bzw. der Bundesgesetzgeber gesetzgeberische Pläne dazu entwickelt hat, war das Veto der entsprechenden Bundesländer vorprogrammiert. Beim StaRUG ist die Konzentration der Restrukturierungsgerichte (Amtsgerichte) auf der Ebene der Oberlandesgerichtsbezirke dennoch gelungen – allerdings mit einem Zugeständnis in Sachen Insolvenzgerichte. Erhöht die StaRUG-Regelung dennoch die Chance, dass sich alle Länder für eine (weitere) Konzentration der Insolvenzgerichte öffnen?
Wenn jemand sämtliche Pro und Kontra in dieser Frage kennt und darüber auf den politischen und den Fachebenen ausgiebig diskutiert hat, dann ist es die ehemalige Abteilungsleiterin im BMJ(V), MinDir a. D. Marie Luise Graf-Schlicker. Die Frage »›Mission impossible‹?« haben wir ihr, da sich einige Rahmenbedingungen geändert haben, erneut gestellt und sie darum gebeten, einen möglichen Lösungsvorschlag aufzuzeigen: Überlegungen, die »Verlustängste« berücksichtigen und dem Kompetenzzentrum Insolvenzgericht zu mehr Qualität verhelfen könnten.
Text: MinDir a. D. Marie Luise Graf-Schlicker
- Ausgangssituation
Die Justiz als dritte Gewalt im Staate hat eine bedeutende Aufgabe für den Bestand eines demokratischen Rechtsstaats. Sie ist Garant dafür, dass die demokratischen Rechtsregeln im Wirtschafts- und Privatleben effektiv durch unabhängige Gerichte durchgesetzt werden können. Die Frage, wie die Judikative aufzustellen ist, um ihren Auftrag fachkompetent und in angemessener Zeit erfüllen zu können, wird seit vielen Jahren intensiv diskutiert. Dies geschieht einerseits vor dem Hintergrund immer komplexerer Fallgestaltungen, denen nicht nur national geprägte, sondern europäisch und international verwobene Sachverhalte zugrunde liegen, andererseits aber auch vor der Tatsache, dass die Fallzahlen der Gerichte seit Jahren rückläufig sind. Insbesondere die Corona-Pandemie hat das Augenmerk aber auch auf eine Veränderung der Arbeitswelt durch die zunehmende Digitalisierung der Arbeitsabläufe und der Kommunikation gerichtet.
Wie sollten vor diesem Hintergrund die Gerichte organisiert sein, die in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit Insolvenzverfahren und Restrukturierungssachen befasst sind? Regelungen über die Krisenbewältigung oder den Zusammenbruch von Unternehmen sind Teil des wirtschaftlichen Gefüges eines Staates. Sie sind elementar für das Vertrauen in wirtschaftliche Investitionen. Bei bestandsfähigen Schuldnern tragen sie dazu bei, den Verlust von Arbeitsplätzen zu vermeiden und Verluste für Gläubiger in der Lieferkette zu minimieren. Der Aspekt der Zugehörigkeit des Insolvenz- und Restrukturierungsrechts als wichtiger Bestandteil des Wirtschaftsrechts sollte sich auch bei den Überlegungen zur gerichtlichen Organisation widerspiegeln.
Einigkeit dürfte darüber erzielt werden können, dass die Personen, die bei den Gerichten für die Bearbeitung solcher Fälle zuständig sind, also die Richter- und Rechtspflegerschaft, die rechtliche Materie beherrschen müssen. Wie dies zu erreichen ist und wie das Wissen auf dem aktuellen Stand zu halten ist, wird aber immer wieder – zuweilen sehr emotional – kontrovers diskutiert. Streitpunkt ist außerdem, ob durch die Bearbeitung einer Vielzahl von Fällen der Aufbau von Erfahrungen der Justizpersonen notwendig ist oder die Bearbeitung von Fällen aus den unterschiedlichsten Rechtsgebieten den Arbeitsalltag bei Gericht prägen sollten, nach dem Motto: Eine gute Juristin oder ein guter Jurist hat die Fähigkeit, jederzeit in unterschiedlichen Rechtsgebieten zu arbeiten. In der politischen Diskussion über Justizstandorte in den Ländern spielt ebenfalls der Gesichtspunkt der Bürgernähe eine wichtige Rolle. So hat jüngst der Bayerische Landtag die vom Obersten Rechnungshof empfohlene Reduzierung der Insolvenzgerichte in Bayern von 29 auf 21 abgelehnt, weil er die Bürgernähe der Justiz bei einer stärkeren Konzentration der Insolvenzgerichte in Bayern in Gefahr sieht. Er hat stattdessen vorgeschlagen, Personaleinsatz und Organisation der Insolvenzgerichte – unabhängig von einer Konzentration – effektiver auszugestalten. (…)
Inhaltsverzeichnis
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