Titelthema | Befragung: Peter Reuter | INDat Report 08_2016 | November 2016
Nach fast fünf Jahren ESUG steht die Evaluation an
Köln. Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) verlangt der Gesetzgeber von der Bundesregierung, das Reformgesetz zu evaluieren, das ist im März 2017 der Fall. Das Evaluationsprojekt soll in Kürze ausgeschrieben werden, erklärt der Parlamentarische Staatssekretär im BMJV, Christian Lange (SPD), in dieser Ausgabe. Anlass für den INDat Report, über 100 Akteure aus der Restrukturierungs- und Insolvenzbranche um ein kurzes Statement zum gesetzlichen Nachjustierungsbedarf zu bitten: Wo besteht am dringendsten Handlungsbedarf oder haben Rechtsprechung und Praxis das ESUG inzwischen so handhabbar gemacht, dass der Gesetzgeber kaum noch bzw. gar nicht mehr gefragt ist? Lob für das ESUG äußern viele der Stimmen, konkreten Nachjustierungsbedarf benennen sie auch. Doch neben aufgeführten Mankos im Detail häufen sich die Meinungen, die die Lehre aus dem ESUG ziehen, dass der deutsche Sanierungswerkzeugkasten auch ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren dringend benötigt. Beides ist demnach voneinander nicht mehr zu trennen.
RA Dr. Michael Jaffé,
Jaffé Rechtsanwälte
»Fünf Jahre ESUG haben in der Praxis viel Licht für sanierungswürdige Unternehmen gebracht, aber in diversen Fällen auch gezeigt, dass es Möglichkeiten einer missbräuchlichen Ausnutzung der neuen gesetzlichen Regelungen gibt; was noch fehlt, ist ein klares System von ›Checks and Balances‹, das von vornherein Missbrauch ausschließt, angefangen von eindeutig definierten, nachprüfbaren Mindestvoraussetzungen für einen Schuldner zur Eigenverwaltung bis hin zu einer Stärkung der Position des Sachwalters als unabhängige, allein auf das Interesse der Gläubigergesamtheit verpflichtete Instanz; das ESUG muss dem ehrlichen Kaufmann einen Ausweg aus einer wirtschaftlichen Notsituation eröffnen, darf aber nicht dazu führen, dass einseitige Partikularinteressen auf Kosten und zulasten der Gläubigergesamtheit durchgesetzt werden können.«
RA Prof. Dr. Siegfried Beck, Dr. Beck & Partner
»Die gesetzgeberischen Verbesserungspotenziale sind im Thesenpapier des Gravenbrucher Kreises umfassend dargestellt; angesichts des hohen Prozentsatzes von gescheiterten Eigenverwaltungsverfahren sind die Gerichte und die Praxis noch mehr als bisher gefordert, Bescheinigungen nach § 270 b InsO und generell die Eigenverwaltungsanträge intensiver darauf zu prüfen, ob die handelnden Personen für diese Verfahrensart wirklich geeignet sind und ob die Anträge mit der rosaroten Brille gestrickt sind und deshalb das spätere Scheitern prognostizierbar ist.«
RA Dr. Thomas Hoffmann,
NOERR
»Wie jedes Gesetz sind auch die ESUG-Reformen nur so gut wie ihre Anwender – es gibt immer noch zu viele Richter, die Insolvenz nur nebenbei mitmachen (müssen); eine Konzentration bei spezialisierten Insolvenzgerichten würde die ESUG-Reformen noch besser wirken lassen.« RA Dr. Frank Kebekus, Kebekus et Zimmermann »Den dringendsten Nachbesserungsbedarf sehe ich bei der Eigenverwaltung; es gibt viel zu viele Verfahren, die der Größe
und der Qualität nach überhaupt nicht für eine Eigenverwaltung geeignet sind.«
RA Dr. Sven-Holger Undritz,
White & Case
»Das ESUG hat zu mehr Wettbewerb auf allen Ebenen geführt, hilfreich wäre jetzt eine zeitnahe Verabschiedung eines modernen Konzerninsolvenzrechts inklusive der erforderlichen Gestaltungsspielräume bei den Zuständigkeitsregelungen sowie klare Regelungen zu dem außergerichtlichen Sanierungsverfahren, um mit diesem Dreiklang die Sanierungskultur in Deutschland weiterzuentwickeln.«
RAin Christine Frosch ,
DHPG
»Unsere Erfahrungen mit dem ESUG sind überwiegend positiv; es hat die Arbeit der Unternehmenssanierer und Insolvenzverwalter spürbar belebt und zu einer stärkeren Ausrichtung der Branche in Richtung Sanierung geführt; anfängliche Unsicherheiten in Teilfragen, z. B. die Begründung von Masseverbindlichkeiten, sind zu weiten Teilen von der Rechtsprechung geklärt, sollten jedoch klarstellend in das Gesetz aufgenommen werden.«
RA Christopher Seagon, WELLENSIEK
»Eigenverwaltung auf echte Sanierungsfälle beschränken: Anordnung nur bei nachweisbarer Sanierungsexpertise der Eigenverwaltungsorgane bzw. von deren Bevollmächtigten/Vertretern und analoge, gesetzliche Haftungsregelungen des eigenverwaltenden Organs zu der des Insolvenzverwalters (§ 61 InsO).«
RA/WP Andreas Ziegenhagen, Dentons
»Neben rechtstechnischen Nachjustierungen wie beispielsweise der erforderlichen Einzelermächtigung im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung gem. § 270 a InsO oder Klarstellung der Vergütung des vorläufigen Sachwalters sollte insbesondere die Ergänzung eines vorinsolvenzrechtlichen Sanierungsverfahrens zwecks rechtssicherer Umsetzung von Finanzrestrukturierungen durch qualifizierten Mehrheitsbeschluss gegenüber ›Holdout‹-Minderheitsgläubigern außerhalb eines Insolvenzverfahrens realisiert werden.«
(…)
Editorial | Peter Reuter | INDat Report 08_2016 | November 2016
Lehren dürfen nicht ins Leere laufen
Das Vokabular hat sich geändert. War zu den Anfängen des ESUG deutlicher von »Missbrauch« des Instrumentariums bei der Eigenverwaltung die Rede, fällt die Kritik nunmehr kurz vor der Evaluation zurückhaltender aus und lobende Worte häufen sich. Dennoch nennen vor allem die Praktiker weiterhin vorhandene Fehlentwicklungen und Fehlanreize sowie dringenden Nachjustierungsbedarf beim Namen. Sie stellen aber auch fest, dass die Rechtsprechung in einigen Punkten schon Klarheit schaffen und der Markt einiges regeln konnte. Eines ist sicher: In die Zeit vor dem ESUG will kein Akteur der Restrukturierungs- und Insolvenzbranche mehr ernsthaft zurück.
An welche Grenze das ESUG stößt, offenbaren nun fast fünf Jahre Praxiserfahrung. Das Insolvenzstigma lässt sich nicht per Gesetz, das zudem mit dem Begriff »Insolvenz« überall hantiert, beseitigen. Dass sich Chancen vor der Insolvenz eröffnen, die das Reformgesetz nicht abdecken kann, ist offenkundig. Das Schutzschirmverfahren konnte die Erwartungen nicht erfüllen, da es u. a. im »falschen« Gesetz steht.
Das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren, dessen Konturen sich in Kürze mit dem Richtlinienentwurf abzeichnen, soll kein Konkurrenzprodukt zum ESUG werden, vielmehr eine Ergänzung im Werkzeugkasten. Das verlangt aber eine klar definierte Abgrenzung, wofür das eine und wofür das andere bestimmt ist. Aus dem ESUG lässt sich die Lehre ziehen, dass das neue Tool so justiert sein muss, dass es in den Anfängen keine Schlupflöcher für Missbrauch eröffnet. Praxis und Rechtsprechung können es zwar über die Jahre reparieren, doch nichts spricht dagegen, mit einem handwerklich sauberen Gesetz von Beginn an arbeiten zu dürfen.
Inhaltsverzeichnis
3 | Editorial |
6 | Namen & Nachrichten |
7 | INDat Barometer I |
8 | Namen & Nachrichten EU-Richtlinienentwurf erfordert offenbar noch Abstimmung Das wohl auf Ende September 2016 datierende und INDat Report zugespielte 28-seitige Papier »Directive on preventive restructuring frameworks and second chance for entrepreneurs« scheint einen kommissionsinternen Diskussionsstand zum mit Spannung erwarteten Richtlinienentwurf zum EU-Insolvenzrahmen zu dokumentieren Hier zum Nachlesen |
10 | Im Gespräch Parl. Staatssekretär im BMJV, Christian Lange (SPD) Besonderes Augenmerk liegt auf dem Eigentumsschutz |
12 | Titel Nach fast fünf Jahren ESUG steht die Evaluation an 100 Stimmen, die gehört werden sollten, um das ESUG abzurunden |
26 | Verwalter & Kanzleien RA Klaus Siemon (SIM Siemon Insolvenzmanagement) Ganz ausgerichtet auf die Rolle als neutrale Instanz |
30 | Im Gespräch Dr. Hermann Peter Wohlleben, Vorstand des PSVaG Die Betriebsrentner zählen zu den geduldigsten Gläubigern |
34 | Standpunkt RiAG Frank Frind Gesetzgeberische Nicht- und Schlechtleistung erfordern neue Kommission |
36 | Serie: Finanzinvestoren (I) Gut gefüllte Kassen klingeln bei Unternehmen an |
40 | Standpunkt RA Wilhelm Klaas Zum Ersten, zum Zweiten und … zum Verwerter? |
42 | Richter & Gerichte RiAG Dr. Peter Laroche (AG Köln) Transparenz, offene Türen und klare Linien |
46 | Kongresse & Tagungen 5. Internationales Symposium Restrukturierung in Kufstein Restrukturierung unter dem Wilden Kaiser |
52 | Symposien & Vorträge 3. Jahrestagung des ISR in Düsseldorf Spannungsverhältnis zwischen Insolvenz- und Gesellschaftsrecht |
56 | 2. Tagung des Hamburger Kreises in München Wie sich »vor der Insolvenz« und Steuerrecht vertragen |
58 | Kongresse & Tagungen 7. Deutscher Privatinsolvenztag in München Von Höhen und Tiefen des Privatinsolvenzrechts |
62 | Frankfurter Insolvenz- und M&A-Forum Wettbewerb um die guten Fälle ist stärker geworden |
66 | Bundeskongress des BvCM in Wuppertal Sicherer Leitfaden und ein Hauch von Science-Fiction |
70 | 8. Handelsblatt Symposium Insolvenzrecht in Düsseldorf Effiziente Umsetzung der Vorgaben vermeidet Verordnung aus Brüssel |
73 | Focus Day »Zwischenbilanz nach vier Jahren ESUG« in Düsseldorf Niemand wünscht sich die Zeit vor dem ESUG zurück |
76 | Jahreskongress von INSOL Europe in Cascais Vergleichen, annähern und harmonisieren |
80 | Forschung & Studien Eine empirische Analyse der sich in der Praxis ergebenden Anwendungsfragen Sanierungskonzepte nach IDW S 6 |
86 | Schwerpunkt: Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren Integrierte Unternehmensplanung als Frühwarnsystem anstatt Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung |
94 | INDat Statistik Top 30 Verwalter, Top Kanzleien, Top 10 Gerichte |
95 | INDat Barometer II |
98 | Veranstaltungen, Vorschau, Impressum |