Titelthema | Peter Reuter | INDat Report 08_2018 | November 2018

ESUG-Evaluation, präventiver Restrukturierungsrahmen, Berufsrecht

Alles dreht sich um den präventiven Restrukturierungsrahmen und die Frage, welche verbindlichen Vorgaben und welche nationalen Gestaltungsspielräume die europäische Richtlinie letztendlich enthalten wird. Schließlich hängen mit den europäischen Regelungen wegen der vielen Überlappungen u. a. die Schlussfolgerungen aus der ESUG-Evaluation und das diskutierte Berufsrecht für Insolvenzverwalter zusammen. Diese enge Verzahnung der Gesetzesvorhaben mit Europa unterstreicht Bundesjustizministerin Dr. Katarina Barley (SPD) im Interview, während Hon.-Prof. Dr. Franz Mohr als Vertreter des österreichischen Justizministeriums und der derzeitigen EU-Ratspräsidentschaft die »allgemeine Ausrichtung« des RLE erläutert. Diesen beiden Beiträgen schließen sich ein Vergleich der drei Vorlagen für die derzeit laufenden Trilog-Verhandlungen und eine Quin­tessenz
des Gutachtens zur ESUG-Evaluation in Form von zehn Prioritäten an.

Errungenschaften des Ratstextes bewahren

Sprengstoff im ursprünglichen Vorschlag entschärft

Berlin. Der Koalitionsvertrag mit den insolvenzrechtlichen Projekten wie dem Berufsrecht für Insolvenzverwalter, der Auftrag des ESUG-Gesetzgebers, das Reformgesetz zu evaluieren und daraus Konsequenzen zu ziehen, und die Vorgaben, die aus der baldigen Richtlinie für präventive Restrukturierungsrahmen für die Mitgliedstaaten erwachsen, fordern das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), alles in Einklang zu bringen und möglichst zügig zu »liefern«. Peter Reuter fragte Bundesjustizministerin Dr. Katarina Barley (SPD), wie sie die »allgemeine Ausrichtung« des Rats mit den weiten nationalen Öffnungsklauseln betrachtet, welche Konsequenzen aus der ESUG-Evaluierung zu ziehen sind und ob eine seit Jahren geforderte Anpassung der Verwaltervergütung zu erwarten ist.
INDat Report: Der Rat für Justiz und Inneres hat auf der Basis eines Kompromissvorschlags der österreichischen Ratspräsidentschaft und des vorbereitenden Papiers der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten vom 26.09.2018 am 11./12.10.2018 eine »allgemeine Ausrichtung« bei den Titeln III, IV und V beschlossen. Welche Änderungen in der Kommissionsfassung, die den präventiven Restrukturierungsrahmen betreffen, waren Ihnen besonders wichtig, welcher Kompromiss im Rat ist der deutschen Seite besonders schwergefallen? Und: Nun stehen die offiziellen Trilog-Verhandlungen mit dem EU-Parlament und der EU-Kommission an. Was wird Ihrer Einschätzung nach besonders strittig sein, an welchen Positionen wollen Sie bzw. der Rat unbedingt festhalten?
Barley: Wichtig war uns, die Gestaltungsspielräume zu bewahren, die wir benötigen, um das deutsche Insolvenz- und Sanierungsrecht sachgerecht fortentwickeln zu können. Hier barg der Kommissionsvorschlag einigen Sprengstoff: Die Rolle von Gerichten und Verwaltern war darin stark zurückgenommen. Die Vorschriften über das Moratorium waren sehr weitreichend und ließen angemessene Schutzvorkehrungen zugunsten der Gläubiger vermissen. Neue Finanzmittel und restrukturierungsbegleitende Transaktionen wurden von einer späteren Insolvenzanfechtung sehr weitgehend freigestellt. Ich bin sehr zufrieden, dass es uns gelungen ist, die problematischen Teile des ursprünglichen Vorschlags zu entschärfen. Wir haben uns jetzt im Rat auf einen Text geeinigt, der sich als Grundlage für eine Verbesserung des deutschen Rechts sehr gut eignet. In den anstehenden Trilog-Verhandlungen wollen wir aus den genannten Gründen die Errungenschaften des Ratstextes bewahren.
INDat Report: Die »allgemeine Ausrichtung« enthält in den Artikeln und Erwägungsgründen eine Reihe weiterer nationaler Öffnungsklauseln. Viele nationale Gestaltungsspielräume bedeuten letztendlich, dass es in den Mitgliedstaaten mitunter sich stark unterscheidende präventive Restrukturierungstools – auch stark schuldnerorientierte – geben kann, der neue Erwägungsgrund 10 a spricht z. B. davon, dass Publizität wie in den Annex-A-Verfahren der EuInsVO nicht vorhanden sein muss. Befördert das nicht das Forum Shopping, das die Kommission mit einem möglichst einheitlichen Rahmen unterbinden wollte?
Barley: Das sehe ich nicht so. Die Richtlinie engt zunächst die Gestaltungsspielräume der Mitgliedstaaten im Bereich der Restrukturierung und der Insolvenz ein. Dennoch müssen derzeit noch Freiräume in den Mitgliedstaaten verbleiben, weil deren Insolvenzrechte und die damit eng verbundenen Regelungen, z. B. im Wirtschafts-, Steuer- und Arbeitsrecht, weiterhin große Unterschiede aufweisen, die sich in diesem ersten wichtigen Schritt nicht ohne Weiteres überbrücken lassen. Die verbleibenden Gestaltungsspielräume »befördern« aber nicht das Forum Shopping, sondern sind Überbleibsel der seit jeher bestehenden Gestaltungsspielräume.
INDat Report: Der Deutsche Bundestag hatte am 27.10.2011 beschlossen, das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) fünf Jahre nach Inkrafttreten zu evaluieren, dem Bundestag sei dann unverzüglich Bericht zu erstatten. Das BMJV hat den Evaluationsbericht des Gutachterteams Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole am 15.10.2018 in einer Präsentationsveranstaltung der Fachöffentlichkeit vorgestellt. Schlussfolgerungen für gesetzgeberisches Handeln sind natürlich im Licht des RLE für präventive Restrukturierungsrahmen zu sehen, aber welche Wirkung hat das ESUG für die Stärkung der Gläubigermitwirkungsrechte und das Anreizsystem zur früheren Antragstellung entfaltet und an welchen Stellen hat sich eine Missbrauchsanfälligkeit gezeigt, die wie eingedämmt werden könnte?
Barley: Mit dem ESUG wurden die Gläubigerrechte bei der Auswahl des Insolvenzverwalters und der Anordnung der Eigenverwaltung gestärkt. Im Rahmen der Gesetzesberatungen wurde die Befürchtung geäußert, dass sich die erweiterten Mitwirkungsrechte der Gläubigerschaft negativ auf die Unabhängigkeit der Verwalter auswirken könnten. Diese Befürchtung hat sich nicht bestätigt. Im Gegenteil: Das Evaluierungsgutachten enthält sogar die Empfehlung, die Rechte der Gläubiger weiter auszubauen. Eine gewisse Anfälligkeit für Fehlgebrauch sehen die Gutachter bei den Eigenverwaltungsverfahren. Gerade in diesem Punkt wird das weitere Vorgehen aber in besonderem Maße von den kommenden Vorgaben aus Brüssel abhängen.

(…)

Editorial | Peter Reuter | INDat Report 08_2018 | November 2018

Aus drei mach eins

Sie gelten als Dreiklang, denn der RLE zum präventiven Restrukturierungsrahmen, die ESUG-Evaluation und das Berufsrecht für Insolvenzverwalter sind eng miteinander verwoben. Von einem harmonischen »Knüpfwerk« ist man noch weit entfernt, denn bevor ein Einklang herzustellen ist, bedarf es einer finalen Entscheidung zum RLE. Die eine oder andere Diskussion zum Berufsrecht oder zu den Schlussfolgerungen aus der ESUG-Evaluation könnte abgekürzt werden, wenn europäische Vorgaben doch noch strikter gefasst werden.
Beim präventiven Restrukturierungsrahmen schlägt die
sog. allgemeine Ausrichtung des Rats einen möglichst breiten nationalen Gestaltungsspielraum vor. Überspitzt formuliert, gibt es nur noch die eine klare Ansage, dass es ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren geben muss. Eine Vorgabe also, die nahezu nur Deutschland trifft.
Das Berufsrecht für Insolvenzverwalter hatte lange als Forderung an die Politik keine Beachtung gefunden und gelangte dann unerwartet in den Koalitionsvertrag. Wie umzusetzen, bestimmt gerade eine Debatte, die den Eindruck vermittelt, dass sie bei vielen Praktikern gar nicht so willkommen ist und man sich insgeheim wünscht, alles beim Alten zu belassen. Vielleicht damit zu erklären, dass derzeit so viel in Bewegung ist, dass man eine weitere Veränderung, von der der Einzelne nicht weiß, wohin für ihn dann die Reise führt, nicht gebrauchen kann.
Und die ESUG-Evaluation? Im Grunde brachte das Gutachten keine neue Erkenntnis. Wie sollte es auch, wenn die Studie Praktikerstimmen, Stellungnahmen und Fachliteratur minutiös auswertet. Aber sie bringt den Korrekturbedarf auf den Punkt und liefert Handlungsempfehlungen, um die man nun nicht mehr herumkommt. Dass Praktiker, die sich in dem betreffenden Artikel nicht zu erkennen geben, die Studie als »tenden­ziös« bezeichnen, sagt mehr über die Absender aus als über deren Aussage, die zudem unbegründet geblieben ist.
Die drei Projekte sind ganz eng miteinander verzahnt.
Die Befürchtung, dass der Gesetzgeber die Harmonisierungen aus Gründen Europas »auf die lange Bank« schiebt, muss nicht stimmen. Die Richtlinie tritt in Kraft, wenn sie im Europäischen Amtsblatt verkündet ist. Allerdings weiß man schon bis Ende der EU-Legislaturperiode im Mai 2019, wie der Wortlaut aussieht. Zum einen könnte der hiesige Gesetzgeber schon frühzeitig Umsetzungsideen entwickeln, zum anderen muss er die dreijährige Umsetzungsfrist wirklich nicht ausschöpfen.

Inhaltsverzeichnis

3
Editorial
 
6
Anzeigenübersicht/Impressum
8
Namen & Nachrichten
Reaktionen auf das Gutachten der ESUG-Evaluation
 
9
 
Fragestunde im Deutschen Bundestag zur ESUG-Evaluation
 
10
 
BMJV stellt ESUG-Evaluation vor Präsentiert im großen Rahmen
 
110
 
Ermittlungen gegen Insolvenzverwalter
 
12
Standpunkt
VID-Vorsitzender RA Dr. Christoph Niering
Endlich raus aus der Warteschleife
50
 
Prof. Dr. Jens M. Schmittmann
Hebelt die AO das IFG aus?
64
 
RA Frank Linnenbrink und RA Michael Dahl (beide GÖRG)
Sich vergleichen und vertragen ist besser als zanken und klagen
13
Statistiken
Barometer Land
 
59
 
Verwalterranking nach Verfahren und Umsätzen
 
93
 
Kanzleiranking nach Verfahren und Umsätzen
 
103
 
Barometer Bund
 
14
Titel
 
 
16
 
Im Gespräch mit Bundesjustizministerin Dr. Katarina Barley
Sprengstoff im ursprünglichen Vorschlag entschärft
20
 
Erläuterungen von Hon.-Prof. Dr. Franz Mohr (österreichisches Justizministerium und EU-Ratsvorsitz)
Die Richtlinie in der Fassung der allgemeinen Ausrichtung
30
 
 
Die drei Grundlagen der Trilog-Gespräche
36
 
 
ESUG-Evaluation: Gutachten mit umfassenden, praxisnahen Analysen
48
Im Gespräch
RiAG i.R. Dr. Helmut Zipperer
Nicht dem Rausch der Macht hingeben
54
Richter & Gerichte
RiinAG Dr. Daniela Brückner (AG Charlottenburg)
Zentralisiertes Insolvenzgericht fördert die Qualität
60
Hintergrund
Sechs Jahre VID-CERT
Nicht komplett versiegelt
68
 
 
Professionelle Konkursverwaltung in Deutschland um 1900
72
Kongresse & Tagungen
NIVD-/BAKinso-Tagung »Berufsrecht« in Berlin
Bitte keine große Sache
78
 
10. Handelsblatt Symposium Insolvenzrecht in Berlin
Vom Wilden Westen zum Schuldnerparadies?
83
 
Pre-Workshop »Berufsrecht« des 10. Handelsblatt Symposiums Insolvenzrecht
Überfällig oder überflüssig?
86
 
7. Internationales Symposium Restrukturierung in Kufstein
Absturz von Fluglinien und Höhenflug von Start-ups
92
 
Vorabendveranstaltung von TMA NOW beim 7. Internationalen Symposium Restrukturierung
Zwei Schritte voraus
100
 
15. Bundeskongress des Bundesverbands Credit Management e. V. (BvCM) in Künzelsau
Digitalisierung von Credit Managern auf dem Vormarsch
102
 
Termine für Ihre Fortbildung
 
104
 
Jahreskongress von INSOL Europe in Athen
Im Labor der (gelösten) Finanzkrisen
94
Symposien & Vorträge
5. ISR-Jahrestagung »Sanierung und Wettbewerbsrecht« in Düsseldorf
Zwei aufeinander zurollende Züge?
98
 
DAV-Herbstklausur in Erfurt
Dank an die Verwalter