Titel | INDat Report 09_2022 | November 2022
Vorschläge zu Weichenstellungen für ein zügigeres, effektiveres und kostengünstigeres Insolvenzverfahren im Gläubigerinteresse
Insolvenzverfahren auch ohne Verwalter?
Zu teuer, zu lang und damit zu uneffektiv. Diese Attribute schreibt man Insolvenzverfahren zu. Aber weniger hierzulande, sondern zu diesem Schluss kommen die EU-Kommission und internationale wissenschaftliche Untersuchungen. Brüssel scheint diesen Befund sehr ernst zu nehmen und plant, im Zuge der anstehenden weiteren Harmonisierung des Insolvenzrechts Worten auch Taten folgen zu lassen. Die Aussagen vom zu teuren Insolvenzverfahren sind natürlich viel zu allgemein, es verlangt einen differenzierten Blick. Fakt ist allerdings: 40 % der Unternehmensinsolvenzen werden nicht eröffnet und in 57 % der Unternehmensinsolvenzverfahren gibt es keine Ausschüttungen für die Gläubiger, so Auswertungen des Statistischen Bundesamts. Der Fokus richtet sich vor allem auf Verfahren über Klein- und Kleinstunternehmen, die 90 % ausmachen und auf die die drei Attribute eher zutreffen. Für diese Gruppe wird es Vorschläge für Sonderverfahren aus Brüssel geben. Dabei werden Überlegungen zu einem verwalterlosen Insolvenzverfahren in Klein- und Kleinstverfahren kein Tabu mehr sein. Die kommende Harmonisierung sollte aber auch Anlass sein, für alle Unternehmensinsolvenzen auszuloten, an welchen Stellschrauben zu drehen ist, um sie vor allem im Gläubigerinteresse effektiver zu machen. Über das verwalterlose Verfahren hinaus ist die Liste für eine Effizienzsteigerung lang, wie die folgenden Ausführungen detailliert zeigen. Sie reicht von Versäumnissen der Sozialversicherungsträger über die Insolvenzgerichte mit ihrer verschleppten Digitalisierung bis zur extensiven Schlussrechnungsprüfung. Alles sollte auf dem Prüfstand stehen.
Text: Rechtsanwalt Klaus Kollbach
Das Insolvenzrecht wird weiter harmonisiert. Schon vor Jahren hat die EU-Kommission in der langen Verfahrensdauer von Insolvenzverfahren ein Hindernis für einen funktionierenden Binnenmarkt gesehen. Unternehmen und Unternehmer sollen bei Insolvenz eine effektive und schnelle Möglichkeit zur zweiten Chance erhalten, sei es durch Sanierung oder durch einen Neustart. Bei der Restschuldbefreiung hat sich gezeigt, dass Mindestquoten, lange Fristen und komplexe Verfahren Argumente sind, die für eine Debatte über die Fortentwicklung des Binnen- und Kapitalmarkts noch nicht einmal als diskussionswürdig gelten. Nationale Bedenken oder juristische Dogmatik (Ordnungsfunktion etc.) spielten und spielen dabei keine entscheidende Rolle mehr.
90 % der Regelverfahren zu langsam und zu teuer
Nun steht das Unternehmensinsolvenzverfahren selbst im Fokus, und zwar nicht die Minderheit der größeren Verfahren, sondern die breite Basis der kleineren Verfahren. Es geht damit um 90 % der Regelverfahren in Deutschland, nur 10 % der 2021 eröffneten Verfahren haben nach Angaben des Statistischen Bundesamts mehr als zehn Arbeitnehmer (Statistisches Bundesamt, Unternehmen und Arbeitsstätten – Insolvenzverfahren Dezember 2021, S. 11). Insolvenzverfahren sind aus EU-Sicht zu langsam, nicht effektiv und zu teuer: »Die übermäßig lange Dauer von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren … ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass niedrige Befriedigungsquoten erzielt und Anleger … in Ländern, in denen ein Risiko langwieriger und unverhältnismäßig kostspieliger Verfahren besteht, abgeschreckt werden«, so bereits klar Erwägungsgrund 6 der Restrukturierungsrichtlinie 2019 (Amtsbl. L 172 v. 26.06.2019, S. 19). Als zeitliche Obergrenze für Entschuldungs- und Insolvenzverfahren nennt Erwägungsgrund 5 eine Frist von drei Jahren. Da es in einigen Mitgliedstaaten während des Insolvenzverfahrens Tätigkeitsverbote gibt und der redliche Unternehmer seine Altschuldenlast vor einem Neustart kennen muss, wird die 3-Jahres-Frist auch für kommende Sonderregelungen bei Kleinunternehmen weiterhin als Höchstzeit des Verfahrens eine Rolle spielen (siehe dazu auch den Beitrag auf S. 54 f.). Das Problem wird als Kosten- und Geschwindigkeitsnachteil beim Insolvenzverwalter verortet, man sieht die Lösung im verwalterlosen Verfahren, so jedenfalls die Sicht in verschiedenen Diskussionsrunden in Brüssel. Ob es den Verfahrensbeteiligten gefällt oder nicht: Die Basis der Insolvenzverfahren wird sich ändern, auch wenn die Details und der Ausgang im Einzelnen noch nicht feststehen.
Eine Diskussion über das verwalterlose Verfahren ist jedenfalls recht sicher, auch wenn es dazu bisher keine wirklich starken Anstöße in Deutschland gab und gibt, sondern eher nur vereinzelte Änderungshinweise (vgl. etwa Madaus, Viel Bewegung und Innovationsdruck bei Sanierungen von MSMSE, INDat Report 09_2021, S. 38 ff.) sowie Vorschläge für zwei vorinsolvenzliche und zwei besondere Insolvenzverfahren der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung, Beschluss vom 28.06.2021 Nr. 8, ZInsO 2021, 1716, oder ein »Winterschlaf-Verfahren« als Sonderinsolvenzrecht in Eigenverwaltung und mit einem Wiederkaufsrecht innerhalb von zwei Jahren durch den Schuldner (Pressemitteilung Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) vom 11.06.2020). (…)
Inhaltsverzeichnis
3 | Editorial |
6 | Anzeigenübersicht/Impressum |
7 | Statistiken |
8 | Namen & Nachrichten |
12 | Titel |
26 | Verwalter & Kanzleien |
30 | Im Gespräch |
32 | Symposien & Vorträge |
34 | Standpunkt |
42 | Neue Serie: Dienstleister & Spezialisten |
46 | Workshops & Diskussionen |
46 | Kongresse & Tagungen |
46 | Dissertationen zum Restrukturierungs- und Insolvenzrecht |