Titel | INDat Report 10_2021 | Dezember 2021
Rückblick, Resultate, Resümee: Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) zu acht Jahren Legislative
Rechtspolitik im Allgemeinen, Insolvenzrecht im Speziellen
Berlin/Köln. In den vergangenen acht Jahren hieß es über Prof. Dr. Heribert Hirte immer wieder: »unser Mann in Berlin«. Aus Kölner Perspektive bedeutete es, dass er zweimal als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Köln II in den Deutschen Bundestag eingezogen ist. Doch gemeint war damit eher, dass der 63-jährige gebürtige Kölner die ganze Zeit über die Funktion als Berichterstatter seiner CDU/CSU-Fraktion für das Insolvenzrecht ausgefüllt hat und von außen betrachtet als der dafür kompetenteste Fachpolitiker gegolten hat – federführend aktiv bei allen Umsetzungen vom Konzerninsolvenzrecht über das Insolvenzanfechtungsrecht bis zum SanInsFoG/StaRUG.
Diese Fokussierung verengt allerdings den Blick auf Hirtes äußerst breites Tätigkeitsspektrum in der 18. und 19. Legislaturperiode, in denen er als stellvertretender und die letzten beiden Jahre als Vorsitzender des Rechtsausschusses, als Vorsitzender des Unterausschusses Europarecht und als Ordentliches Mitglied des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union an zahlreichen Gesetzen mitgewirkt hat, häufig als Berichterstatter wie z. B. beim Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts und beim ARUG II. Zentral eingebunden war er auch bei TTIP, beim Brexit-Übergangsgesetz und bei der für ihn persönlich sehr wichtigen Änderung des Führungspositionengesetzes, die eine haftungsfreie Auszeit ermöglicht.
Peter Reuter traf Heribert Hirte am 11.11.2021 in Köln und sprach mit ihm neben diesen Projekten auch über die Gründe für die zähe Reform der Insolvenzanfechtung, die von ihm als Druckmittel genutzte Reform der Restschuldbefreiung, dass Richtlinien »nicht vom europäischen Himmel fallen« und über die unterschätzte Bedeutung von Eckpunktepapieren, die später zu Gesetzen gerinnen. Auch äußerte sich Hirte zu seinem Engagement als Vorsitzender des Stephanuskreises sowie zu den Hintergründen, warum ihn die Kölner CDU nicht mehr für die Wahl 2021 aufgestellt hatte, sowie zu dem noch anhängigen Streit um die Mitherausgeberschaft der renommierten Fachzeitschriften ZGR und ECFR.
INDat Report: Sie haben in acht Jahren als Bundestagsabgeordneter als gewissermaßen zeitnahe Rechenschaftsberichte für Ihre Wähler und die Öffentlichkeit immer zum Ende jeder Sitzungswoche den Newsletter »Berliner Einblicke« auf Ihrer Homepage veröffentlicht. In der ersten Ausgabe berichteten Sie über die erste Woche als Abgeordneter, über Ihr fünfköpfiges Team in Berlin und im Kölner Wahlkreisbüro und in der dritten Ausgabe über Ihre Jungfernrede am 14.02.2014 zum Konzerninsolvenzrecht. Zum Ende Ihrer zweiten Legislaturperiode posteten Sie am 30.10.2021 auf Twitter: »Die Sonne scheint, ein schöner Abschied von Berlin.« Mehr Informationen vor allem zur letzten Sitzungswoche enthielt die letzte und 104. Ausgabe der »Berliner Einblicke«, in der Sie berichteten, dass der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts gem. Koalitionsvertrag verabschiedet hatte (Inkrafttreten 01.01.2024), für das Sie der Berichterstatter Ihrer Fraktion waren und das Sie als »rechtspolitisches Jahrhundertwerk« bezeichnen. Welche Anpassungen in diesem Gesetz waren für Sie ein ganz besonderes Anliegen?
Hirte: In der Tat, dieses Gesetz haben wir ganz am Ende der Legislaturperiode noch durchgebracht. Auf den ersten Blick erscheint es so, als ob es gerade noch die Kurve bekommen hat, in Wirklichkeit war es so, dass dieses Projekt so unstreitig und unkontrovers war, dass man es in der letzten Sitzungswoche behandeln konnte, da mit Gegenwind nicht zu rechnen war. In gewisser Weise bin ich besonders stolz auf dieses Gesetz. Die Vorgeschichte war, dass wir lange vor der letzten Legislaturperiode im Bundesarbeitskreis Christlich-Demokratischer Juristen (BACDJ) das rechtspolitische Programm erarbeiteten, das als geistiges Teilprogramm des Wahlprogramms der Union gilt. Wie bereits ein Deutscher Juristentag zuvor festgestellt hatte, entsprach das Personengesellschaftsrecht nicht mehr der Rechtswirklichkeit und der gelebten Praxis, sodass wir in unserem rechtspolitischen Programm eine Anpassung des Gesetzes aufnahmen. Diese völlig unstreitige gute Idee floss dann ebenso unstreitig in den Koalitionsvertrag und war damit Teil des Arbeitsauftrags an die Bundesregierung, die ihrerseits das unstreitige Projekt wiederum gerne umsetzte und zuvor eine Kommission einsetzte. Das Gesetz, das sieht man im Detail, ist natürlich nicht frei von Interesseneinflüssen, aber die wesentlichen Punkte entsprechen dem, was ich mir persönlich auch vorgestellt hatte. An welchen Stellen wir nicht weitergehen wollten, haben wir klar zum Ausdruck gebracht, dazu gehört die Frage der Beschlussanfechtung nach dem GmbH-Vorbild auch für die BGB-Gesellschaft. Wir hätten nicht mitgetragen, dass die BGB-Gesellschaft zu sehr an die OHG und die GmbH angenähert wird, die Gelegenheitsgesellschaft muss es unverändert geben. Wir haben nun ein stärkeres Abbild der BGB-Gesellschaft im Gesetzestext, wie es der Wirklichkeit entspricht, die GbR als Rechtsform wird aufgewertet.
Es ist schwierig, wenn man acht Jahre Bundestag Revue passieren lässt, weitere Höhepunkte besonders hervorzuheben. Im Gesellschaftsrecht war es aus meiner Sicht auch die Einführung der Hauptversammlungszuständigkeit für die Festlegung der Managervergütung – auch für mich persönlich ein besonderes Anliegen. Die Schweiz hatte vor meiner Wahl in den Bundestag hier mit der sog. Abzockerinitiative die Messlatte hoch gelegt, was wir in unserer Arbeitsgruppe Recht und Verbraucherschutz als Vorbild aufgegriffen haben. Es galt, Missbrauch vorzubeugen, damit die eigentlichen Eigentümer der Gesellschaft diese Entscheidung in die Hand bekommen. Ein System- und Mentalitätswandel, der in meinen Augen bitter nötig war. Aus insolvenzrechtlicher Sicht hat mich in der ersten Legislaturperiode vor allem das Insolvenzanfechtungsrecht beschäftigt. Interessant war seinerzeit zu hören und zu lesen, es würde gar nichts passieren – das stimmt, es wurde nichts berichtet, aber passiert ist ständig etwas, weil die Konfliktlage so komplex war. Vor allem mit denjenigen, die in der Insolvenzanfechtung am liebsten nicht betroffen sein wollten, die staatlichen Gläubiger, insbesondere Fiskus und Sozialversicherungsträger. Die entsprechenden Gespräche fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, daher erschien es so, als passiere nichts.
INDat Report: Nicht in Ihren Bundestagsreden, aber wiederum in Ihrem erwähnten Newsletter hatten Sie die Vorsatzanfechtung für ein breites Publikum in einfachen Worten einleitend so erläutert: »Stellen Sie sich vor, Ihre Lieblingsbrauerei beliefert viele verschiedene Gaststätten und Kneipen. Vor acht Jahren hat nun die Brauerei einer dieser Kneipen die Rechnungen gestundet …«, um ausgehend von diesem plastischen Sachverhalt die Auswirkung der bisherigen Regelung auf alle und die Notwendigkeit einer gesetzlichen Änderung zu verdeutlichen. Nun gab es jüngst vom VorsRiBGH des IX. Senats, Dietmar Grupp, der in Vorträgen auf der NIVD-Jahrestagung und bei der ZIS-Herbstveranstaltung die Beweggründe seines Senats für die jüngste Rechtsprechungsänderung bei der Vorsatzanfechtung (Urteil vom 06.05.2021 – IX 72/20) erläutert hatte, die Bemerkung, dass die Reform zum 29.03.2017 nur eine punktuelle, zu zaghafte Nachjustierung bedeutet und daher die Reaktion der Rechtsprechung erforderlich gemacht habe. Sie hatten zuletzt bei kritischen Würdigungen des SanInsFoG und StaRUG und den letzten Änderungen durch den Rechtsausschuss bei einer Onlineveranstaltung der TMA Deutschland und auf dem Podium des Norddeutschen Insolvenzrechtstags ausgeführt, wie Gesetze entstehen und gemacht werden, dass es Interessen und Widerstände gibt, die nicht immer von Vernunft und fachlichen Erwägungen geleitet und getragen sind. Was ist Ihnen bei der Reform der Insolvenzanfechtung besonders in Erinnerung geblieben, das die mehr oder weniger zu kleine Reform aus Sicht Dietmar Grupps zu erklären hilft?
Hirte: Was ich immer wieder betont habe, galt auch bei dieser Reform: Neben den Fachkriterien ist für ein Gesetz ein Momentum erforderlich. Momentum heißt Druck und letztendlich Druck von den Betroffenen, die erklären, dass die jetzige Regelung nicht ausreicht. Es ist richtig, man hätte bei der Reform des Insolvenzanfechtungsrechts noch deutlicher und klarer werden können, aber gerade das, was der IX. Senat jetzt geäußert hat, zeigt auch das funktionierende Zusammenspiel zwischen der Rechtsprechung auf der einen Seite und der Gesetzgebung auf der anderen Seite. Für die Rechtsprechung ist es bedeutend einfacher, Dinge zu ändern, das sind im Senat fünf Personen und es betrifft den Einzelfall. Bei uns müssen viel mehr Köpfe bewegt und überzeugt werden. Auch wenn zunächst der Berichterstatter eine wichtige Rolle spielt, muss das zuständige Ministerium mitgenommen werden, weil es die Gesetzesentwürfe nochmals fachlich zu prüfen hat und der Entwurf die ganze Bundesregierung passieren muss. Das bedeutet, wenn an einer Stelle ein Ministerium Kritik äußert, bekommen wir als Parlament und Rechtspolitiker, selbst wenn wir einstimmig einer Meinung sind, nichts durch. Und bei der Insolvenzanfechtung waren in der vorletzten Legislaturperiode alle Rechtspolitiker zwar einer Meinung, aber ebenso umgekehrter Meinung war ein großer Teil der Finanzpolitiker, der Arbeits- und Sozialpolitiker und der Gesundheitspolitiker – auf diesem Feld befand sich die eigentliche Baustelle. Die Hauptfrage drehte sich nicht darum, ob wir etwas präzisieren müssen, sondern, dass diese Präzisierung gleichermaßen auch für alle Gläubiger stattfinden sollte. Jeder Textentwurf aus dem BMJV war vorher vor allem mit dem Finanzministerium abgestimmt worden, dann gab es wiederum Fußangeln, die uns als Rechtspolitiker nicht gefielen. Und am Ende blieb, das ist interessant und aufschlussreich, eine relativ einfache Reform übrig, die fast wörtlich dem entsprach, was ich ganz am Anfang der Legislaturperiode, sozusagen noch als »halber« Wissenschaftler, vorgelegt hatte – dieser Ursprungsgedanke kam also nach vielen Schleifen wieder zurück. Dass die Reform von 2017 aus heutiger Sicht als nicht ausreichend empfunden wird, beruhigt mich in einer gewissen Weise. Wir hatten damals das Gefühl, wir müssten zunächst die Richtung drehen. Der Senat in seiner damaligen Zusammensetzung hatte diese Richtungsänderung bereits als großen Affront empfunden, auch dass überhaupt der Gesetzgeber tätig werden wollte. Dass der Zug jetzt in eine andere Richtung rollt, dazu hat wohl auch ein personeller Wechsel im Senat beigetragen. So hat man im aktuellen Senat gezeigt: Wir können dieselbe Richtung auch und wir machen es noch besser als der Gesetzgeber. Das verdeutlicht auch, dass der Gesetzgeber nicht weiter handeln muss, ein weiteres Handeln ist somit nicht mehr nötig, die Sache steht.
Das Faktum übrigens, dass die Legislaturperiode endlich ist, hat unmittelbare Rückwirkung auf die gesamte politische Arbeit. Immer wieder – so bei der Insolvenzanfechtung wie auch beim SanInsFoG/StaRUG – spielte die Frage eine Rolle, ob wir noch eine Schlaufe drehen können. Das kann man eben nicht. Von der Diskontinuität des Bundestages geht die heilsame Wirkung aus, irgendwann zu Kompromissen gelangen zu müssen. (…)
Inhaltsverzeichnis
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Editorial |
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