26. November 2024. München. Die Zahl der Großinsolvenzen in Deutschland verharrt im dritten Quartal 2024 auf einem konstant hohen Niveau. Von Juli bis September mussten 45 Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 20 Millionen Euro Insolvenz anmelden, was nahezu dem Vorquartalswert von 46 entspricht und leicht unter dem Vorjahreszeitraum von 48 Anträgen liegt, so der Insolvenzreport der Unternehmensberatung Falkensteg.
Trotz der scheinbaren Stabilität bleibt die Situation angespannt. Im Vergleich zum Fünf-Jahres-Durchschnitt von 35 Insolvenzen pro Quartal liegt die aktuelle Zahl um 28 Prozent höher. Die Neunmonatszahlen unterstreichen diesen Trend mit einem Anstieg von 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr und sogar 27 Prozent im Fünfjahresvergleich.
Besonders betroffen waren im dritten Quartal Unternehmen mit einem Umsatz von über 100 Millionen Euro. In dieser Kategorie stieg die Zahl der Insolvenzen von neun auf 14.
Insolvenzen 2024: Rekordwert wird wieder erreicht
„Das Ampel-Aus hat ein Vakuum hinterlassen, während neue Hiobsbotschaften von Donald Trump Europa erreichen – eine Kombination, die das Verbrauchervertrauen in den freien Fall schickt“, so Studienautor Jonas Eckhardt. Ferner werden 2025 zusätzliche Belastungen, sei es durch die Erhöhung der CO₂-Steuer auf Kraftstoffe, steigende Versicherungsprämien oder zunehmende Energiekosten noch größere Löcher in die Haushaltskasse reißen. „Größere Anschaffungen? Fehlanzeige, denn es fehlt an Planungssicherheit. Stattdessen halten die Konsumenten ihr Geld lieber fest umklammert und auch die Unternehmen schieben ihre Investitionen auf die lange Bank. Es herrscht eine Atmosphäre des Abwartens“, erklärt Jonas Eckhardt.
Das könnte die ohnehin angespannte Situation für viele Zulieferer- und Handelsunternehmen weiter verschärfen. „Wir werden bei den Großinsolvenzen in diesem Jahr voraussichtlich den Rekordwert von 180 Fällen erreichen – ein Niveau, das wir zuletzt während der Coronakrise 2020 gesehen haben“, schätzt Restrukturierungsexperte Eckhardt.
Jede sechste Großinsolvenz ist ein Automotive-Zulieferer
Branchenspezifisch führen die Automobilzulieferer die Liste der Großinsolvenzen an. Mit zehn Fällen im dritten Quartal setzt sich der Trend des Vorquartals fort, in dem die Insolvenzen bereits von vier auf sechs gestiegen waren. Im bisherigen Jahresverlauf 2024 entfällt bereits jede sechste Großinsolvenz auf die Automobilzulieferindustrie. Auch die Metallwarenherstellung und die Immobilienbranche sind mit jeweils sechs Insolvenzen stark betroffen. Obwohl der Immobiliensektor im zweiten Quartal eine leichte Entspannung verzeichnete, kämpft die Branche weiterhin mit erheblichen Liquiditätsengpässen.
Die von den USA angekündigten Zollerhöhungen und die angestrebte Trendwende des US-Außenhandelsdefizites werden die Schlüsselbranchen Automobil- und Maschinenbau im nächsten Jahr hart treffen. „Die Exportnation Deutschland gerät in Verteidigungsposition und die Insolvenzen werden gerade in den exportstarken Branchen deutlich zunehmen. Verschärft wird die Situation durch das Fehlen einer klaren Außenwirtschaftsstrategie auf deutscher und europäischer Ebene. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, sind Innovationen und tiefgreifende Strukturreformen alternativlos. Aktuell bleiben Investitionen aufgrund der Verunsicherung und des engen regulatorischen Korsetts aus“, erklärt Jonas Eckhardt.
Positive Lösungen steigen wieder
Der Blick auf die Verfahrensausgänge zeigt im dritten Quartal 2024 ermutigende Trends. Die Zahl der Unternehmen, die erfolgreich aus der Insolvenz geführt werden konnten, ist auf 28 gestiegen, was einem Anstieg von drei Fällen gegenüber dem Vorquartal entspricht. Dabei wurden bei Verkäufen aus der Insolvenz und Insolvenzplanlösungen leichte Zuwächse verzeichnet.
Besonders erfreulich ist der deutliche Rückgang bei Verfahren, die mit einem endgültigen Aus drohen. Nur sechs Unternehmen stellten den Geschäftsbetrieb vorzeitig ein, verglichen mit neun im Vorquartal. Die Anzeigen über Masseunzulänglichkeit halbierten sich von sechs auf drei. Insgesamt haben im dritten Quartal 2024 nur neun Unternehmen geringe Überlebenschancen, was dem Fünfjahresdurchschnitt entspricht.
Die Rettungsquote für Unternehmen, die im vergangenen Jahr Insolvenz anmelden mussten, hat sich mit zeitlichem Voranschreiten verbessert. Ende September lag sie für die 2023-Insolvenzen bei 46 Prozent. Ende Juni betrug sie nur 38 Prozent. Besonders erfreulich ist die Entwicklung bei den Insolvenzen des laufenden Jahres: Die Rettungsquote für Insolvenzen aus dem Jahr 2024 beträgt bereits 18 Prozent, verglichen mit nur 13 Prozent im Vorjahreszeitraum.
Dr. Christian Wulff: Weihnachtsgeschäft wird verhalten
Das Weihnachtsgeschäft 2024 steht vor der Tür, doch die Hoffnung auf ein Fest für den Handel ist verhalten. Dr. Christian Wulff, Leiter Consumer Markets bei PwC Deutschland und EMEA, zeigt im Interview mit dem Insolvenzreport die Chancen für den Handel auf: Die Auswirkungen globaler Unsicherheiten auf das Konsumverhalten, die Rolle neuer Technologien und die Bedeutung des Datenmanagements werden den Geschäftserfolg stark beeinflussen. Ferner verlangen die vielfältigeren Kundenbedürfnisse eine passgenaue Nachfrageplanung.
Über den Insolvenzreport „5 nach 12“
Die Restrukturierungsberatung Falkensteg recherchiert für den Insolvenzreport alle drei Monate das Insolvenzgeschehen. Dazu werden Informationen des Insolvenz-Portals, der Creditreform, des Statistischen Bundesamtes sowie von Insolvenzverwaltern ausgewertet und mit eigenen Analysen ergänzt. Während andere Statistiken die eröffneten Insolvenzverfahren auswerten, konzentriert sich der Insolvenzreport auf den früheren Zeitpunkt der Insolvenzanmeldung. Durchschnittlich liegt zwischen der Anmeldung und der Eröffnung ein Zeitraum von zwei bis drei Monaten. Damit dient der Insolvenzreport als Frühindikator bei den Großinsolvenzen.