Titel | INDat Report 09_2025 | November 2025

Insolvenzgeld, nachhaltige Sanierung und Sanierungsabsicht

Vertrackte Spurensuche zur Sanierung

Mit einigen prominenten Insolvenzfällen der jüngeren Zeit verbindet sich die Beobachtung, dass frühere, manchmal nur wenige Jahre oder sogar Monate zurückliegende Insolvenzverfahren desselben Rechtsträgers offenbar keine nachhaltigen Sanierungen bewirken konnten. Sie hat Kritik am System des deutschen Insolvenzrechts und insbesondere am Insolvenzgeld und seiner Vor­-
fi­nanzierung provoziert. Hier gebe es Fehlanreize, die durch eine grundlegende Reform und eine Umstellung auf selektiv zu verteilende Massedarlehen korrigiert werden müssten. Diese Kritik steht in einer Tradition, die sich auch auf Schumpeters Konzept der schöpferischen Zerstörung berufen kann, das mit den jüngst vergebenen Wirtschaftsnobelpreisen in Erinnerung gerufen wurde.
Es müsse angesichts der massiven staatlichen Interventionen im Gefolge gesundheitlicher oder geopolitischer Krisen eine Rückkehr
zu Prinzipien geben, die nicht auf kurzfristige Konservierungsversuche, sondern auf nachhaltige Strukturveränderung abzielten.

 Text: Rechtsanwalt Dr. Daniel Bergner*

 * Daniel Bergner ist Geschäftsführer des Verbands Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e. V. (VID). Der Beitrag stellt seine persönliche Meinung dar. Er dankt RA vBP Michael Bremen und RA Dr. Robert Hänel für ihre Anregungen und kritischen Hinweise.

 Insolvenzgeld in der Kritik

Am deutschen Insolvenzgeld wurde bereits vor 20 Jahren Kritik geübt. Wenige Jahre nach Beginn des neuen Jahrtausends hatten hohe Insolvenzzahlen, die deutlich über dem aktuell als »Pleiterekord« beklagten Niveau lagen, die Kritik großer Wirtschaftsverbände ausgelöst. Man bezweifelte, ob die hohen Kosten des durch Umlagen finanzierten Systems in einem angemessenen Verhältnis zu den Ergebnissen beim Erhalt von Arbeitsplätzen stünden. Eine umfangreiche Studie der Prognos AG, die im Auftrag des BMAS erstellt wurde, kam damals zu dem Ergebnis, dass die Wirkungen der Vorfinanzierung von Arbeitsentgelten in der Insolvenzgeldversicherung einen positiven Einfluss auf den Erhalt von Arbeitsplätzen hatten. Die Studie (a. a. O., S. 71) weist aber auch darauf hin, dass Insolvenzgeldvorfinanzierungen im Untersuchungsjahr 2003 nur in einem vergleichsweise kleinen Teil der Insolvenzfälle durchgeführt wurden:

»Aus den Unterlagen der Agenturen für Arbeit ergibt sich, dass im Jahr 2003 von den zusammen 42.934 Insolvenzereignissen im engeren Sinne (nur Insolvenzverfahren, ohne Betriebsstilllegungen ohne Insolvenzverfahren) nur bei 3277 Fällen oder 7,6 % der Fälle das Insolvenzgeld vorfinanziert worden war, bei 39.657  Fällen wurde Insolvenzgeld gezahlt, ohne dass es zu einer Vorfinanzierung kam. Dass die Vorfinanzierung in der fachlichen wie in der politischen Diskussion große Aufmerksamkeit erfährt, obwohl es sich um geringe Fallzahlen handelt, erklärt sich wohl daraus, dass es sich bei den Fällen mit Vorfinanzierung überwiegend um größere Unternehmen handelt.«

An diesem Befund hat sich bis heute wenig verändert. Dies belegen die Zahlen der aktuellen Insolvenzstatistik. Sie weist (vgl. Tabelle 1.5.) für die im Jahr 2013 eröffneten und bis zum 31.12.2020 beendeten Insolvenzverfahren ähnliche Zahlen aus. Bei insgesamt 15.573 Verfahren wurden nur 1004 mit einer Vorfinanzierung von Insolvenzgeld registriert. Dabei ist die positive Wirkung der Vorfinanzierung auf die Sanierungsaussichten auf den ersten Blick nicht zu übersehen. Von den Fällen mit einer Vorfinanzierung werden ­­

444 als saniert ausgewiesen, während auf die 14.499 Fälle ohne Vorfinanzierung insgesamt nur 422 Sanierungen entfallen. Hier wird man aber bei einem zweiten Blick sofort wieder auf den auch von der Prognos AG betonten Zusammenhang zwischen Vorfinanzierung und größeren Fällen aufmerksam. In den Fällen mit einer Vorfinanzierung wurden insgesamt 17.423 Arbeitsplätze erhalten, während in den Fällen ohne Vorfinanzierung nur 5.236 erhaltene Arbeitsplätze verzeichnet wurden.

Es sind bis heute überwiegend Fälle größerer Unternehmen, in denen eine Insolvenzgeldvorfinanzierung durchgeführt wird. Wer daraus allerdings ableiten möchte, dass eine Sanierung in diesen Fällen insgesamt wahrscheinlicher und deshalb eine solche Hilfe eigentlich nicht notwendig sei, der greift zu kurz. Er übersieht nämlich die im Fall größerer Unternehmen statistisch ebenfalls evidente größere Resilienz gegenüber Wirtschaftskrisen. Sie führt dazu, dass eine Häufung größerer Fälle nur dann eintritt, wenn größere exogene Krisenfaktoren einwirken. Pandemie, verändertes Konsumverhalten, Klimawandel, Digitalisierung, Handelskriege und kriegsbedingt höhere Energiekosten wirken zwar nicht alle mit der gleichen schock­artigen Intensität auf die Unternehmen ein. Sie können aber in ihrem Zusammenwirken eine im Normalzustand schöpferische Zerstörung zu einer gesamtwirtschaftlich untragbaren Intensität steigern. Dieser Umstand kann aber keine Absolution für einen leichtfertigen Einsatz der Insolvenzgeldvorfinanzierung sein. Sie sollte das in sie gesetzte Vertrauen idealerweise durch die Ermöglichung nachhal­tiger Sanierungsergebnisse rechtfertigen, zumindest aber durch Vorteile gegenüber den Alternativszenarien.

(…)

Inhalt

Die kommende Ausgabe INDat Report 10_2025 erscheint am 17.12.2025.

Am 26.11.2025 ist Anzeigenschluss, alle weiteren Termine finden Sie auf www.der-indat.de.

Aktuelle Ausgabe: 06.11.2025
Umfang: 100 Seiten

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