Hintergrund

Langversion des Kongressberichts zum Thüringer Tag für Insolvenzrecht und Sanierung aus INDat Report 09_2023, S. 68–70

An Digitalisierung und KI führt kein Weg vorbei

Erfurt. Zum 11. Thüringer Tag für Insolvenzrecht und Sanierung am 18.10.2023 fanden sich im Erfurter Steigerwaldstadion circa 150 Teilnehmer zum Austausch über aktuelle Entwicklungen rund um die Themen Insolvenzrecht, Sanierung, Veränderung der Organe der Rechtspflege und aktuelle Rechtsprechung ein. In bewährter Weise moderiert durch die Veranstalter, RA Dirk Götze und RA Marcello Di Stefano, standen die Rechtsprechung des IX. Zivilsenats, steuerliche Risiken in Restrukturierung und Insolvenz, Refinanzierungsoptionen nach Auslaufen von Corona-Hilfsmaßnahmen, die Probleme gesellschafterbesicherter Darlehen in der Insolvenz, die Haftungsminimierung in der insolvenzrechtlichen Praxis sowie die gegenwärtig überaus kontrovers diskutierte Frage, wie KI die Insolvenzverwaltung revolutionieren wird, auf der Agenda.

Text: Steffen Körner

Zum Auftakt des Kongresses übergab RA Dirk Götze das Wort an die Ministerin für Migration, Justiz und Verbraucherschutz des Freistaates Thüringen, Doreen Denstädt. Die Ministerin wünschte dem 11. Thüringer Insolvenzrechtstag viel Erfolg. Sie verwies darauf, dass sie sich – obgleich sie keine Juristin ist – sehr für den Bereich Sanierung und Insolvenz interessiert und die aktuelle Entwicklung bei der Harmonisierung der nationalen insolvenzrechtlichen Verfahrensordnungen genau verfolgt. Denstädt erwähnte dabei ausdrücklich die geplanten Neuregelungen zum Anfechtungsrecht, zum Pre-pack-Verfahren sowie zum aus ihrer Sicht nicht unproblematischen verwalterlosen Insolvenzverfahren.

Bei schönstem Herbstwetter im lichtdurchfluteten Saal des Steigerwaldstadions bildete der Vortrag von Prof. Dr. Heinrich Schoppmeyer, Vorsitzender Richter am BGH, über die aktuelle Rechtsprechung des IX. Zivilsenats den standesgemäßen Beginn. Schoppmeyer hatte eine reichhaltige Auswahl an ebenso wichtigen wie komplexen Themen im Gepäck, mit denen sich der IX. Zivilsenat zuletzt auseinandersetzen musste. Besonders hervorzuheben sind hier die Entscheidungen zur Verjährung von Ansprüchen aus Insolvenzanfechtungen (IX ZR 138/21), zu Musterfeststellungsklagen im Insolvenzverfahren (IX ZR 99/22) sowie zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte in Insolvenzverfahren vor dem Hintergrund des COMI (IX ZB 35/22).

Bezüglich der Verjährung von Anfechtungsansprüchen verweist der BGH darauf, dass der Verjährungsbeginn nach § 199 Abs. 1 BGB mindestens grob fahrlässige Unkenntnis von den die Ansprüche begründenden Umständen voraussetzt. Diese liege dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder dasjenige nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Dabei müsse dem Gläubiger ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorzuwerfen sein. Allerdings bestehe grundsätzlich keine Nachforschungs- oder Ermittlungspflicht des Gläubigers.

Hier stelle sich die Frage, welche Bedeutung die Ermittlungspflicht des Insolvenzverwalters bezüglich der Anfechtungsansprüche hat. Der IX. Zivilsenat stellte dabei fest: Die Verletzung der Ermittlungspflicht ist nicht gleichbedeutend mit grob fahrlässiger Unkenntnis. Bei der Anfechtung eines Zahlungsvorgangs ist die grobe Fahrlässigkeit in zweifacher Hinsicht zu prüfen, nämlich auf die grob fahrlässige Unkenntnis des Zahlungsvorgangs selbst und die grob fahrlässige Unkenntnis der die Anfechtbarkeit des Zahlungsvorgangs begründenden Umstände.

Aus der Entscheidung des BGH bleibt daher festzuhalten: Der Insolvenzverwalter hat die ihm bekannten Konten der Hausbank des Schuldners innerhalb eines angemessenen Zeitraums darauf zu überprüfen, ob ihm die Kontounterlagen vollständig vorliegen und ob sie Anhaltspunkte für anfechtungsrelevante Vorgänge enthalten. Eine grob fahrlässige Unkenntnis der tatsächlichen Voraussetzungen eines Insolvenzanfechtungsanspruchs setzt dabei voraus, dass der Verwalter seine Ermittlungspflichten in besonders schwerer, auch subjektiv vorwerfbarer Weise vernachlässigt hat.

Hinsichtlich eines in den Dreimonatszeitraum der Deckungsanfechtung fallenden Anfechtungstatbestands liegt regelmäßig dann grob fahrlässige Unkenntnis vor, wenn der Insolvenzverwalter die Überprüfung der ihm bekannten, von der Hausbank des Schuldners geführten Konten für mehr als drei Jahre ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterlässt und sich ihm aufgrund der aus den Kontounterlagen erkennbaren Zahlungsvorgänge und der ihm bekannten sonstigen Tatsachen weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen.

Das relativ neue Thema der Musterfeststellungsklagen im Insolvenzverfahren hat sowohl einen passiven als auch aktiven Aspekt, nämlich ob eine Musterfeststellungsklage gegen den Insolvenzverwalter zulässig ist und ob der Insolvenzverwalter aktiv eine solche führen kann. Dazu musste der BGH herausarbeiten, welche Umstände ggf. grundsätzlich einer Musterfeststellungsklage entgegenstehen. Da Musterfeststellungsklagen gem. § 606 Abs. 1 ZPO nur gegen Unternehmer möglich sind, ist es unerheblich, ob der Insolvenzverwalter als Unternehmer anzusehen ist. Wesentlich dagegen ist, dass die Schuldnerin Unternehmer war und die Ansprüche aus der unternehmerischen Tätigkeit der Schuldnerin stammen. Die Frage, ob insolvenzrechtliche Bestimmungen der Musterfeststellungsklage grundsätzlich entgegenstehen, verneint der BGH und verweist darauf, dass eine Musterfeststellungsklage gegen den Insolvenzverwalter erhoben werden kann, auch wenn dieser das Unternehmen nicht fortführt. Insolvenzrechtliche Bestimmungen stehen einer Musterfeststellungsklage jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Feststellungsziele sich ausschließlich auf Aktivprozesse der Masse beziehen. Auch Musterfeststellungsklagen bei Aufrechnung seien zulässig, da keine Beschränkung auf bestimmte Rechtsbereiche bestehe. Offen bleibe dagegen, ob Musterfeststellungsklagen zulässig sind, wenn der Streitgegenstand Insolvenzforderungen (§§ 38 f., 174 ff. InsO) sind.

Das weite Feld der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte kann grundsätzlich nur im europäischen Kontext verstanden und entschieden werden. Vor diesem Hintergrund sprach Schoppmeyer über das Vorabentscheidungsersuchen des BGH hinsichtlich der Frage, nach welchen Kriterien der sog. Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners zu bestimmen ist. Insbesondere ist die Frage dann von Bedeutung, wenn der Schuldner kein Unternehmer ist. Der IX. Zivilsenat hatte dazu die folgenden Überlegungen angestellt: Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte richtet sich nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, unabhängig davon, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten betroffen sind. Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners ist der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist. Das setzt die Feststellung der entsprechenden Tatsachen voraus. Dazu können jedoch Vermutungen getroffen werden. Die zulässige Vermutung für Gesellschaften und jur. Personen ist ihr Sitz. Für nat. Personen, die eine selbstständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausüben, ist es der Ort, an dem der Schuldner seine Hauptniederlassung hat. Fehlt jedoch eine Niederlassung i. S. d. Art. 2 Nr. 10 EuInsVO, stellt sich die Frage, ob dann der Ort genügt, an dem die selbstständige Tätigkeit ausgeübt wird. Jedenfalls ist unstrittig, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen für Dritte feststellbar sein soll. Für eine nat. Person ist der gewöhnliche Aufenthalt maßgeblich. Dabei stellt sich die weitere Frage, ob dies auch für nat. Personen gilt, die eine selbstständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausüben und weder eine Niederlassung haben noch ein Ort festgestellt werden kann, an dem sie ihre Tätigkeit ausüben. Man darf auf die noch ausstehende Entscheidung des EuGH zu diesen Fragen gespannt sein.

Nach der Kaffeepause erwartete die gestärkten und wieder bei 100 % Aufnahmefähigkeit angelangten Teilnehmer im großen Saal ein Vortrag von RA Prof. Jens Schmittmann (FOM Hochschule für Oekonomie und Management) über die „Steuerlichen Risiken in Restrukturierung und Insolvenz für Berater und Verwalter“. Die maximale Aufmerksamkeit war auch nötig, denn steuerliche Themen sind – zumindest in Deutschland – mitunter recht schwere Kost. Allerdings gibt es wohl nur wenige Steuerexperten, die die komplexe Materie auch für den steuerlichen Laien so verständlich und gleichzeitig spannend vortragen können wie Schmittmann. Die Präsentation war systematisch gegliedert in die steuerlichen Risiken des Insolvenzverwalters und Beraters, soweit sie das Verfahrens-, Einkommensteuer-, Umsatzsteuer-, Steuerstraf- und Strafrecht sowie das Insolvenzverfahren selbst oder die vorinsolvenzliche Beratungspraxis betreffen. Die schiere Fülle des vorgetragenen Materials ermöglicht es leider nicht, alle Themen auch ihrer Relevanz entsprechend zu rekapitulieren. Um das Problem in Zahlen zu veranschaulichen, wies der Referent auf den Rechtsrahmen hin, aus dem sich die maßgeblichen steuerlichen Risiken ableiten. Es sind dies insbesondere die betreffenden Paragrafen der Insolvenzordnung (i. W. §§ 55 Abs. 4, 155) und der Abgabenordnung (§§ 34, 69, 191, 251) sowie schätzungsweise 100 bis 150 Entscheidungen der höchsten Gerichte (EuGH, BGH, BFH). Daher werde hier nur beispielhaft auf einige Kernthemen eingegangen.

Im Verfahrensrecht stellen die Stellung des Insolvenzverwalters und die Anordnungen des Insolvenzgerichts den rechtlichen Rahmen her. Ist der Insolvenzverwalter ein sog. starker Insolvenzverwalter, so ist seine Stellung gleichbedeutend mit der eines Vermögensverwalters, woraus grundsätzlich seine Strafbarkeit wegen Steuerstraftaten folgt. Häufig stiefmütterlich behandelt werde die Tatsache, dass die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärungen der Schuldnerin ab Eröffnung für die Zeiträume bis zur Anordnung der Sicherungsmaßnahmen sowie des vorläufigen und des eröffneten Insolvenzverfahrens beim Insolvenzverwalter (in der Eigenverwaltung beim Organ) liegt. Von besonderer Bedeutung sei auch, dass die Pflicht zur Abgabe der Einkommensteuererklärung nach Anordnung der Insolvenz in Eigenverwaltung nicht durch die Anzeige der Masseunzulänglichkeit entfällt. Hinsichtlich der Abgrenzung der Steuerpflicht wies der Referent darauf hin, dass die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und sonstigen Masseverbindlichkeiten sich ausschließlich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung (vgl. ständige BFH-Rechtsprechung) richtet. Eine Steuerforderung ist insolvenzrechtlich in dem Zeitpunkt begründet, zu dem der Besteuerungstatbestand vollständig verwirklicht ist.

Weiteres Thema waren die Rechtsfolgen eines Restrukturierungsplans, die u. a. den Wegfall von Verbindlichkeiten – also eine Gewinnerhöhung – und den Verlust von Forderungen – das bedeutet Aufwand – darstellen. Es sei wichtig zu berücksichtigen, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung gem. der Regelung des § 3 a EStG zum Sanierungsertrag die Sanierungsbedürftigkeit, Sanierungsfähigkeit und Sanierungseignung sind, wobei Sanierung bestimmt ist als eine Maßnahme, die darauf gerichtet ist, die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zu verhindern oder zu beseitigen und zugleich die wesentlichen Betriebsstrukturen zu erhalten (§ 8 c Abs. 1 a Satz 2 KStG).

Spannend für die Teilnehmer war auch der Hinweis zu den immer wieder auftretenden Haftungs- und Nachforderungsbescheiden nach Abschluss eines Insolvenzplanverfahrens. Denn wird das Insolvenzverfahren nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans aufgehoben, kann das Finanzamt Lohnsteuer, die es nicht zur Insolvenztabelle angemeldet hat, als Nachzügler im Wege eines Haftungs- und Nachforderungsbescheids innerhalb der Frist des § 259 b InsO festsetzen. Dabei ist dem Finanzamt kein Verschulden an der Nichtanmeldung von Steuer- und Haftungsansprüchen zur Insolvenztabelle anzulasten, wenn es die Kenntnis vom Bestehen der Ansprüche erst nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans infolge einer Lohnsteueraußenprüfung erlangt. Die (teilweise) Befreiung des Insolvenzschuldners von seinen Verbindlichkeiten durch den Insolvenzplan berührt nur die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis, weshalb das Finanzamt bei deren Festsetzung nicht auf die Insolvenzquote beschränkt ist.

Auch im Umsatzsteuerrecht gibt es Fallstricke, die in den zahlreichen Sonderfällen der Einordnung von Umsatzsteuerverbindlichkeiten liegen. Beispielhaft seien genannt die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen mit Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, die ihn zur sog. doppelten Korrektur der Umsatzsteuer beim Forderungseinzug verpflichtet, die Geltendmachung von insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähransprüchen, die den Verwalter verpflichten, zum Zeitpunkt der Rückzahlung den Vorsteuerabzug gem. § 17 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu berichtigen, oder die Aufhebung des Insolvenzverfahrens, in deren Zuge der Verwalter die Vorsteuer aus der Befriedigung von Insolvenzforderungen geltend macht, was nur möglich ist, wenn zuvor eine Vorsteuerkürzung gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 UStG erfolgte („erste Berichtigung“) und der entsprechende Betrag auch tatsächlich an das Finanzamt abgeführt wurde.

Strafrechtlich relevant ist in jedem Fall die Buchführungspflicht bzw. deren Verletzung, die gem. § 283 b StGB mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet wird. Das betrifft auch den Insolvenzverwalter, sofern er es unterlässt, Handelsbücher zu führen, oder diese so führt oder verändert, dass die Übersicht über seinen Vermögensstand erschwert wird, oder – mit eben diesen Folgen – die Handelsbücher vor Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfristen beiseiteschafft, verheimlicht, zerstört oder beschädigt.

Parallel zur Hauptveranstaltung startete zum gleichen Zeitpunkt im kleinen Saal ein von Prof. Ulrich Keller, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, geleiteter Workshop für Richter, Rechtspfleger und Insolvenzsachbearbeiter zu aktuellen Themen im Insolvenzrecht und aus den Verfahren der nat. Personen/Verbraucher.

RA Thomas Mulansky (Mulansky + Kollegen Rechtsanwälte) referierte im Anschluss zum Thema „Gesellschafterbesicherte Darlehen in der Insolvenz“. Anhand von zahlreichen Einzelfällen aus den Themengebieten Doppelsicherheit, Doppeldarlehen, Gesellschaftersicherheit, Vererbung und Verjährung zog er den Schluss, dass die Rechtslage bei der Materie der gesellschafterbesicherten Drittdarlehen trotz hoher praktischer Relevanz kompliziert und unübersichtlich ist und vom Gesetzgeber auch weiterhin wenig überzeugend gelöst wird. Auch ist einzelfallübergreifend zu kritisieren, dass keine hinreichenden Verbesserungen des Gläubigerschutzes im Bereich der Gesellschafterdarlehen erzielt wurden. Das Fazit von Mulansky zu den Risiken und Folgen der gesellschafterbesicherten Darlehen lautet: Die getroffenen Regelungen sind häufig missverständlich formuliert, einheitliche und vollständige Regelungen sind nicht vorzufinden. Die Materie ist geprägt von Einzelfallentscheidungen. Es ist zwar eine Grundtendenz der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu konstatieren, die auf eine unter allen Umständen vorrangige Haftung der Gesellschaftersicherheit hinausläuft. Im Ergebnis ist jedoch nur das Verhältnis Gesellschaft – Gesellschafter betroffen, dagegen existiert keine Beschränkung der Drittgläubiger gegenüber der Gesellschaft.  

Nach der Mittagspause bot ein Stammgast des Thüringer Insolvenzrechtstags, RA Prof. Dr. Volker Römermann (Römermann Insolvenzverwalter Rechtsanwaltsgesellschaft mbH), seinen Vortrag zum Thema „Wie künstliche Intelligenz die Insolvenzverwaltung revolutionieren wird“. Jeder, der die teilweise kontrovers geführte Diskussion der letzten Monate in den einschlägigen Medien aufmerksam verfolgt hatte, durfte gespannt sein, welche Vision – für andere sind es möglicherweise eher Schreckensszenarien – Römermann präsentieren würde. In ebenso faktenreicher wie unterhaltsamer Manier – Römermann war bekanntlich nicht ohne Grund auch Präsident der German Speakers Association – trug er zu den Themenbereichen „Zukunft des Rechtsdienstleistungsmarkts“, „rechtlicher Rahmen“ und „KI in der Insolvenzverwaltung“ vor. Eingangs seines Vortrags überraschte Römermann das Auditorium mit einem Video, dass scheinbar die Zukunft des Menschen im Umgang mit Androiden im Alltag zeigt, sich aber im weiteren Verlauf als ein Werbevideo für Sexpuppen herausstellte. Welche Absicht lag wohl dahinter? Römermann wollte mit dem Vorurteil aufräumen, dass der Rechtsdienstleistungsmarkt auch deshalb vor der KI gefeit ist, weil Mandanten den Rechtsanwalt wegen dessen Empathie aufsuchen, sich ihre Entscheidung für einen Rechtsbeistand also grundsätzlich am Anwalt als Menschen orientiert. Dies basiert – wie die nach landläufigen Kriterien außerordentlich empathische Sexpuppe im Video vor Augen geführt hat – offensichtlich auf einer ganzen Reihe von falschen Annahmen. Darunter die, dass auch Mandanten der „Roblox-Generation“ noch gern und oft zu Anwälten kommen wollen. Wollten sie das eigentlich früher tatsächlich? Und war das, was sie dort suchten, tatsächlich das Recht oder doch eher der eigene materielle Vorteil? Menschliche Empathie wird zuweilen noch als Motiv erhofft, auch wenn es von Realisten zumindest für naiv gehalten wird.

Wie die Arbeitswelt im Allgemeinen und der Rechtsdienstleistungsmarkt im Besonderen im Jahr 2033 aussehen werden, erklärte Römermann im Anschluss anhand zahlreicher Beispiele. Die Pandemie als äußerer Zwang hat bereits dafür gesorgt, dass heute Telefon- und Videokonferenzen selbstverständlich sind. Smartphones und mobile Computer lösen immer mehr den persönlichen Kontakt ab. Wir „treffen“ uns mit anderen Menschen in virtuellen Räumen, in die sie sich von einem anderen Teil der Welt zuschalten. Wir arbeiten im Metaversum zusammen. Das noch relativ umständliche Hilfsmittel VR-Brille wird bald durch interaktive Kontaktlinsen ersetzt, in die eine Projektionsfläche integriert ist. Bei Gesprächen mit Kollegen oder Kunden aus einem anderen Sprachraum werden Untertitel automatisch auf dieser Linse eingeblendet oder das Gespräch wird gleich simultan in Audio übersetzt.

Die Aktenführung werde in Gerichtsfällen einer bei Gericht eingerichteten zentralen Serviceeinheit überlassen, die Dokumente sammelt, aufbewahrt und allen Verfahrensbeteiligten verfügbar macht. Notare würden durch Blockchain ersetzt, das sei fälschungssicherer und weniger fehleranfällig. Es werde eine deutlich stärkere Orientierung an standardisierten Prozessen geben und das Qualitätsmanagement bei der Abwicklung von Insolvenzverfahren und der Beratung werde an Bedeutung gewinnen. Es gebe eine Renaissance der Zertifizierung. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass die Unausweichlichkeit, mit der die KI im Rechtswesen Einzug halten wird, maßgeblich durch die Ökonomie begründet ist. Die Rechtsfälle in unserer immer komplexeren Welt würden immer zahlreicher und der damit im Zusammenhang stehende Aufwand wachse nicht linear, sondern geometrisch. Gleichzeitig nehme der Mangel an Fachpersonal absehbar weiter zu. Als Folge dessen stapelten sich bei vielen Gerichten auf nahezu allen Rechtsgebieten bereits heute die Fälle und bei vielen, selbst Kapitalverbrechen, drohe Verjährung. Insofern sei die Frage berechtigt, so Römermann, wie das alles künftig mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln und Ressourcen bewältigt werden soll.

In der Folge begründete der Referent detailreich, warum kaum ein Bereich des Rechtsdienstleistungsmarkts künftig ohne KI auskommen wird und wie dies im Einzelnen umgesetzt werden könnte. So stehe die Frage im Raum, wie sich der Markt der digitalen Rechtsdienstleister entwickeln wird. Nach der Entscheidung des BGH (v. 09.09.2021 – ZR 113/20 – „Smart Law“), dass rein maschinelle Rechtsberatung nicht unter das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) fällt, haben zahlreiche Marktteilnehmer, insbesondere Rechtsschutzversicherungen, ihre Arbeit an derartigen Systemen massiv forciert. Es sei ein Fakt, dass die Anwaltshaftung immer weiter um sich greift. Äußerungen von Anwälten per Video seien gut dokumentiert. Es werde damit zum Haftungsrisiko, Mandate von Menschen bearbeiten zu lassen, da sie im Wissen und in der Geschwindigkeit KI-Systemen deutlich unterlegen seien. Juristische Analysen würden daher künftig weitgehend der Software überlassen. Sie finde leichter und schneller Präzedenzentscheidungen. Die Frage dahinter: Nähert sich Kontinentaleuropa dadurch faktisch dem Case Law an?

Die großen Internetkonzerne wie PayPal oder Amazon verfügten bereits über eigene, effiziente Konfliktlösungsinstrumente, die Einschaltung staatlicher Gerichte bei Streitfällen sinkt immer weiter. Investoren ermöglichten Forderungskauf in großem Stil. Mandanten klagten häufig nicht mehr selbst, sondern träten ihre Ansprüche ab, auch an Rechtsanwaltskanzleien, die dann vielleicht gar nicht mehr so hießen. Das Recht werde weiter kapitalisiert, dadurch werde eine flächendeckende Rechtsverfolgung möglich. Rechtsschutzversicherungen beobachteten den Markt und böten Versicherungsnehmern aktiv die Geltendmachung von neu erkannten Ansprüchen an. Alternative Honorarstrukturen nähmen zu, das Erfolgshonorar nehme einen höheren Stellenwert ein. Welche Auswirkungen werden Digitalisierung und KI auf die Honorarstruktur haben? Bei Massenprozessen sei das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz offensichtlich unangemessen. Was wird in diesem Kontext aus der InsVV?

Im Anschluss an diese Fragen und Prognosen berichtete Römermann von einer Reihe von Erscheinungen, die zeigen, dass die Zukunft des Rechtsmarkts längst begonnen hat. In China wurde schon vor Jahren mit Software experimentiert, die für einige Tatbestände die Anklage als Staatsanwaltschaft übernahm. Auch die Aufgaben von Richtern werden teilweise von KI-Systemen übernommen. Mehrere deutsche Gerichte versuchten sich bereits in der Praxis am Einsatz von KI. So arbeite das Programm OLGA für die „Dieselverfahren“. Es sei in der Lage, Tenor, Tatbestand, Anträge usw. zu erkennen, einen Text zu durchsuchen und zu gewichten. OLGA analysiere das erstinstanzliche Urteil, die Berufungsbegründung sowie die Berufungserwiderung und durchsuche sie auf von Richtern zuvor festgelegte Parameter, etwa Fahrzeug- und Motortyp, Kilometerstand oder Kaufpreis. Anschließend ordne es den Sachverhalt anhand dieser Parameter den Fallgruppen zu, die die Rechtsprechung des OLG Stuttgart abbilden.

Das KI-System FRAUKE (Frankfurter Urteils-Konfigurator Elektronisch) unterstütze bei gleich gelagerten Fällen mit Textbausteinen und Vorschlägen. Besonders für Masseverfahren wie Fluggastklagen sei es hervorragend geeignet. Ein anderes System sei FRIDA (Frankfurter Regelbasierte Intelligente Dokumentenerstellungs-Assistenz). Es lese relevante Daten aus Akten, automatisiere Entwürfe von Protokollen, Urteilen und Beschlüssen und werde insbesondere bei Verkehrsordnungswidrigkeiten eingesetzt. Die Folgen der Digitalisierung für die Transparenz und Öffentlichkeit der Justiz seien absehbar: Der Entwurf des Hauptverhandlungsdokumentationsgesetzes sehe vor, dass die Dokumentation der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vor dem LG und OLG durch eine Tonaufzeichnung erfolgt, welche automatisch transkribiert wird. Die Verfahrensbeteiligten sollen noch während des laufenden Verhandlungstags oder unverzüglich danach Zugang zur Aufzeichnung bzw. zu dem Transkript erhalten. Bücher und Entscheidungen würden künftig nur noch digital zugänglich sein. Alle Urteile würden publiziert. Personalisierte Urteilsanalysen erlaubten treffsicherere Prognosen. Die frühere Zielsetzung der Präsenz bei Gericht werde zunehmend obsolet, da grundsätzlich Videoverhandlungen stattfinden können (vgl. § 128 a ZPO).

Um KI in der Insolvenzverwaltung erfolgreich einzusetzen, müssten allerdings einige wichtige Voraussetzungen erst noch geschaffen werden. Dies seien insbesondere die Anpassung der Unternehmensstrukturen, die Schaffung klarer Richtlinien für den Einsatz von KI, sowohl gesetzlich als auch im Unternehmen selbst, der Aufbau der Infrastruktur, die den Einsatz von KI ermöglicht, und die geeigneten KI-Modelle, die auf Insolvenzverwaltung zugeschnitten sind, sowie – last, but not least – natürlich das nötige Kapital. In eindrucksvollen Worten und Bildern machte Römermann unmissverständlich klar, dass an der Digitalisierung und dem verbreiteten Einsatz von KI auch im Rechtswesen kein Weg vorbeiführt – ob es dem Einzelnen gefällt oder nicht. Natürlich werde auch diese Entwicklung eine Reihe ganz neuer Fragen aufwerfen, die das Wesen unseres Rechtssystems betreffen. Wenn viele Abläufe von einer KI autonom gesteuert, Kläger und Beklagte von KI betreut und möglicherweise sogar Verfahren von ihr entschieden werden, worin bestehen dann im Kern die Organe der Rechtspflege? Wer sind die vertragschließenden Parteien? Wer ist schadenersatzpflichtig, wenn keine nat. Person verantwortlich ist? Einige Teilnehmer äußerten im Anschluss die Hoffnung, zum Thüringer Tag für Insolvenzrecht und Sanierung 2033 sowohl diese Fragen als auch deren dann möglicherweise sichtbaren Konsequenzen mit Römermann diskutieren zu können.

Im Anschluss an diese aufrüttelnde Präsentation hatte es RAin Dr. Kirsten Schümann-Kleber LL. M. (Görg Rechtsanwälte) zugegebenermaßen nicht leicht, die Aufmerksamkeit des Auditoriums auf das deutlich sach- und gegenwartsbezogenere Thema „Refinanzierungsoptionen nach Auslaufen von Corona-Hilfsmaßnahmen“ zu lenken. Dem Themenkomplex entsprechend begann sie mit einem Rückblick auf die allen in mehrerer Hinsicht nicht in positiver Erinnerung gebliebene Zeit der Corona-Pandemie. Sie schilderte noch einmal die gravierenden Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Finanzierungslandschaft, aus denen sich die dringende Notwendigkeit breiter staatlicher Unterstützungsmaßnahmen zur Überwindung von Corona-bedingten, temporären Liquiditäts- und Insolvenzproblemen ergab. Die circa 130 Mrd. Euro, die in diesem Kontext in Anspruch genommen wurden, verteilten sich auf (nicht rückzahlbare) Zuschüsse, Bürgschaften und KfW-Darlehen sowie Mittel aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Neben prominenten Beispielen wie der Lufthansa und TUI profitierten davon zahlreiche große, kleine und mittelständische Unternehmen sowie Handwerker, Gewerbetreibende und Freiberufler. Heute stünden diese Begünstigten vor verschiedenen Problemen, die direkt oder indirekt aus der Inanspruchnahme dieser Mittel resultierten. Dies seien insbesondere die Herausforderungen durch Schlusskalkulationen (Thema „Überkompensation“), das Einsetzen der Regeltilgungen ab März/April 2022 bei vielen Darlehen aufgrund zweier tilgungsfreier Jahre sowie die mit einer – sofern überhaupt möglichen – Prolongation einhergehende spürbare Zinserhöhung. Darüber hinaus bestünden Umstände, die aus den unterschiedlichen Regelungen der einzelnen Bundesländer resultieren. Dazu geselle sich ein ganzes Bündel neuer Herausforderungen, darunter die Zäsur bei vielen bisher erfolgreichen Geschäftsmodellen, die neuen Anforderungen an Environmental, Social and Governance, grundsätzliche Probleme einer nach den Corona-Maßnahmen hohen Verschuldungsrate und der Zinsanstieg. Übergreifend treten branchen- und rechtsspezifische Herausforderungen (u. a. die Krisenfrüherkennung und -bewältigung), verschärfte Kreditstandards der Geschäftsbanken und – nicht zu unterschätzen – eine neue Qualität der Cyber-Risiken hinzu.

Die Restrukturierung von Corona-Maßnahmen stehe daraus resultierend vor einer Reihe von speziellen, in dieser Form bisher noch nicht aufgetretenen Problemen. Dazu zählten Rückforderungen von mutmaßlich rechtswidrig gewährten Beihilfen (inklusive „Überkompensationen“), Restrukturierung von Zins- und Tilgungsleistungen, Rückforderungsansprüche aufgrund von Insolvenz (wegen Förderzweckverfehlung) und mögliche Haftungsrisiken für Erwerber bei Unternehmensverkäufen nach Inanspruchnahme von Corona-Hilfsmaßnahmen. Diese sich bereits seit Längerem anbahnenden Schwierigkeiten würden teilweise verstärkt durch generelle beihilferechtliche Aspekte. Diese Situation manifestiere sich in einer Reihe von Sachverhalten, die bei der Restrukturierung von Corona-Hilfsmaßnahmen zu berücksichtigen sind. Dazu zähle u. a., dass der Staat grundsätzlich keine quotale Befriedigung akzeptieren darf, es sei denn, das Unternehmen wird liquidiert. Von besonderer Bedeutung ist, dass beim Erwerb eines betroffenen Unternehmens im Wege eines Asset Deals zwingend ein offener Bieterprozess notwendig ist. Hinsichtlich von Corona-Hilfsmaßnahmen als Teil eines Restrukturierungsplans sei zu bedenken, dass zwar staatliche Forderungen im Zusammenhang mit Corona-Hilfsmaßnahmen grundsätzlich im Restrukturierungsplan geregelt werden können, bislang aber keine gefestigte Rechtsprechung zu beihilferechtlichen Aspekten existiere. Bei Forderungen im Zusammenhang mit Corona-Hilfsmaßnahmen, die Teil eines Insolvenzplans waren bzw. sind, sei von Bedeutung, dass Ansprüche staatlicher Gläubiger im Zusammenhang mit Corona-Hilfsmaßnahmen zwar grundsätzlich in einem Insolvenzplan geregelt werden können, dabei aber ein Vergleich mit hypothetischen privaten Gläubigern notwendig ist, der nachweisen müsse, dass andere Gläubiger mit vergleichbarem Rang und Sicherheitenposition im selben Insolvenzplan nicht bessergestellt werden.

Die Teilnehmer waren im Anschluss in besonderem Maße an der Frage interessiert, ob und inwieweit ein Erwerber nach einer übertragenden Sanierung von einer künftigen Rückforderung von Beihilfen betroffen sein könnte, insbesondere in den Fällen, in denen es seinerzeit – aus welchen Gründen auch immer – keinen offenen Bieterprozess gab. Schümann-Kleber musste einräumen, dass sich die Beantwortung der Frage äußerst schwierig gestaltet, da es zum einen bisher kaum Fälle aus der Praxis gibt, zum anderen bei der zuständigen Kreditanstalt für Wiederaufbau für diesen Themenkomplex zumindest derzeit kein auskunftsfähiger Ansprechpartner zu finden ist. Das bedeute für die betroffenen Unternehmer eine möglicherweise längere Phase der Unsicherheit und das in diesem Fall durchaus unbefriedigende Prinzip Hoffnung.

An der auf die nachmittägliche Kaffeepause folgenden Podiumsdiskussion zu aktuellen Themen rund um das Insolvenzgeschehen nahmen, unter der Moderation von RA Marcello Di Stefano, RiAG Erwin Gerster, Andreas Büchel, Associate General Counsel bei der Deutschen Bank AG, und Volker Römermann teil.

Anknüpfend an den Vortrag von Römermann wurden zunächst die Möglichkeiten des Einsatzes von KI in Verwalterkanzleien, Kreditinstituten und Gerichten erörtert, wobei Einigkeit darüber bestand, dass KI in all diesen Bereichen die Arbeitswelt stark verändern wird und dass dies eine positive, wenn auch stets kritisch zu begleitende Entwicklung darstellt. Weiterhin wurde, unter Zusammenfassung des richtigen Einsatzes von Sonderkonten und offenen Treuhandkonten (Anderkonten) im Insolvenzverfahren, insbesondere das Erfordernis einer Einzelermächtigung zur Eröffnung eines den Anforderungen des BGH genügenden Insolvenzsonderkontos im vorläufigen Verfahren bzw. in der Eigenverwaltung herausgearbeitet. Schließlich diskutierte die Runde die ab 01.01.2024 mit dem MoPeG in Kraft tretenden Änderungen des Rechts der Personengesellschaften an und legte hierbei einen Fokus auf die gesetzlichen Änderungen für die Simultaninsolvenz bei der GmbH & Co. KG (§ 179 HGB n. F.).

Der 11. Thüringer Tag für Insolvenzrecht und Sanierung wurde schließlich abgerundet durch einen Vortrag von Thomas Müller, Certified Financial Planner® bei MLP, zum Thema „Haftungsfragen in der insolvenzrechtlichen Praxis“. Dabei beleuchtete er u. a. die Risiken bei der Hausverwaltung im Verfahren und die Frage der Möglichkeit und Notwendigkeit der Absicherung des Altgeschäftsführers (D&O- bzw. Managerhaftpflicht) in der Eigenverwaltung. Hinsichtlich der Hausverwaltung ergäben sich u. U. Probleme in Bezug auf die „Infektion“ der Freiberuflichkeit mit gewerblicher Tätigkeit, mit nicht gedeckten Vermögensschäden, einer nicht oder nicht ausreichenden Gebäudeversicherung oder der jeweiligen Zuständigkeit des Mieters oder Vermieters. Müller empfiehlt daher, den gesamten Komplex an ein Expertennetzwerk auszulagern. Bezüglich der Absicherung des Altgeschäftsführers im Eigenverwaltungsverfahren legte der Referent nahe, die D&O-Versicherung bereits im Beratungsmandat zu empfehlen, also bevor sich die Krise zuspitzt. Auch hier ist für Rechtsanwälte hinsichtlich möglicher Organtätigkeiten Vorsicht geboten. Abschließend beleuchtete Müller die Frage, ob für jedes Verfahren eine separate Police – analog der Gläubigerausschussdeckung – abgeschlossen werden sollte oder ob ggf. die vorhandene Kanzleipolice ausreichend Schutz bietet. Hier plädierte der Referent dafür, die eigene Kanzleipolice so zu gestalten, dass auch nach der BRAO-Reform maximale Rechtssicherheit besteht (Rechtsform, AAB, individuelle Versicherungsbedingungen). Für „Kleinverfahren“ reiche dabei ggf. eine Sammelpolice aus, größere Verfahren sollten separat abgesichert werden, wobei eine individuelle Deckung vereinbart werden sollte. Schließlich sei zu empfehlen, zur eigenen Sicherheit und Unabhängigkeit dem Gläubigerausschuss einen Markt- und Leistungsvergleich zur Entscheidung vorzulegen.

Langversion des Beitrags im INDat Report 05_2023, S. 38 ff., über das CNAJMJ- und VID-Symposium am 25.05.2023 in Brüssel

EU-Kommission sieht verwalterloses Verfahren als Experiment

Brüssel. Zusammen mit dem Conseil National des Administrateurs Judiciaires et des Mandataires Judiciaires (CNAJMJ) hat der Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e. V. (VID) am 25.05.2023 nach Brüssel zur Diskussion auf vier Panels über den RL-Vorschlag zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts eingeladen, der rd. 80 Teilnehmer bei Simultanübersetzung in Französisch bzw. Deutsch gefolgt sind. Auf den prominent besetzten Panels saßen auch Vertreter der EU-Kommission, die sich den kritischen Fragen und der Diskussion stellten, das Schlusswort war einem sog. Schattenberichterstatter vorbehalten.

Text: Prof. Dr. Christoph Alexander Jacobi, Stapper Jacobi Schädlich Rechtsanwälte PartG

Das verwalterlose Verfahren ist nach Ansicht der EU-Kommission ein Experiment, zu dem die Verfasser von COM(2022) 702 optimistisch die Bewährung in der Praxis erwarten, welche die derzeitigen Zweifel der Wirtschaft zerstreuen werde. Zudem ist der gesamte Inhalt des aktuellen Richtlinienvorschlags (RLV) aus Sicht der Kommission nur ein weiterer Schritt zum schlussendlich gemeinsamen europäischen Insolvenzrecht.

Inhaltlich und emotional wurde diese Idee des verwalterlosen Insolvenzverfahren für sog. Kleinstunternehmen (bis 9 Mitarbeiter und 2 Mio. Euro Jahresumsatz oder Bilanzsumme) am heftigsten diskutiert. Auf Platz zwei dürfte das Pre-pack-Verfahren gelegen haben, gefolgt von den weniger stürmischen Themen der Insolvenzanfechtung, der Geschäftsführerpflichten und der Gläubigerausschüsse, bei denen die Wogen nicht so hoch schlugen und zumindest aus deutscher Sicht so etwas wie ein Konsens am Horizont der Diskussion absehbar ist. Von mehreren Teilnehmern, z. B. aus der Kreditwirtschaft seitens Dr. Stefan Saager, Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, wurde direkt eingangs die Frage nach der Zuständigkeit der Kommission für das materielle Insolvenzrecht aufgeworfen, was womöglich die Stimmung auf Kommissionsseite ein wenig trübte, da dies ein bekannter wunder Punkt im demokratischen EU-Gesetzgebungsprozess ist, der sicherlich auf Dauer ungeklärt bleiben wird.

Zum verwalterlosen Kleinstverfahren kristallisierten sich im Verlauf der Diskussionen grob folgende Sichtweisen heraus: Die zuständigen EU-Kommissionsmitarbeiter sowie Unterstützer dieses Verfahrens, prominent vertreten durch Prof. Dr. Stephan Madaus, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, sehen im verwalterlosen Verfahren grundsätzlich den Ausnahmefall für einige, wenige Verfahren, in der Tendenz ohne laufenden Geschäftsbetrieb, denen auf Basis der ohne Verwalter geringeren Kosten der Zugang zu einem effektiven Verfahren eröffnet werde, das zugleich die Chance biete, unkompliziert die Schuldbefreiung aller (mit)haftenden natürlichen Personen zu erreichen, was sonst häufig mangels Masse und ohne Verfahren nicht möglich sei. Die mitdiskutierenden Vertreter der auf dem Kongress anwesenden Interessenverbände – Verwalter und Anwälte, Kreditwirtschaft, IG Metall, Zentralverband des Deutschen Handwerks – stehen dem mehr als skeptisch gegenüber, da sich diese einschränkende Sichtweise nicht im Entwurfstext wiederfindet, der vielmehr von einer generellen Anwendbarkeit des verwalterlosen Verfahrens bei Kleinstunternehmen als neuem Regelfall ausgeht, in dem nur ausnahmsweise ein Verwalter zu bestellen ist (Art. 39 RLV: „bei vereinfachten Liquidationsverfahren ein Insolvenzverwalter nur bestellt werden kann, wenn [Schuldner/Gläubiger dies beantragt und die Kosten gedeckt sind]“). Auch eine Insolvenzgeldvorfinanzierung scheidet bei dieser Verfahrensstruktur aus Zeitmangel aus (Eröffnungsentscheidung spätestens nach zwei Wochen, Art. 42 Abs. 1 RLV). Dieses massive Misstrauen der Wirtschaft ließe sich also leicht beseitigen, wenn der Richtlinientext an die geäußerten Absichten angepasst und der Anwendungsbereich des verwalterlosen Verfahrens explizit eingeschränkt würde.

Begrüßung

Axel W. Bierbach, Müller-Heydenreich Bierbach & Kollegen, stellte den VID und dessen Verbundenheit und Zusammenarbeit mit dem CNAJMJ vor, begrüßte auch im Namen von Frédéric Abitbol alle Panelteilnehmer und Professoren, die zahlreichen Vertreter aus der EU Kommission, aus dem EU Parlament, aus der Ständigen Vertretung Frankreichs in Brüssel, aus dem BMJ und dem Justizministerium NRW, den Präsidenten des EIP, von verschiedenen Verbänden und alle anwesenden Kolleginnen und Kollegen aus Frankreich und Deutschland und erläuterte den Hintergrund zu den kritischen Stellungnahmen beider Gastgeber.

Prof. Dr. Daniel Fasquelle, Universität du Littoral Côte d’Opale, führte in vier grundlegende Themen von COM(2022) ein und wies auf eine drohende Gefahr im Kontext des Richtlinienentwurfs hin. (1) Natürlich seien auch die Fortschritte zu erwähnen, die grundsätzlich mit einer Rechtsharmonisierung einhergingen und vor allem auch mit der Aufmerksamkeit für das Insolvenzrecht als Restrukturierungsoption anstelle der oft exklusiven politischen Konzentration auf die Regeln der Unternehmensgründung. (2) Der französische Verband war vom Richtlinienvorschlag enttäuscht, so Fasquelle, da verschiedenen Inhalte fehlen, die erwartet wurden: Keine Definition der Insolvenzgründe – woraus sich zahlreiche Schwierigkeiten und Folgeprobleme ergäben, da der Beginn einer Insolvenzphase unklar bliebe und es schlussendlich nicht zu einer Harmonisierung käme, wenn wieder – ähnlich wie in Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie – alle Mitgliedstaaten allein bei diesem neuralgischen Punkt völlig unterschiedliche Regelungen beibehalten und verfestigen. Ferner fehle eine Regelung zu der Rangfolge der Insolvenzgläubiger; auch seien keine Berufsregelungen für Verwalter im Richtlinienvorschlag enthalten. (3) Ermutigen möchte er zu einem breiten Anwendungsbereich für das Pre-pack-Verfahren, bei dem er aber vor allem eine Änderung und Umbenennung der Liquidationsphase anregte, um keine Beschränkung auf eine Liquidation vorzugeben. (4) Schließlich fehle dem Richtlinienvorschlag die Kohärenz, da im praktischen Ergebnis des verwalterlosen Verfahrens für Kleinstunternehmen wohl in 90 % aller Fälle keine Anfechtung mehr stattfinden werde, was die Frage aufwerfe, wie dann noch ein professionelles Verfahren möglich sei, das die Kommission doch anstrebe? Das verwalterlose Verfahren sei im Übrigen ein massiver Rückschritt: Denn Schuldner seien in der weit überwiegenden Zahl nicht in der Lage, solche Verfahren allein zu meistern, wie auch in den Erwägungsgründen des Richtlinienvorschlags explizit erwähnt. Die Folge dürften zahlreiche Betrugsfälle sein, wenn kein unabhängiger Dritter, ein Verwalter, dies im Interesse der Gläubiger überprüft. Die Gläubigerinteressen fielen also im Zuge des Richtlinienvorschlags im Wesentlichen Stück für Stück unter den Tisch.

Runder Tisch 1: Harmonisierung von Pre-Pack Proceedings in den Mitgliedstaaten

Moderator: Prof. Dr. Daniel Fasquelle. Teilnehmer: Ondřej Vondráček Europäische Kommission (Generaldirektion Justiz); Ivo-Meinert Willrodt, Präsident EIP, PLUTA Rechtsanwalts GmbH, Deutschland; Christophe Thévenot, ehemaliger Präsident des CNAJMJ, Thévenot Partners, Frankreich; Bart Heynickx, ALTIUS, Belgien.

Fasquelle stellte die Teilnehmer vor und hinterfragte im Verlauf der Diskussionsrunde die Umsetzbarkeit der einzelnen Vorschläge zu COM(2022) 702 in allen Mitgliedstaaten.

Vondráček stellte die Inhalte des Richtlinienvorschlags vor. Ferner sagte er etwas zu den Gründen des Richtlinienvorschlags. Eine Überlegung der Kommission sei eine Analogie zu Bankeninsolvenzen gewesen: Warum, so kam die Frage im Zuge der Vorarbeiten auf, sollten Unternehmen nicht ähnlich schnell und effektiv zu retten sein wie Banken und andere Kreditinstitute. In der Kommission sei ferner die Thematik der Gläubigerrangfolge diskutiert worden, ob es also im Insolvenzverfahren bevorrechtigte Gläubiger geben solle bzw. welche und wie dies europaweit zu harmonisieren sei. Auch Berufsregeln für Verwalter wurden im Rahmen der Vorüberlegungen erörtert. Gleiches gelte für die Vereinheitlichung der Insolvenzgründe. Zur Verhinderung des Forum Shoppings sei als wesentlicher Baustein das Pre-pack-Verfahren vorgesehen, da dies schlussendlich Verluste auf Gläubigerseite minimiere. Europaweit sei die Insolvenzverfahrensdauer häufig zu lang. Er habe die Hoffnung, dass der Richtlinienvorschlag schnell umgesetzt werde. Den Schwerpunkt sehe er im Pre-pack zur Verbesserung der internationalen Konkurrenz zu den USA und England.

Im Verlauf der Publikumsdiskussion ergänzte er zur Vertragsübertragung (Art. 27 RLV): Ja, dies sei wohl ein Widerspruch zur Vertragsfreiheit, aber ökonomische und soziale Gründe seien hier höher zu bewerten als die Vertragsfreiheit; die Details dieser Gründe benannte er nicht. Auch auf die aus dem Publikum geäußerten Zweifel an der Zuständigkeit der Kommission für das Insolvenzrecht sowie auf die aufgeworfenen Probleme im Kontext des verwalterlosen Verfahrens ging er nicht ein.

Willrodt stellte den EIP mit rund 5000 Insolvenzverwaltern vor, deren Interessen europaweit vertreten werden. Er wies für den ersten Diskussionsblock, aber auch insgesamt für den Kongress, darauf hin, dass nicht nur das Pre-pack-Verfahren erörtert und hinterfragt werden sollte, sondern vor allem das geplante verwalterlose Verfahren, welches im EIP sehr kritisch gesehen werde. Für das Pre-pack werde in Deutschland grundsätzlich keine Notwendigkeit gesehen, da im Eröffnungsverfahren mit der Insolvenzgeldvorfinanzierung und der häufigen Unternehmensveräußerung zum Stichtag der Verfahrenseröffnung eine hervorragende Möglichkeit nach dem Pre-pack-Prinzip bereits existiere, die keiner Ergänzung oder Veränderung bedürfe. Einer Optimierung bedürfe das Pre-pack-Verfahren nach dem Richtlinienvorschlag in jedem Fall bei der weiteren Einbindung der Gläubiger. Gerade in den Ländern, die hier als Vorbilder für das Pre-pack-Verfahren genannt wurden – USA und England – seien aktuell Korrekturbestrebungen zu beobachten, da Regelungen wie im Richtlinienvorschlag teilweise die Gläubigerinteressen zu sehr vernachlässigen oder zum Missbrauch einladen. Insbesondere sei daher die Unternehmensbewertung von einem unabhängigen Dritten, dem Verwalter, zu überprüfen. Die vorgesehenen Regelungen zur Vertragsübernahme (Art. 27 RLV) dürften in Deutschland verfassungsrechtlich kaum umsetzbar sein. Die Sinnhaftigkeit der vorgeschlagenen öffentlichen Auktion für Unternehmen als Ganzes oder in Teilen sei ihm unklar, da derlei unkoordinierte Massenverwertungsverfahren eher dazu führten, dass der niedrigste Preis erzielt werde.

Thévenot griff den Gedanken auf, dass ein öffentliches Bieterverfahren in der Tendenz eher Niedrigstgebote provoziere und wies darauf hin, dass dies genauer diskutiert und ggf. untersucht werden müsse. In Frankreich gibt es ein Pre-pack-Verfahren dem Prinzip nach bereits und es funktioniere für alle Beteiligten sehr gut. Die dauerhafte Sicherung der Arbeitsplätze müsse im Restrukturierungsprozess gesichert oder zumindest berücksichtigt werden, was bislang nicht der Fall sei. Anders ausgedrückt: Wie groß ist der soziale Anteil des Richtlinienvorschlags? Im Richtlinienvorschlag sei durchgehend nur vom schnellen Geld die Rede; die Rechte der Arbeitnehmer fielen hingegen unter den Tisch. Heynickx stellte die Frage in den Raum, ob, wie im Richtlinienvorschlag offenbar vorgesehen, die Vorbereitungsphase des Pre-pack tatsächlich praktisch geheim ablaufen solle? Seines Erachtens könne dies kein sinnvoller Prozess im Sinne der Gläubiger sein, zumal gerade aus Bankensicht häufig Informationspflichten bestünden.

Diskussion mit dem Auditorium:

Andrej Wroblewski, IG Metall Vorstand, Frankfurt a. M., erwähnte im Rahmen der Diskussion, dass Art. 27 und 28 des Richtlinienvorschlags (Vertragsübertragung) keinesfalls für Arbeitsverträge gelten können, zumindest nicht ohne Widerspruchsmöglichkeit. Zudem sollte ohne Gläubigerbeteiligung keine Verwalterwahl stattfinden, da dies einen deutlichen Rückschritt gegenüber dem derzeitigen Prozedere in Deutschland darstelle. Dr. Stefan Saager, Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, kritisierte deutlich, dass es keine europäische Gesetzgebungskompetenz für die konkreten Regelungen des Richtlinienvorschlags gebe, die Kompetenz offenbar vielmehr politisch motiviert herbeidiskutiert werde. Weiter sehe er in Deutschland keinen Bedarf für ein Pre Pack, da die geltenden Regelungen eine hervorragende Möglichkeit zur übertragenden Sanierung eines Unternehmens darstellten. Pawel Kuglarz, Kanzlei Tatara i Wspólnicy sp.k., Direktor der School of Austrian Law an der Fakultät für Recht und Verwaltung der Jagiellonen-Universität in Krakau, Mitglied des INSOL Europe Council, Experte der Europäischen Kommission für die Harmonisierung des materiellen Konkurs- und Restrukturierungsrechts, hob nicht nur für die polnische Sichtweise, sondern allgemein hervor, dass die Arbeitnehmerrechte dringend in den Richtlinienvorschlag implementiert werden müssten.

Runder Tisch 2: Sonstige Regelungsbereiche der Harmonisierung des Insolvenzrechts: Insolvenzanfechtung, Geschäftsführerpflichten, Gläubigerausschüsse

Moderatorin: Jutta Rüdlin, VID, BRRS Rechtsanwälte, Deutschland. Teilnehmer: Prof. Dr. Michel Menjucq, Université Paris I, Panthéon-Sorbonne, Frankreich; Alice van der Schee, Van Benthem & Keulen, Niederlande; Prof. Dr. Christoph Thole, Universität zu Köln, Institut für Internationales und Europäisches Insolvenzrecht, Deutschland; Jean Baron, Administrateur Judiciaire, CBF Associés, Frankreich; Prof. Dr. Jean-Luc Vallens, Magistrat ehrenhalber, ehemaliger außerordentlicher Professor an der Universität Straßburg, Experte der Europäischen Kommission, Frankreich.

Jutta Rüdlin führte in die Thematik ein und erwähnte, welche Punkte vom VID kritisch und welche unkritischer betrachtet werden und wies im Laufe der Diskussion deutlich darauf hin, wie notwendig eine grundlegende Vereinheitlichung der Insolvenzgründe wäre, da dies der Ausgangspunkt jegliche Art der Anfechtung oder Haftung ist. Menjucq erörterte zur Insolvenzanfechtung den zeitlichen Ausgangspunkt gemäß Richtlinienvorschlag, der hier unabhängig von der eigentlichen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, sondern abhängig vom Insolvenzantrag sei. Dies hätte Vorteile (Klarheit), aber auch Nachteile (Manipulierbarkeit). Generell schütze das französische Recht die Gläubigermasse besser als der Richtlinienvorschlag und sollte daher nicht verändert werden. Kritisch äußerte er sich zum verwalterlosen Kleinstverfahren, in dem die Anfechtung praktisch abgeschafft werde, was 90 % der Verfahren ausmache, woraus die Frage folge, weshalb für die verbleibenden nur 10 % überhaupt noch eine EU-weite Regelung zur Anfechtung notwendig sein solle, wenn auf Basis des Richtlinienvorschlags damit eine Harmonisierung gar nicht erreichbar sei.

Alice van der Schee stellte heraus, die Fristen des Richtlinienvorschlags zur Insolvenzantragstellung seien aus ihrer niederländischen Sicht deutlich zu lang. Sie monierte das Fehlen einer einheitlichen Definition der Zahlungsunfähigkeit und erläuterte, dass die langen – aus ihrer Sicht am dt. Recht orientierten – Anfechtungsfristen für die Wirtschaft der Niederlande schwer nachvollziehbar seien. Thole legte dar, er sehe in Deutschland hinsichtlich der Anfechtung wenig Umsetzungsbedarf, zumal der Bundesgerichtshof die Insolvenzanfechtung zuletzt nicht unerheblich eingeschränkt habe, sodass die Rechtslage ohnehin dem Richtlinienvorschlag nahezu gliche. Er wies darauf hin, dass seiner Einschätzung nach mit dem Richtlinienvorschlag eine Harmonisierung des Anfechtungsrechts in weiten Teilen nicht erreichbar und insofern illusorisch sei und offenbar vom Richtlinienvorschlag auch gar nicht wirklich intendiert sei, wenn er sich die vielen offenen Regelungsmöglichkeiten im Richtlinienvorschlag ansehe. Schließlich warnte er aus dt. Sicht deutlich vor dem Projekt der Harmonisierung der Insolvenzgründe, da dies seiner Meinung zu später beantragten Insolvenzverfahren führen dürfte.

Baron erwähnte, der deutsche Fußabdruck bzw. der des Chapter 11 des US-amerikanisches Rechts sei im Richtlinienvorschlag deutlich erkennbar, woraus für Frankreich Probleme folgen würden, da die Wirtschaft dort von grundsätzlich anderen Ansatzpunkten ausginge. Er erläuterte, dass ohne einen Verwalter die KMU-Insolvenzen zu deutlichen Nachteilen für die Gläubiger führen würden.

Vallens äußerte, eine gemeinsame Definition der Insolvenzgründe wäre zwar notwendig, sollte aber die Bestrebungen der Kommission nicht blockieren. Insbesondere sei es notwendig, das Forum Shopping schon jetzt zu verhindern und nicht erst, wenn irgendwann eine Einigung auf einheitliche Insolvenzgründe möglich sein sollte. Ein weiterer Vorteil des Richtlinienvorschlags sei, dass die strafrechtliche Haftung und Berufsfolgen unberührt bleiben, die Mitgliedstaaten hierin also weiterhin frei seien.

Diskussion mit dem Auditorium:

Henning Sämisch, SHNF RAe StB Wirtschaftsprüfer Insolvenzverwalter, Hamburg, wies auf die Studie von Bork et al. hin, die ausgehend vom römischen Recht untersuchte, was im Rahmen der Insolvenzanfechtung eigentlich grundlegend gerecht sei, und in der Folge die Modellregelungen vorschlug, die dem Richtlinienvorschlag zugrunde liegen. Eine Harmonisierung durch den Richtlinienvorschlag sei allerdings selbst im Ansatz kaum erreichbar, zumal als weiteres Kernproblem die Rangfolge der Gläubiger in den Mitgliedstaaten zu unterschiedlich sei, nach der sich auch die Verteilung von Anfechtungserlösen richte. Andrej Wroblewski, IG Metall Vorstand, Frankfurt a. M. wies deutlich darauf hin, dass für Arbeitsentgeltzahlungen ein allgemeiner Anfechtungsschutz gelten müsse, was im Übrigen die Massen kaum belasten würde. Ziel des Richtlinienvorschlags sei aktuell die Maximierung der Masse. Was hingegen auffällig fehle, sei der soziale Charakter, vor allem im Hinblick auf den Arbeitsplatzerhalt, was nicht immer notwendig mit dem Ziel der Massemehrung zusammenfalle. Dr. Robert Hänel, VID, Anchor Rechtsanwälte, Weilheim, verdeutlichte die Notwendigkeit der Verstärkung des Gläubiger-Kontrollgremiums gemäß Richtlinienvorschlag. Zur Harmonisierung der Insolvenzgründe wies er auf die Vorgabe des Richtlinienvorschlags hin, für Kleinstunternehmen nur auf Zahlungsunfähigkeit abzustellen und diese einfach, auch für Laien verständlich zu definieren. Eine einfache, leicht verständliche Definition berge indes die Gefahr, dass sie streng sei, denn die Komplexität entstehe vor allem durch Einschränkungen (z.B. prozentualer Anteil der Unterdeckung etc.).

Runder Tisch 3: Die Notwendigkeit eines anderen Umgangs mit der Insolvenz von Kleinstunternehmen

Moderator: Dr. Robert Hänel, VID, Anchor, Deutschland. Teilnehmer: Dr. Daniel Brzoza, Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen, Deutschland; Prof. Dr. Stephan Madaus, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Deutschland; Christophe Basse, Mandataire Judiciaire, Ehrenpräsident des CNAJMJ, Frankreich; François Desprat, Mandataire Judiciaire, Vizepräsident des CNAJMJ, Frankreich; Pál Szirányi, Europäische Kommission.

Hänel erörterte anhand detaillierter Übersichten erste kritische Punkte des verwalterlosen Insolvenzverfahrens und warf etwa die Frage auf, wie ein Verfahren bereits nach zwei Wochen (Art. 42 Abs. 1 RLV) interessengerecht eröffnet werden solle, wenn erfahrungsgemäß – gerade in den intendierten Verfahren – innerhalb eines solchen Zeitrahmens nicht einmal annährend alle notwendigen Informationen ermittelt seien. Einen Bedarf für verwalterlose Insolvenzverfahren für Kleinstunternehmen sehe er nicht. Madaus hob hervor, dass nach der Intention des Richtlinienvorschlags die meisten Verfahren nach wie vor mit Verwalter laufen würden und verwies auf die Formulierungen des Richtlinienvorschlags, wonach auf Schuldner- oder Gläubigerantrag ein Verwalter zu bestellen ist, wenn die Kosten gedeckt sind (Art. 39 RLV). Ferner wies er auf die seitens der Mitgliedstaaten doch zu ergreifende Möglichkeit der Verfahrensfinanzierung hin (Art. 38 Abs. 4 RLV), was im Ergebnis sogar zu mehr Verfahren für die Verwalter führen würde. Der Fokus der verwalterlosen Verfahren läge also nicht auf den  Kleinstunternehmen mit Vermögen, sondern auf den nahezu vollständig vermögenslosen ohne laufenden Betrieb. Die mit laufendem Geschäftsbetrieb sollen vielmehr weiterhin mit Insolvenzverwalter und Insolvenzgeldvorfinanzierung gemanagt werden; das verwalterlose Verfahren würde nur auf die wenigen notwendigen Fälle Anwendung finden. Im Ergebnis solle der Unternehmer leichter entschuldet werden als der Verbraucher, sodass ein Anreiz für die Insolvenz entstehe bzw. das Stigma ein Stück weit verschwinde.

Brzoza legte die zusätzlichen Aufgaben dar, welche die Gerichte anstelle der Verwalter zu übernehmen hätten, wofür aber keinerlei Kapazitäten und derzeit auch keine fachspezifischen Kompetenzen bestünden. Er glaube nicht daran, dass in der Praxis bei der aktuellen Struktur und Formulierung des Richtlinienvorschlags (Art. 39 RLV: „bei vereinfachten Liquidationsverfahren ein Insolvenzverwalter nur bestellt werden kann, wenn […]“) regelmäßig, wie Madaus hervorhob, doch ein Verwalter bestellt würde. Auch gehe er davon aus, dass keine Kosten gespart werden könnten, vielmehr die Berater voraussichtlich teurer seien als die Verwalter und damit zulasten der Gläubiger eine Kostenverschiebung erfolge. Basse schilderte, dass in Frankreich kein Bedarf für Sonderregeln für Kleinstunternehmen bestehe. Diese Verfahren würden aktuell sehr gut bearbeitet bei einer Mindestvergütung von lediglich 1500 Euro, die aus den Zinsen von Insolvenzmassen anderer Insolvenzverfahren querfinanziert werde. Desprat führte Statistiken an und sah aufgrund des breiten Anwendungsbereichs gemäß den Formulierungen des Richtlinienvorschlags ein neues Regelverfahren für den Großteil aller Unternehmensinsolvenzen. Szirányi hob hervor, in Europa seien die Insolvenzverfahren häufig zu teuer und in zahlreichen Fällen würden Verfahren gar nicht eröffnet.

Diskussion mit dem Auditorium: Klaus Kollbach, Rechtsanwalt, Köln, warf die Frage auf, ob bei der Masse der Kleinstverfahren, was zu circa zwei Drittel natürliche Personen seien, die von der Kommission angestrebte Entschuldung auch gegen den Willen der Schuldner stattfinden solle bzw. dies wohl kaum der Fall sei, dann aber dieser Aspekt aus der Praxis unberücksichtigt bleibe, dass im Fall von Fremdinsolvenzanträgen keine ganz geringe Anzahl der Schuldner keine Restschuldbefreiungsanträge stelle. Dr. Christoph Niering, Vorstandsvorsitzender VID, Niering Stock Tömp RAe, Köln, wies nachdrücklich auf die steuerlichen Pflichten und viele andere Aufgaben der Verwalter hin, die heutzutage zu „Serviceeinheiten“ für die Gläubiger geworden seien, für die die Verwalter unabhängig von der Quote zahlreiche Tätigkeiten erbringen, wie Leasinggegenstände zurückzuführen, Mieträume zu räumen, Vertragsverhältnisse abzurechnen, Sicherungsgut zu verwerten und steuerlich korrekt abzurechnen, Arbeitnehmerbescheinigungen auszufüllen etc. Dass all dies der eigenverwaltende Schuldner eines gescheiterten Kleinstunternehmens erledigen werde, sei illusorisch. Frédéric Abitbol, Präsident CNAJMJ, Frankreich, legte dar, kleine Unternehmen würden beim verwalterlosen Verfahren auf sich gestellt in einem fortan rechtslosen Raum stehen, was unverantwortlich und gefährlich wäre. Damit würde den grenzüberschreitenden Investitionen geschadet. Er frage sich also, woher die Idee für den Richtlinienvorschlag stamme bzw. welcher Zweck damit verfolgt werde, da ein Bedarf für diese Verfahren nach Titel VI nicht existiere. Elisabeth Häringer LL.M., Zentralverband des Deutschen Handwerks, Brüssel, äußerte in ihrer Wortmeldung die Sorge, dass im – gemäß Richtlinienvorschlag – regelmäßig verwalterlosen Verfahren die Gläubigerinteressen kaum mehr geschützt sein werden. Karl-Heinz Götze, Kreditschutzverband 1870, Wien, äußerte ebenso die Befürchtung massiver Nachteile für die Gläubiger.

Runder Tisch 4: Fehlende Elemente für ein effizientes europäisches Insolvenzrecht: eine europäische Definition der Insolvenzgründe, einheitliche Rangfolgen, europäische Regelungen zum Berufsrecht der Insolvenzverwalter

Moderator: Prof. Dr. Philippe Dupichot, Université Paris I Panthéon-Sorbonne, Frankreich. Teilnehmer: Frédéric Abitbol, Administrateur Judiciaire, Präsident des CNAJMJ, Frankreich; Axel W. Bierbach, VID, Müller-Heydenreich Bierbach & Kollegen, Deutschland; Sophie Chaigneau, Ständige Vertretung Frankreichs bei der EU; Emmanuelle Inacio, Université du Littoral Côte d’Opale, Technische Leiterin von INSOL Europe, Frankreich; Dr. Andreas Stein, Europäische Kommission (Generaldirektion Justiz).

Dupichot stellte nochmals die Frage nach dem Bedarf der Regelungsinhalte der Richtlinie, insbesondere hinsichtlich des Liquidationsverfahrens für Kleinstunternehmen, äußert sich insgesamt eher kritisch, hob aber auch hervor, dass im Sinne des EU-Gründungsvaters Robert Schumann ein gemeinsames Europa gemeinsame Regelungen benötige, um auf dem Weltmarkt gemeinsam und stark als kohärente Einheit aufzutreten und wahrgenommen zu werden. Abitbol wiederholte seine Kritik am verwalterlosen Kleinstinsolvenzverfahren und wies darauf hin, dass zunächst die Themen der einheitlichen Insolvenzgründe und Rangfolgen geregelt werden müssten, bevor die übrigen Themen des Richtlinienvorschlags angefasst werden sollten. Eine Harmonisierung würde anderenfalls allein deshalb nicht zustande kommen. Bierbach erläuterte ausführlich das dt. Modell der Haftung und der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit. Er wies auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Arbeitsgruppen hin, branchen- und auch länderübergreifend, was bislang schon erfolgreich praktiziert werde und sich im Zuge des Austauschs zum aktuellen Richtlinienvorschlag bestätige. Es sei von enormer Wichtigkeit, dass sich die Wirtschafts- und Interessenverbände weiterhin untereinander vernetzen. Erst daraus erwachse eine reelle Chance des Einflusses auf die EU-Politik.

Stein, Leiter der zuständigen Arbeitsgruppe in der Kommission, erläuterte den Prozess, wie Richtlinien allgemein entstehen und wies darauf hin, dass derartige Normierungen in aller Regel auf nationalstaatlichen Widerstand stießen, da sie immer einen deutlichen Eingriff in die Rechtssysteme und Binnenmärkte darstellen. Von Seiten der Mitgliedstaaten kam die Anregung zum Richtlinienvorschlag COM(2022) 702 nicht, teilte er auf Nachfrage von Dupichot mit. Hinsichtlich der Regelungen für Kleinstunternehmen sei die Idee eigentlich, lediglich die wirklich vermögenslosen Unternehmen besser verwalten zu können; der Text sei hier also möglicherweise nicht klar genug oder dem ersten Anschein nach zu weit gefasst. Es solle insbesondere kein generelles neues Regelverfahren ohne Verwalter geben. Der aktuelle Richtlinienvorschlag sei ein Weniger zu dem „großen Rundumschlag“ zu einem einheitlichen Insolvenzrecht mit gleichen Rangfolgen, Insolvenzgründen etc. Ziel sei also langfristig ein dem Grunde nach einheitliches Insolvenzrecht und der aktuelle Richtlinienvorschlag sei ein Schritt in diese Richtung. Die teilweise Inkonsistenz des Entwurfs sei ihm bewusst, etwa dass jene Themen der Insolvenzgründe und Rangfolgen nicht geregelt seien. Allerdings sei der aktuelle Richtlinienvorschlag das Ergebnis dessen, was nach Einschätzung der Kommission im Rahmen einer politisch-pragmatischen Abwägung gemeinsam mit dem EU-Parlament umsetzbar sei. Im Vorfeld der Podiumsdiskussion, währenddessen sowie im weiteren Verlauf kritischer Nachfragen zur Notwendigkeit eines verwalterlosen Verfahrens – bei der gegebenen Sachlage doch eher unklarer Auswirkungen und aus heutiger Sicht wenig plausibler Kostenargumente – äußerte Stein, das Projekt des neuen Verfahrens für Kleinstunternehmen sei eben ein Experiment.

Schlussworte: Prof. Dr. René Repasi Mitglied des Europäischen Parlaments, Deutschland

Repasi ist derzeit in Brüssel als Berichterstatter des Wirtschafts- und Währungsausschusses tätig sowie Schattenberichterstatter im Rechtsausschuss und daher mit den Richtlinienthemen des Kongresses umfangreich befasst. Die Kommission habe mit COM(2022) 702 einen ersten Aufschlag gemacht, der sicherlich noch an einigen Stellen nachgearbeitet würde. Bei der Beurteilung der Richtlinienvorschlags müsse man sich in Erinnerung rufen, was der Zweck der Insolvenzrechts sei, nämlich die Schwächeren zu schützen, was den Rechtsfrieden stärke. Dieser Maßstab müsse auch bei der Beurteilung von COM(2022) 702 gelten. Ein wichtiges Motiv für die Umsetzung des Richtlinienvorschlags sei die Verwirklichung der Kapitalmarktunion: Es gebe viel privates Kapital, das zu wenig grenzüberschreitend in anderen Mitgliedstaaten angelegt werde. Dies habe z.B. negative Auswirkungen auf die Altersvorsorge. Neben Privaten sollten aber auch größere Investoren mehr grenzüberschreitend investieren. Hinter die Relevanz eines Insolvenzverfahrens für Kleinstunternehmen für die Kapitalmarktunion könne aber in der Tat ein Fragezeichen gesetzt werden, so Repasi; ebenso hinsichtlich des Pre-pack. Vor der nächsten Europawahl im Juni 2024 sehe er sicherlich keinen Abschluss der Arbeiten am Richtlinienvorschlag COM(2022) 702.

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    Der Schwerpunkt „Weitere Impulse für eine Digitalisierung des Insolvenzverfahrens – Kleine Schritte und große Etappen“ (INDat Report 03_2022, S. 28 ff.) hat u. a. als Quellen Interviews des Autors RA Klaus Kollbach und des INDat Report mit den Landesjustizministerien von Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sowie dem Bundesjustizministerium und den IT-Dienstleistern Andre Koppel Software GmbH, Rummel Software GmbH und STP Informationstechnologie GmbH verwendet. Hier die kompletten, autorisierten Interviews mit den genannten Gesprächspartnern.

    INDat Report: Seit wann schreibt das Landesrecht (aufgrund der Ermächtigungsgrundlage § 5 Abs. 4 InsO) die Übermittlung von Tabellendaten durch Insolvenzverwalter an Insolvenzgerichte ausnahmslos in Form strukturierter maschinenlesbarer Datensätze nach alter Schnittstellendefinition vor (bzw. ab wann künftig nach neuem XML-Format (XJustiz 3.1.1 Fachanwendung Insolvenz))?

    Bayerisches Staatsministerium der Justiz: Eine Rechtsverordnung auf Grundlage der Ermächtigung des § 5 Abs. 4 der Insolvenzordnung (InsO) ist in Bayern bisher noch nicht erlassen worden. Der Erlass ist für das 2. Halbjahr 2022 geplant.

    Niedersächsisches Justizministerium: Die Insolvenztabellen werden in Niedersachsen seit Einführung der Insolvenzordnung zum 1. Januar 1999 mit Hilfe des Programms EUREKA-WINSOLVENZ maschinell geführt. Die Übermittlung der Tabellendaten von den Insolvenzverwaltern erfolgte zunächst mittels Datenträgern, nunmehr per EGVP nach Maßgabe der allgemein verbindlichen Schnittstellenbeschreibung der Bund-Länder-Kommission für Informationstechnik in der Justiz für die Datenübernahme von Insolvenzverwaltern in gerichtliche Systeme Version 01.000c, Stand: 23.05.2019. Die Zulassung der elektronischen Übermittlung ist durch die Niedersächsische Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz (Nds. ERVVO-Justiz), Anlage zu § 1, vom 21.10.2011 in der Fassung vom 11.11.2015 geregelt. Eine Verordnung nach § 5 Abs. 4 Satz 2 InsO, die eine zwingende elektronische Übermittlung vorschreibt, ist nicht erlassen. Unabhängig davon erfolgt die Übermittlung aber praktisch ausnahmslos elektronisch. Eine Übermittlung der Tabellendaten nach neuem XML-Format ist derzeit nicht geplant, weil bislang nicht belegt ist, dass Datenimporte mit dieser Struktur auch mit Massendaten umgehen können. Prüfungen in anderen Ländern haben ergeben, dass mit dieser Struktur zwar Tabellendaten von mehreren tausend Gläubigern übergeben werden können, was aber für größere Insolvenzverfahren nicht ansatzweise ausreichend ist.

    Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen: Die Übermittlung von Tabellendaten an die nordrhein-westfälischen Insolvenzgerichte ist in der Verordnung über die elektronische Führung und Einreichung der Tabellen und Verzeichnisse sowie der dazugehörigen Dokumente in Insolvenzsachen im Land Nordrhein-Westfalen (eTabelle Insolvenzordnung – eTab InsO) vom 9. April 2020 geregelt, die am 1. Juni 2020 in Kraft getreten ist (GV. NRW. 2020 S. 336). Der insoweit maßgebliche § 2 eTab InsO ist durch Verordnung vom 26. November 2021 (GV. NRW S. 1341), in Kraft getreten am 1. Februar 2022, modifiziert worden. Als mögliche Dateiformate für die Tabellendaten vorgesehen sind gemäß § 2 Abs. 1 eTab InsO neben XML (XJustiz in der jeweils gültigen Fassung) auch die älteren Dateiformate „TAB“ und „ITR“. Details zu den technischen Anforderungen an die Dateiformate sind auf der Internetseite https://www.justiz.nrw.de/Gerichte_Behoerden/anschriften/elektronischer_rechtsverkehr/insolvenzgerichte/index.php bekanntgemacht. In technischer Hinsicht können in Nordrhein-Westfalen derzeit allerdings nur Insolvenztabellen in den Formaten TAB und ITR verarbeitet werden. Die Verarbeitung von Tabellendaten im XJustiz-Format (d.h. mittels der entsprechenden Fachnachrichten im XJustiz-Fachmodul Insolvenz) ist für die Zukunft geplant, aber aktuell noch nicht umgesetzt. Für die zugehörigen begründenden Unterlagen sind gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 eTab InsO die Dateiformate der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) vom 24. November 2017 (BGBl. I S. 3803) in der jeweils geltenden Fassung zulässig, wozu auch PDF zählt. Derzeit können die Unterlagen als PDF-Dokumente in strukturierter Form mittels der allgemeinen XJustiz-Nachricht „nachricht.gds.uebermittlung_schriftgutobjekte.0005005“ elektronisch eingereicht werden. Details zu den diesbezüglichen Anforderungen können der o.g. Webseite entnommen werden.

    INDat Report: Unterstützt Ihr Land die Einführung einheitlicher bundesrechtlicher Vorschriften bis Ende 2022 zur Übermittlung von Tabellendaten ausschließlich in Form maschinenlesbarer Datensätze (vergleichbar zum Handelsregister und zum Mahnverfahren)?

    Bayerisches Staatsministerium der Justiz: Das von Bayern und mehreren Ländern eingesetzte Fachverfahren unterstützt die Entgegennahme von Tabellendaten in ausschließlich strukturierter Form derzeit nicht. Bei der elektronischen Einreichung ist daher neben der Übertragung eines maschinenlesbaren Datensatzes, der zur automatischen Übernahme der Beteiligtendaten ausgelesen wird, stets die Übersendung der Tabellenblätter im PDF-Format erforderlich. Die Übermittlung von Tabellendaten in ausschließlich strukturierter Form wäre zwar zu begrüßen. Einer einheitlichen bundesrechtlichen Regelung bis Ende des Jahres 2022 stehen aber bislang die aktuellen technischen Gegebenheiten in den Ländern entgegen.

    Niedersächsisches Justizministerium: Die niedersächsischen Insolvenzgerichte hatten einen entsprechenden Bedarf im Rahmen der von der Anfrage in Bezug genommenen Länderumfrage des BMJV zur Digitalisierung des Insolvenzverfahrens nicht angemeldet. Mit der Ergänzung des § 5 InsO um den aktuellen Absatz 4 sollten die maschinelle Herstellung und Bearbeitung der Tabellen und Verzeichnisse operabel ausgestaltet werden (vgl. BT-Drs. 16/3227, S. 13). Anders als in Registerverfahren verspricht nur die Form der übermittelten Daten als maschinenlesbarer Datensatz allein im Insolvenzverfahren keinen weiteren Effizienzgewinn. Für Anmeldungen in Registersachen werden die Landesregierungen durch die auf Initiative des Bundesrates eingeführte Regelung des § 378 Abs. 4 FamFG ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass Notare neben den elektronischen Anmeldungen bestimmte darin enthaltene Angaben in strukturierter maschinenlesbarer Form zu übermitteln haben. Dadurch können die Registergerichte die übermittelten Strukturdaten unmittelbar weiterverarbeiten und diese nach erfolgter Prüfung direkt in das Register übernehmen (vgl. BT-Drs. 18/10607, S. 107; BGH, Beschl. v. 20. Februar 2013 – II ZB 27/12, juris Rn. 9 (XML-Datei)). Eine solche Form der Datenübernahme findet hier aber nicht statt, sondern die Führung der von dem Insolvenzverwalter angelegten Insolvenztabelle geht ab einem bestimmten Zeitpunkt auf das Insolvenzgericht über. Der Insolvenzverwalter bereitet also anders als der Notar in Registersachen keinen von dem Insolvenzgericht vorzunehmenden „Eintrag“ vor. Die Insolvenztabelle ist demgegenüber mit den Anmeldungen sowie den beigefügten Urkunden gemäß § 175 Abs. 1 Satz 2 InsO in der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen. Es ist deshalb sicherzustellen, dass aus dem (nur) maschinenlesbaren Datensatz wiederum eine für die Beteiligten visuell wahrnehmbare Fassung der Tabelle erstellt werden kann. Dabei reicht die Wiedergabe der Tabelle auf einem Bildschirm aus, wenn diese ebenso leicht wie eine Tabelle in Papierform eingesehen werden kann (vgl. Uhlenbruck/Sinz, InsO, 15. Aufl. 2019, § 175 Rn. 22; Nerlich/Römermann/Becker, InsO, 43. EL Mai 2021, § 175 Rn. 8; BeckOK InsR/Zenker, 25. Ed. 15.10.2021, § 175 InsO Rn. 14 m.w.N.; K. Schmidt InsO/Jungmann, 19. Aufl. 2016, § 175 Rn. 6).

    Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen: Da die Übermittlung per XJustiz-Fachmodul noch nicht umgesetzt ist, wäre aus technischer Sicht allenfalls eine Regelung denkbar, welche die Formate TAB oder ITR beinhaltet.

    INDat Report: Unterstützen Sie Bestrebungen, dass eine bundeseinheitliche „automatisierte“ Forderungsanmeldungen für Gläubiger (vergleichbar zu www.online-mahnantrag.de) bis Ende 2022 eingeführt wird?

    Bayerisches Staatsministerium der Justiz: Eine automatisierte Forderungsanmeldung ist grundsätzlich zu begrüßen, solange sie über die Infrastruktur des elektronischen Rechtsverkehrs umgesetzt wird.

    Niedersächsisches Justizministerium: Die hiesige insolvenzgerichtliche Praxis hat sich im Rahmen der Länderumfrage zur Digitalisierung des Insolvenzverfahrens ganz überwiegend dafür ausgesprochen, Forderungsanmeldungen elektronisch ohne Nachreichung von Unterlagen in Papierform zuzulassen. Dem entspricht die zum 1. Januar 2021 in Kraft getretene Änderung des § 174 Abs. 4 InsO. Danach können nunmehr bei einer elektronischen Forderungsanmeldung auch die Nachweisurkunden dem Insolvenzverwalter in elektronischer Form übermittelt werden. Vor einer weiteren Gesetzesänderung ist abzuwarten, wie die kürzliche Änderung des § 174 Abs. 4 InsO seitens der Gläubiger angenommen wird, um auch auf dieser Grundlage den tatsächlichen Bedarf für eine „automatisierte“ Forderungsanmeldung zu ermitteln. Davon unabhängig sollte es trotz aller Vorteile einer elektronischen Forderungsanmeldung jedenfalls zunächst bei der Wahlmöglichkeit für den Gläubiger bleiben. Während die elektronische Forderungsanmeldung für institutionelle Gläubiger kein Problem darstellt und von diesen bereits praktiziert wird, dürfte dies Privatpersonen und anderen Gläubigern, die nur selten mit Insolvenz- oder überhaupt gerichtlichen Verfahren zu tun haben, weitaus schwieriger fallen. Diese Position wurde von hier aus seinerzeit in der Stellungnahme vom 20. Mai 2020 auf die Länderumfrage gegenüber dem BMJV vertreten.

    Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen: Die Möglichkeit einer elektronische Forderungsanmeldung erscheint prinzipiell erstrebenswert. Jedoch sollte dies bundeseinheitlich geregelt werden, um insbesondere institutionelle Gläubiger nicht mit verschiedenen länderspezifischen Lösungen zu konfrontieren. Die Rahmenbedingungen wie das Erfordernis der Anbringung einer elektronischen Signatur oder die Frage der Art und Weise von einzureichenden Unterlagen und Legitimationen müssen hierbei gleichfalls geklärt werden. Insoweit sollte hier eine gesetzliche Grundlage durch den Gesetzgeber geschaffen werden. Dies dürfte sich bis Ende 2022 nur bedingt realisieren lassen.

    INDat Report: Halten Sie im Insolvenzverfahren die Übermittlung von PDFs (für die eAkte) neben strukturiert maschinenlesbaren Datensätzen in die Fachanwendung (also als Doppelübertragung) für sinnvoll und rechtlich zulässig und wie sind in der Gerichtssoftware die eAkte und die Fachanwendung Insolvenz verbunden?

    Bayerisches Staatsministerium der Justiz: Über die rechtliche Zulässigkeit einer doppelten Einreichung entscheiden die Insolvenzgerichte in richterlicher Unabhängigkeit nach Auslegung der einschlägigen Rechtsgrundlagen. Dabei sind die landesrechtlichen Vorgaben aufgrund von § 5 Abs. 4 Satz 3 InsO zu berücksichtigen. Der gerichtlichen Beurteilung kann von hier aus nicht vorgegriffen werden, zumal die entsprechende Rechtsverordnung noch nicht erlassen ist (s. o.).

    Niedersächsisches Justizministerium: Die Einreichung elektronischer Dokumente in Insolvenzsachen ist nach der Niedersächsische Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz (Nds. ERVVO-Justiz) vom 21.10.2011 zuletzt geändert durch Verordnung vom 11.11.2015 seit dem 01.11.2011 beim AG Hannover und seit dem 01.04.2012 bei allen Amtsgerichten zulässig und für bestimmte Dokumente auch sinnvoll. Eine Vorgabe zu den konkreten Formaten besteht in der Nds. ERVVO Justiz und der dazugehörigen Bekanntgabe für das Insolvenzverfahren nicht. Die Dokumente werden in der eAkte abgelegt und auf sie kann über das Fachsystem zugegriffen werden.

    Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen: Hinsichtlich der Insolvenztabellen ist die Übermittlung in der in der Verordnung geregelten, strukturierten Form vorgegeben (s. § 2 Abs. 1 Satz 2, 3, Abs. 3 eTab InsO). Eine zusätzliche Übertragung im PDF-Format dürfte allerdings rechtlich zulässig sein. In technischer Hinsicht ist die ausschließliche Verarbeitung der Tabellendaten im Fachverfahren möglich; ob zusätzlich eine Visualisierung in der elektronischen Akte für erforderlich bzw. sinnvoll gehalten wird, ist Gegenstand der jeweiligen insolvenzgerichtlichen Praxis. Fachverfahren und e-Akte sind integriert, seitens der Anwenderinnen und Anwender in einem einheitlichen Rahmen bedienbar und nehmen arbeitsteilig Aufgaben wahr.

    INDat Report: Können Sie schon über Erfahrungen in Pilotprojekten mit der neuen Fachanwendung Insolvenz von XJustiz 3.1.1 berichten oder wann starten Ihre XML-Pilotprojekte und welche Aufwände werden aktuell beim EGVP-Eingang von PDFs durch Insolvenzverwalter produziert?

    Bayerisches Staatsministerium der Justiz: Seit dem 22. November 2021 pilotiert das Amtsgericht Ingolstadt die E-Akte in Insolvenzsachen (vgl. Presseerklärung anbei). Aufgrund der noch nicht umgesetzten Unterstützung für die Entgegennahme von Tabellendaten in ausschließlich strukturierter Form im eingesetzten Fachverfahren (siehe Frage 2) liegen hierzu noch keine Erfahrungen des Pilotgerichts vor. Der Aufwand bei der elektronischen Einreichung von Insolvenztabellen im PDF-Format kann noch nicht verlässlich eingeschätzt werden. Derzeit werden die Tabellen in der Regel als Einzeldokumente elektronisch eingereicht und können so einfach in die elektronische Akte überführt werden.

    Niedersächsisches Justizministerium: EUREKA-WINSOLVENZ unterstützt zahlreiche Schnittstellen für verschiedene Nachrichtentypen. Die Version 3.1.1 ist für eine Kommunikation mit dem Statistischen Bundesamt im Einsatz. Den für den ERV maßgeblichen XJustiz-Strukturdatensatz für die Übermittlung von Dokumenten (Schriftgut) unterstützt EuWin gemäß ERVB 2020 seit dem 30.10.2021 in der Version 3.2.1. Dies gilt ebenso für das rücklaufende elektronische Empfangsbekenntnis. Zum Aufwand für den Eingang von PDF-Dokumenten liegen hier keine Informationen vor.

    Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen: Es wird hier davon ausgegangen, dass mit „Fachanwendung Insolvenz“ das Fachmodul Insolvenz innerhalb des XJustiz-Standards gemeint ist. Dieses ist, wie bereits oben zu Frage 1 ausgeführt, gegenwärtig technisch noch nicht umgesetzt, sodass noch keine praktischen Erfahrungen aus Pilotprojekten vorliegen. Im Rahmen der Pilotierung der elektronischen Akte in Verbraucherinsolvenzsachen bei inzwischen fünf Insolvenzgerichten (Amtsgerichte Bonn, Mönchengladbach, Siegen, Köln und Duisburg) sind allerdings umfängliche Erfahrungen mit der Übermittlung von Tabellendaten in den Formaten TAB oder ITR bei gleichzeitiger Übermittlung der begründenden Unterlagen als PDF (s. bereits Frage 1) gemacht worden. Jene sind bislang sehr gut. Besondere Aufwände, die insoweit durch PDF-Einreichungen durch Insolvenzverwalter entstehen würden, sind daher nicht bekannt.

    Interview von Autor RA Klaus Kollbach und INDat Report mit dem Bundesministerium der Justiz (BMJ) für den Beitrag „Weitere Impulse für eine Digitalisierung des Insolvenzverfahrens – Kleine Schritte und große Etappen“ (INDat Report 03_2022; S. 28 ff.).

    INDat Report: Der Gesetzgeber hat z. B. beim automatisierten Mahnverfahren die Nutzung von Strukturdaten bundesweit vorgegeben. Im Insolvenzbereich entscheiden die Bundesländer gemäß § 5 Abs. 4 InsO, wie die digitale Übermittlung von Forderungsanmeldungen und Tabellenauszügen vom Insolvenzverwalter zum Insolvenzgericht zu gestaltet ist. Strebt das BMJ in dieser Legislaturperiode an, dass es analog dem automatisierten Mahnverfahren eine bundeseinheitliche automatisierte Forderungsanmeldungen für Gläubiger und Verarbeitung von Anmeldungen und Tabellenauszügen mit Strukturdaten bei Insolvenzgerichten vorgegeben wird?

    Bundesministerium der Justiz: Derzeit gibt es keine entsprechenden Überlegungen zu einer bundeseinheitlichen Vorgabe. Auch die Einführung des automatisierten Mahnverfahrens und das Online-Angebot der Mahngerichte sind ohne bundeseinheitliche Vorgabe durch die Länder erfolgt.

    INDat Report: Die Digitalisierung des Rechtsverkehrs und der Justiz ist ein seit Längerem laufender Prozess. Das Wort „Digitalisierung“ ist nicht fest umrissen oder definiert. Häufig verhält es sich in der (insolvenz-)gerichtlichen Praxis so, dass papierbezogene Prozesse unverändert in PDFs/PDF-As etc. abgebildet werden, lediglich die Informationsübertragung z. B. via beA ist digitalisiert. Bei Großinsolvenzen und Verfahren über viele Jahre bedeutet das mitunter hunderttausende PDF-Seiten, die zudem verschlagwortet werden müssten, obwohl es seit 1999 Strukturdatenlieferungen der Verwalter an das Insolvenzgericht gibt. a) Welche Zukunft geben Sie der PDF bzw. der PDF-A als Hauptträger der Information im elektronischen Rechtsverkehr mit den Insolvenzgerichten? und b) halten Sie eine doppelte Datenübersendung in PDF-Format für zulässig oder sinnvoll, wenn der Gesetzgeber in Sonderbereichen schon länger erfolgreich auf Strukturdaten setzt (InsO, automatisiertes Mahnverfahren, Handelsregister)?

    Bundesministerium der Justiz: Die Anforderungen an das Datenformat ergeben sich aus der jeweiligen rechtlichen Grundlage für die Datenübermittlung. Die Gründe für die derzeitige Regelung sind unter anderem aus der Verordnungsbegründung zu § 2 ERVV ersichtlich (Bundesrats-Drucksache 645/17 vom 20.09.2017, Seite 12) und tragen auch den Anforderungen an die klassische Gerichtsakte derzeit noch Rechnung. Da die Papierakte gemäß § 298 a ZPO zum 1. Januar 2026 endgültig durch die elektronische Akte abgelöst wird, bietet sich die Gelegenheit, auch die Sichtweise auf die optische Ausgestaltung und Verarbeitbarkeit der einzureichenden Anträge, Erklärungen und Dokumente zu aktualisieren. Hierzu ist eine enge Abstimmung mit den Ländern erforderlich. 

    INDat Report: Nach § 130d ZPO müssen Rechtsanwälte und Behörden ab 01.01.2022 Schriftsätze und Anlagen elektronisch übermitteln. Die Gesetzesbegründung (der Bundesregierung, BT-Drs. 19/28399) zum „Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften“ geht davon aus, dass u. a. auch Sachverständige und Insolvenzverwalter künftig das elektronische Bürger- und Organisationspostfach (eBO) nutzen. Ist aus Sicht des BMJ dennoch eine Klarstellung zu § 130d ZPO erforderlich, dass diese Norm Insolvenzverwalter, die auch Rechtsanwalt sind, nicht betrifft?

    Bundesministerium der Justiz: Eine Klarstellung zu § 130d ZPO im Hinblick auf Insolvenzverwalter, die zugleich auch Rechtsanwalt sind, erscheint nicht erforderlich. Die Vorschrift enthält eine klare Benennung der Normadressaten und diese Klarheit wird auch durch die Gesetzesbegründung unterstützt. Die Auslegung von § 130d ZPO in einem individuellen Fall kann verbindlich nur durch die zuständigen Gerichte erfolgen.

    Interviews von Autor RA Klaus Kollbach und INDat Report mit den IT-Dienstleistern Andre Koppel Software GmbH, Rummel Software GmbH und STP Informationstechnologie GmbH für den Beitrag „Weitere Impulse für eine Digitalisierung des Insolvenzverfahrens – Kleine Schritte und große Etappen“ (INDat Report 03_2022, S. 28 ff.).

    INDat Report: Halten Sie bundeseinheitliche Vorschriften zur Forderungsanmeldung (ohne Abweichung auf Länder- oder Gerichtsebene) für sinnvoll?

    Andre Koppel Software GmbH: Einen Standard zur Forderungsanmeldung halten wir für überaus sinnvoll. Eine essentielle Prämisse ist jedoch, dass wirklich alle Konstellationen abgedeckt werden, die als Forderungsanmeldungen tatsächlich vorkommen und es muss Definitionen geben, wie Forderungsanmeldungsvarianten automatisch von der Software „reduziert“ werden können, um den technisch beschränkten Möglichkeiten einiger – deutlich veralteter – Justizsysteme gerecht zu werden. Schon der sehr simple Zusammenhang aus „Forderung“, „Zinsen“, „Kosten“ wirft auch heute noch diverse Fragen auf. Einige Gerichte betrachten dies gewissermaßen als vorgegebenen „Dreisatz“, von dem nicht abzuweichen ist, andere Gerichte sind flexibler. Tatsächlich handelt es sich um drei Forderungen, die an sich nichts miteinander zu tun haben (außer, dass die einen die andere als Voraussetzung haben). Als in der Realität auch vorkommende Konsequenz kann es „zu einer Hauptforderung“ beliebig viele Zins- und Kostenforderungen geben. Derzeit muss die Tabellenerfassung solche Konstellationen gemäß den Anforderungen des Gerichts aufsplitten und/oder zusammenfassen. Tatsächlich kann die Software aktuell nicht wissen, wie ein Gericht die Daten „sehen“ möchte. Eine bundesweite klare und detaillierte Vorgabe wäre hier sehr wünschenswert, denn nur so kann kostenreduzierend gearbeitet werden. Und auch nur so kann eine – von der EU geforderte – standardisierte, auch elektronische Forderungsanmeldung realisiert werden. Aktuell ist der Intellekt und das Wissen der Tabellensachbearbeiterinnen und -sachbearbeiter gefordert, weil die Vielzahl von Fallkonstellationen eine Vollautomatisierung der Datenerfassung oder Einspielung z. B. der Forderungsanmeldung unmöglich macht. In der Konsequenz werden dadurch wertvolle Ressourcen höherqualifizierter Sachbearbeiter für die Forderungserfassung gebunden, obwohl die Datenerfassung oder Einspielung von geringer qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erfolgen könnte, wenn es einen klar definierten Standard für Forderungsanmeldung gäbe. Die verschiedenen, gegen solche Standards angeführten Argumente sind sämtlichst Scheinargumente, die einer näheren Prüfung nicht standhalten, mit denen nur ein Status Quo zementiert wird.

    Rummel Software GmbH: Derzeit sind teilweise innerhalb der Bundesländer die Forderungsanmeldungen in unterschiedlicher Form einzureichen. Bundeseinheitliche Vorschriften würden nicht nur den Softwareherstellern, sondern ebenfalls den Verwaltern und Gläubigern die Abgabe der Tabellendaten deutlich vereinfachen.

    STP Informationstechnologie GmbH: Bundeseinheitliche Vorschriften wären hier wünschenswert. Insbesondere für Insolvenzverwalter, aber auch für institutionelle Gläubiger wie Krankenkassen, Banken und weitere, die in Insolvenzverfahren unterschiedlichster Bundesländer betroffen sein können, bedeutet es einen deutlich spürbaren Mehraufwand, sich letztlich pro Gericht erst einmal zu versichern, in welcher Form nun Forderungen anzumelden sind.

    INDat Report: Wenn Tabellendaten bereits in Form von strukturiert maschinenlesbaren Datensätzen an die Gerichte übertragen werden können, ist dann technisch eine zweite Übermittlung in Form von PDF-A notwendig und sinnvoll?

    Andre Koppel Software GmbH: Es gibt aktuell noch keine etablierte strukturierte, maschinenlesbare Übermittlung von Datensätzen der Tabellendaten an das Gericht. Es gibt die extrem veralteten Standards ITR und TAB, die EXCEL-/CSV-basierend Daten austauschen. Diese Standards sind mit diversen Fehlplanungen durchsetzt und nicht erweiterbar. Die Standards können weder mit Nachmeldungen umgehen (dazu muss eine händisch aufwendige Synchronisierung vorgenommen werden), noch können sie das o. g. Spektrum diversen Kosten-/Zinsen-Konstellationen abbilden. Rein theoretisch sollte XJustiz all dies abbilden können, dieser Standard ist im Bereich der InsO jedoch noch extrem unterentwickelt. Vor dem Hintergrund, dass weder brauchbare Übermittlungsstandards, noch geeignete Software auf Justiz- und Verwalterseite vorhanden sind, kann von einer papiernen (als PDF/A-2) Übermittlung derzeit noch nicht abgesehen werden. Nur in der Druckvariante (PDF/A-2) kann der fachkundige Sachbearbeiter feststellen, ob die Anmeldung des Gläubigers sich in der digitalen Form widerspiegelt. Gäbe es nur eine rein digitale Übermittlung (ohne echtes oder elektronisches Papier), so würden immer von neuem Diskussionen zwischen allen Beteiligten entstehen, wie die digitalen Daten zu interpretieren sind, wenn sie nicht dem 08/15-Schema entsprechen.

    Rummel Software GmbH: Rein technisch ist eine zweite Übermittlung in Form von PDF-A nicht erforderlich. Das Tabellenblatt kann aufgrund der übermittelten Tabellendaten durch strukturiert maschinenlesbaren Datensätze vom Gericht selbst erstellt und gedruckt werden. Allerdings beinhaltet eine Forderungsanmeldung auch die Nachweise, welche die Forderung begründen. Diese müssen derzeit dem Gericht meist im Original zur Verfügung gestellt werden. Auch eine rein elektronische Übermittlung der forderungsbegründenden Belege würde die zweite Übermittlung nicht ersetzen. Hierfür ist erforderlich, dass Nachweise lediglich beim Verwalter und nicht mehr beim Gericht vorzulegen sind.

    STP Informationstechnologie GmbH: Nach der aktuellen Rechtslage sieht § 175 Abs. 1 Satz 2 InsO neben der Tabelle, die abhängig von Länderverordnungen nach § 5 Abs. 4 auch elektronisch übermittelt werden kann, noch die Niederlegung mit samt der Anmeldung sowie beigefügter Urkunden vor. Daher ist aus unserer Sicht bereits ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg zur Digitalisierung des Insolvenzverfahrens gegangen worden, dass mittlerweile bei einigen Gerichten neben den elektronischen strukturierten Tabellendaten auch digital die Anmeldung sowie Belege per PDF an die Gerichte übermittelt werden können. Jedoch wäre künftig vor dem Hintergrund der Effizienz des Verfahrens (und der eigentlichen Praxis bei Gericht) folgend eine Regelung sinnvoll, die von einer „doppelten“ Übermittlung absieht und nur noch in den Fällen des § 176 Satz 2 InsO bei „strittigen“ Forderungen eine Übermittlung von Belegen in PDF neben den rein elektronischen strukturierten Daten vorsieht.

    INDat Report: Können Verwalter von Gläubigern eingesandte PDFs als Forderungsbelege ohne Umbenennung der Dateinamen (wie bei beA gefordert) in der Verwaltersoftware für konkrete Forderungen speichern?

    Andre Koppel Software GmbH: In unserer Software „INVEP“ ist dies ohne Weiteres möglich. Die Dateinamen können so gespeichert werden, wie sie ankommen; mehrfach identische Dateinamen sind unkritisch, da die Zuordnung jeweils auf mehreren Ebenen erfolgt, der Dateiname ist also nur ein weiteres Attribut. Wir empfehlen jedoch aus ganz grundsätzlichen EDV-Überlegungen, dass Dateinamen sich an bestimmte Regeln halten, denn es gibt verschiedene Kodierungsmöglichkeiten für Sonderzeichen (z. B. Umlaute), die Dateinamen enthalten jedoch keinen Hinweis darauf, welche Kodierung für den Namen verwendet wurde. Jeder, der schon einmal Dokumente mit Umlauten in den Dateinamen zwischen Mac und PC übertragen hat, kennt die Problematik, dass die Umlaute teilweise in unlesbare Zeichen gewandelt werden. Gleiches gilt für Satzzeichen, Leerzeichen und Schrägstrich. Ein Dateiname „Gläubigeranmeldung zur Tabelle im Verfahren IN 0815/22“ bietet zum Beispiel mehrere Fallstricke, und je nachdem, wo und wie er verarbeitet wird, ist er teilweise einfach nur problematisch und teilweise insgesamt unzulässig. INVEP selbst könnte diesen Namen verarbeiten, ob und wie der Dateiname im Rahmen der Weiterverarbeitung und Übermittlung zum Gericht Probleme verursacht, liegt außerhalb unseres Einflussbereichs. Auch sehr lange Dateinamen sollten tunlichst vermieden werden. Es gibt eine maximale Dateinamenslänge, die inklusive Pfadangabe bei 232 Zeichen liegt. Wenn also ein Dateiname sehr lang ist, dann kann die Datei potenziell auf einem System gespeichert werden, auf dem anderen jedoch nicht (weil die zusätzliche Pfadangabe dann jeweils die Maximallänge überschreitet). Die Verwendung der originären Dateinamen ist also einerseits möglich, andererseits sollten jedoch zwingend Standards etabliert werden, um eine gesamte Interoperabilität über alle beteiligten Stellen zu gewährleisten. Die Nichtexistenz von verbindlichen Namenskonventionen führt bereits beim beA immer wieder zu Irritationen, im Bereich einer automatisierten Datenübertragung in der InsO – mit ihren erheblich größeren Datei- und Datenmengen – führen fehlenden Namenskonventionen unweigerlich zu Handhabungsproblemen, die schlussendlich auch haftungsrelevant sein könnten.

    Rummel Software GmbH: Ja, mit InsoMACS können Forderungsbelege einer einzelnen Forderung hinzugeordnet und sodann per beA an das Gericht übersandt werden. Die Umbenennung der Dateinamen ist hierfür nicht erforderlich. Die Hinzuordnung der Forderung bleibt auch beim Versand per beA ersichtlich. Diese Funktion wurde für das Pilotprojekt in NRW eingeführt und wird nun von einigen unserer Verwalterkanzleien verwendet.

    STP Informationstechnologie GmbH: Ja, das ist in der Digital Edition unseres Produkts winsolvenz.p4 in Verbindung unserem Dokumentenmanagementsystem LEXolution.DMS Pro möglich. Die Dokumente werden per Drag & Drop auf die Forderung gezogen und können dann, wie dies bereits in Nordrhein-Westfalen bei ersten Pilotgerichte durchgeführt wird, im Wege der elektronischen Schriftgutübergabe im XJustiz-Format übergeben werden.

    INDat Report: Können Sie bis Ende 2022 eine Forderungsanmeldung der Gläubiger beim Verwalter durch strukturiert maschinenlesbaren Datensätzen anbieten?

    Andre Koppel Software GmbH: Wir haben einen solch Mechanismus bereits seit 2016 im Angebot, es zeigte sich jedoch bis dato kein Interesse aufseiten der Verwalter. Wir sehen aktuell das Problem der gesicherten Authentifizierung. Es gibt keinen gesetzlich geregelten sicheren Mechanismus, mit dem Forderungsanmeldungen vollkommen digital (ohne zusätzliche Schriftform) übermittelt werden können, ohne dass sich dadurch Haftungsprobleme ergeben, wenn eine nachgereichte Schriftvariante von der digitalen Übermittlung abweicht – oder tatsächlich gar nicht eingereicht wird, also nur eine digitale Anmeldung existiert. Um jegliche Haftung zu vermeiden, müsste ein Sachbearbeiter beim Verwalter die jeweils in Papierform eingereichten Anmeldungen mit den digital übermittelten Anmeldungen manuell abgleichen, im Fall einer Abweichung muss entsprechend intelligent damit umgegangen werden. Tatsächlich führt dies zu einer Doppelbelastung (der gleiche Anmeldevorgang muss mehrmals geprüft werden). Die von uns etablierte Technik basiert auf einem Forderungs-Anmelde-PDF, das vom Gläubiger digital ausgefüllt, ausgedruckt, manuell unterschrieben und dann zum Verwalter gesendet wird. Dieses PDF ist auf eine maximale Maschinenlesbarkeit ausgelegt, sodass die Forderungsanmeldung beim Verwalter problemlos digitalisiert werden kann. Auf diesem Wege wird die Anmeldung der noch immer geforderten Schriftform gerecht und trotzdem erfolgt sie digital. Neben dieser von uns favorisierten Variante (die dem Umstand der nicht gesetzlich geregelten Authentifizierung geschuldet ist) kann unsere Software INVEP seit deutlich über einem Jahrzehnt auch annähernd beliebige strukturierte Daten – so auch Forderungsanmeldungen – einlesen. Sollte der Gesetzgeber oder ein Fachgremium hier einen gültigen Standard verabschieden, so kann dieser von uns innerhalb kürzester Zeit implementiert werden. Davon abgesehen ist die „Forderungsanmeldung durch strukturiert maschinenlesbare Datensätze“ derzeit leider noch eine Worthülse, denn eine strukturierte Form setzt einen Standard voraus, den es aktuell noch nicht gibt. Die Schaffung eines solchen Standards ist auch bei weitem nicht trivial, denn sie setzt Ersteller voraus, die sich gleichermaßen sicher im InsO-Bereich und in der Datentechnik bewegen. Derer dürfte es in ganz Deutschland weniger als ein Dutzend geben. Die Schaffung eines solchen Standards dürfte auch erhebliche Reibung an den Stellen erzeugen, an denen Gerichte bereits jetzt sehr unterschiedliche Vorstellungen von Konventionen haben. Existierende Konventionen, die einhergehend mit der Nutzung von Begrifflichkeiten, die an sich gar keinen juristischen Unterbau haben, müssten neu gedacht, abgeschafft oder umdefiniert werden. Hier sei beispielhaft der in der Forderungsanmeldung so beliebte Rang 0 genannt. Dieser Rang 0 ist gewissermaßen durch die Nutzung einer bestimmten Software in den Sprachgebrauch – auch in der Justiz – eingesickert. Einen solchen Rang gibt es jedoch tatsächlich nicht. In der Summe müssen im Rahmen der Definition eines Standards Begrifflichkeiten in allen Details sauber definiert werden, und zwar in einer Form, dass DV-Technisch eineindeutig klar ist, was damit gemeint ist. Dieses „eineindeutig“ ist wörtlich zu nehmen, denn nur damit kann das aktuell noch sehr verbreitete Narrativ „na ist doch klar, was damit gemeint ist“ abgeschafft werden, und dieses Narrativ muss abgeschafft, bzw. in eine streng formale Form überführt werden, um eine Automatisierung überhaupt erst zu ermöglichen.

    Rummel Software GmbH: Ja, das ist bereits seit Längerem mit der Forderungsanmeldung über unserer Online-Gläubiger-Auskunft möglich. Hier werden die angemeldeten Forderungen in InsoMACS importiert und mit dem Tabellenexport als strukturiert maschinenlesbaren Datensatz versendet. Allerdings ist es technisch nicht möglich, Belege bzw. Anlagen zu einer Forderung in einen strukturiert maschinenlesbaren Datensatz umzuwandeln. Diese müssen weiterhin per beA bzw. Post versandt werden.

    STP Informationstechnologie GmbH: Das funktioniert bereits. Einerseits können Gläubiger ihre Forderungen bereits über GIS 4.0 beim Insolvenzverwalter komplett elektronisch samt Beleg-Upload anmelden. Die Daten selbst erhält der Verwalter wiederum als strukturierte Daten direkt für sein Fachprogramm sowie seine elektronische Akte. Andererseits ermöglichen wir beispielsweise Großgläubigern auch eine Übermittlung von strukturierten Forderungsanmelde-Daten samt Belegen per Schnittstelle aus den Fachsystemen der Gläubiger.

    INDat Report: Können Sie schon über Erfahrungen in Pilotprojekten mit der neuen Fachanwendung Insolvenz von XJustiz 3.1.1 oder der Verbindung von Fachanwendung und eAkte berichten?

    Andre Koppel Software GmbH: Der Insolvenzbereich in XJustiz ist aktuell leider eine akademische Spielwiese, denn die Kommunikation ist höchst unbefriedigend, es gibt keine zuverlässigen Verteiler, es gibt keinen bundeslandübergreifenden Konsens (was schlicht daran liegt, dass die Bundesländer, die kaum eine Digitalisierung im Bereich der Insolvenz aufweisen, sich nicht beteiligen) und die Softwarefirmen (z. B. wir) werden nicht proaktiv eingebunden. Ohne proaktive Einbindung der Beteiligten (sowohl aufseiten der Justiz, als auch aufseiten der Verwalter bzw. der Softwarehersteller) können die diversen Herausforderungen des gesamten Spektrums jedoch kaum abgebildet werden. In der Folge ist der einhergehende Standard ohne echten Realitätsbezug. Es ist aufseiten der Softwareentwickler auch nicht einsehbar, dass die erheblichen einhergehenden Kosten geschultert werden, ohne dass dem in absehbarer Zeit entstehende Kosteneinsparungen oder Gewinne entgegenstehen. Ein „wir segeln dann mal los und unser Wind ist XJustiz“ bedeutet ein Verbrennen von Geld, wenn weder klar ist, in welche Richtung der Wind weht, noch was überhaupt das Ziel ist. Bereits in der Vergangenheit wurde XJustiz mehrmals konterkariert, indem jeweils von Version zu Version zueinander inkompatible Standards geschaffen wurden, und dies teilweise sogar in den Fachbereichen, die noch nicht einmal im Einsatz waren. So wurden in XJustiz Standards geschaffen, die von den Softwarehäusern umzusetzen waren, ohne dass die Justiz selbst dies verarbeiten konnte. Damit, dass dann in einer Folgeversion von XJustiz ein überarbeiteter Standard geschaffen wurde, wurde die alte Version obsolet und die durch die geleistete Entwicklungsarbeit entstandenen Kosten bedeuteten verbranntes Geld. Im Bereich der InsO ist diese Situation noch weiter verschärft, da hier nur die Wissens- und Kenntnisstände sehr weniger Bundesländer einfließen. So ist es quasi ausgeschlossen, einen Standard zu schaffen, dessen Umsetzung auf absehbare Zeit mehr Kosten spart, als durch seine Ausprogrammierung erzeugt werden. Eine Ausprogrammierung solcher Standards ist unter den genannten Rahmenbedingungen nur möglich, wenn eine Querfinanzierung durch Kickback-Geschäfte betrieben wird (wir machen das jetzt mal, die Justiz hat ihren Nutzen und wir als – singuläre – Softwarefirma haben einen Vorteil bei der Justiz, weil nur unsere Verwaltersoftware kompatibel mit diesem Standard ist). Letzteres ist bei Weitem nicht aus der Luft gegriffen, denn es ist in Deutschland durchaus üblich, dass Gerichte – sehr weit entfernt von jeglicher Zulässigkeit – vom Verwalter den Einsatz bestimmter Softwareprodukte fordern. Solche Forderungen werden natürlich nicht verschriftlicht, jedoch sehr wohl mündlich übermittelt „Wenn Sie Aufträge haben wollen, so setzen Sie diese Software ein“. Abschließend lässt sich feststellen, dass Standards absolut begrüßenswert sind, denn nur mit solchen Standards können mittel- und langfristig Kosten reduziert und Zeit eingespart werden. Die Etablierung von Standards stößt jedoch auf erhebliche Widerstände, denn dadurch entfallen Wettbewerbsvorteile einzelner Marktteilnehmer, was wiederum Kickbackgeschäfte erschwert. Zudem müssten sich alle Bundesländer an die Standards halten und sie auch umsetzen, was schlussendlich bedeutet, dass die Bundesländer sowohl die personellen als die die materiellen Ressourcen bereitstellen müssen. Standards dagegen, die nur von einigen wenigen, ohne Beteiligung der essentiellen Gruppen und teilweise ohne Sachkenntnis geschaffen werden, werden sich nicht etablieren können, sind somit dann auch keine.

    Rummel Software GmbH: Nachdem bisher keiner unserer Kunden die Fachanwendung Insolvenz von XJustiz 3.2.1 verwendet, können wir hierzu leider keinen Erfahrungsbericht abgeben. 

    STP Informationstechnologie GmbH: Bereits Ende 2021 startete ein Pilotprojekt an zunächst drei Insolvenzgerichten (Bonn, Siegen und Mönchengladbach, seit 01.01.2022 auch in Köln), das neben dem geläufigen Import von Tabellendaten auch die Übernahme von verknüpften Dokumenten der Forderungsanmeldung über das XJustiz-Format vorsah. Hier funktioniert die Übergabe der Forderungsanmeldungen inklusive der Belege komfortabel und zuverlässig und bereits beim Insolvenzverwalter verknüpfte Daten und Dokumente können auf diesem Wege komplett digital in die eAkte der Justiz und entsprechend verknüpft in die Fachanwendung übernommen werden, was die teilnehmenden Pilot-Gerichte sehr erfreut und Aufwände spart. Weiterhin startet das Amtsgericht Ingolstadt in Bayern gerade als Pilotgericht die Einführung der eAkte. Hier werden Tabellenblätter, Forderungsanmeldungen und Berichtigungen in einem bestimmten Format und mit einer entsprechend gewünschten Bezeichnung elektronisch übergeben.